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Weilage für FlhvM» llingcgknd. Zur rechten stunde. Originalroman von M. St reble. lFortsetzung.) Endlich ließ der heiß herbeigewünschte Abend seinen dunk len Schleier auf die dem nahen Frühling entgegenschlum mernde Erde niederfallen. Vor dem Wohnhause der Des- loffs hielt eine glänzende Wagenreihe, aus der sich die fröhlichen und geschmückten Insassen nach und nach hinaufflüchteten in die beiden hellerleuchteten und angenehm durchwärmten Gesell schaftssäle. Es herrschte dort bald ein buntes, heiteres Getriebe und Gedränge um die allgemein so hochverehrte Hausfrau. Da wollte jedes mit einem freundlichen Wort oder Händedruck bedacht sein. Olga, die in einem einfachen Weißen, mit frischen Maiglöckchen bedeckten Kleide sehr lieblich aussah, hielt unter einer Gruppe junger Mädchen Hof. Lauter kleine Baronessen oder Gräfinnen waren es, die den Vorzug in Anspruch nahmen, der Tochter des Hauses als eine Art von Ehrengefolge zu dienen. Olga aber holte sich mit auffälliger Absichtlichkeit mehr als ein bescheidenes Bürgers- töchterchen aus dem Hinter gründe hervor und überhäufte dasselbe mit kleinen Artigkeiten. Sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, daß sie das aristokrati sche Element nicht als das ihrige ansah, daß sie das Kind ihres einfach gesinnten, bürgerlichen Vaters bleiben wollte, ganz ent gegen ihrer Mutter, für die der Mensch erst mit dem „Von" zu beginnen schien, das sie vor sei nen Namen setzen durfte. Sergio teilte hier und dort Aufmerksamkeiten unter den anwesenden Damen aus. Doch bewies er dabei eine wahrhaft rührende Unparteilichkeit. An Schöne und Häßliche, Junge und Alte verschenkte er das gleiche halb zerstreute, halb liebenswür dige Lächeln. Sein Auge aber das suchte und suchte, bis es end lich aufleuchten durfte in rein stem Entzücken. Er sah seine Schwester auf sich zukommen, an deren Arm etwas beklommen Norina Mainardi hing. Norm« war auf „besonderen Wunsch" Paula Desloffs erschie nen und zwar unter dem Titel einer „Freundin Olgas". Die Mutter hatte sie, einer leichten Erkältung wegen, nicht beglei ten können und deshalb that sie so verzagt ihre ersten Schritte auf diesem ihrem „ersten Balle". Man sah allgemein bewundernd nach ihr hin, trotz ihres beinahe mehr als einfachen Anzuges aus blaßgelbem Kaschmir. Der treue Jagdgenossc. (Mit Text.) Sergio bemerkte das halb stolz und halb ärgerlich. Liebende verwickeln sich in seltsame Widersprüche; sie wünschen, daß die ganze Welt ihren Enthusiasmus für die Erwählte teilen soll, sind aber dann doch eifersüchtig und neidisch ans jeden Blick, der aus fremden Angen auf dieselbe fällt. Norina errötete und senkte das Köpfchen bei Sergios Anblick. Sie war's nicht gewöhnt, im Beisein unbekannter Leute, fremd und kühl mit ihm zu verkehren. Sie fürchtete, den rechten Ton nicht zu treffen, sich etwa zu verraten, oder gar den Geliebten durch ihre erzwungene Kälte zu verletzen. Doch Sergio half ihr rasch über Befangenheit und Bedenken hinweg, indem er. den beiden für den Abend engagierten Klavierspielern das Zeichen zum Beginn der Musik gab und den Ball mit ihr eröffnete. Merelli, der hinter Paulas Stuhl stand, zischelte nur ihr allein verständlich über sie hin. „Der Bursche fängt übel an. Wie muß man wohl denken über feine unziemliche Auszeichnung eines tief unter seinem gesellschaft lichen Range stehenden Mäd chens? Sie haben wohl noch gar keinen Schritt gethan in meiner Angelegenheit, wie? Erinnern Sie sich, daß ich kein Mann bin, der mit sich spielen läßt!" „O doch, doch, ich habe den Feldzug zu Ihren Gunsten schon begonnen," gab sie ebenso leise und sehr ängstlich zurück. „Nur müssen Sie mir Zeit lassen. Ich habe schon meinen Plan, doch die kleinste Uebereilung kann den selben völlig zu nichts machen!" Paula sagte damit durchaus nicht die Wahrheit. Sie hatte noch gar nichts gethan, nicht einmal noch eine Vorstellung da von, auf welche Weise sie Mer- ellis Wünsche erfüllen sollte. — Doch 'gewann sie durch leere Versprechungen, die ihr nichts kosteten, immerhin wenigstens Zeit. Und mit der Zeit würde sich wohl auch Rat und Hilfe finden. Wenn ein Schiff durch widrige Winde gehindert wird, gerade vorwärts zu gehen, dann muß es eben zu geschicktem La vieren Zuflucht nehmen. Und Paula Desloffs ganzes Leben war ja eigentlich ein solches La vieren gewesen. Die Gräfin Gardini, eine hochgewachsene alte Frau mit edlen strengen Zügen, machte durch ihr Erscheinen im Saale dem unliebsamen Gespräche ein Ende, denn die Hausfrau mußte ihr natürlich „äußerst erfreut" entgegeneilen und sie zu dem großen Eckdivan führen, auf dem die bevorzugtesten unter den anwesenden Damen ihren Platz gefunden hatten.