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Der nahende Frühling brachte Bewegung unter die preußischen Truppen. Friedrich der Große suchte die Entscheidung mit dem Gegner und rückte in 4 Heersäulen in Böhmen ein. Am 6. Mai schlug er die Schlacht bei Prag — sein erster großer Sieg im gewaltigen Kriegsjahre 1757. Der Wiederbeginn der kriegerischen Operationen machte sich in Chemnitz deutlich fühlbar. So ging am 8. April ein Bataillon von den beiden hier stehenden Regimentern noch Zwickau, am 12. marschirten mehrere Hundert Preußen nebst Provianlbäckern hier durch und nach Zwickau; am 18. brachen 400 Proviant- und Futterwagen, die seit dem 16. auf deni Anger aufgefahren gewesen waren, nach Böhmen auf und ebenso 30 mit eisernen Backöfen und zur Feldbäckerei gehörigen Gegenständen beladene Wagen, die an der Johanniskirche gestanden hatten; am 17. traf ein Bataillon vom Kalksteinischen Regimente ein und erhielt, um 1 Tag zu rasten, in den Vorstädten Quartiere; am 18. marschirten 4 Regimenter Kavallerie hier durch, um über Marienberg nach Böhmen zu gelangen; am 19. verließen endlich die beiden noch hier stehenden Bataillone von Herzog Ferdinands und General major Knobloch's Regiments die Stadt und rückten ebenfalls über Marienberg nach Böhmen; am 20. traf ein Bataillon Grenadiere unter Major von Bornstädl, meist Sachsen, von Leipzig her ein; am 21. erschien General von Oldenburg mit seinem Regimente, von dem ebenfalls die meisten Sachsen waren, und nahm sein Quartier im Siegert'schen Hause am Markte; am 22. beförderte eine Abtheilung preußischer Husaren 18 und am 24. 24 gefangene Kaiserliche hier durch nach Dresden, und endlich hatte in jenen Tagen Chemnitz 3 Barbiere, 3 Frauen und 4 Männer dem preußischen Heere bei Prag zur Pflege Kranker und Verwundeter zu stellen. Das war denn Abwechslung genug für Chemnitz. In diese unruhigen Tage fiel auch der Tod des Generalmajors von Knobloch; am II. April starb er, „der die Stadt durch das viele Bauen in sehr große Unkosten gesetzt." Mit einer gewissen Genugthuung mögen es daher die Chemnitzer empfunden haben, daß er nicht hier, sondern auf seinen Stammgütern in Westphalen begraben wurde. Zweifellos war überhaupt infolge der großen Anforderungen die Stimmung der Bürgerschaft gegen die Preußen keine besonders freundliche, und das mag nicht unbemerkt geblieben sein. So wenigstens läßt es sich erklären, daß Anfangs April den Bürgern sämmtliche „Ober- und Unter gewehre" abgefordert wurden. In Kisten verpackt wurden sie nach Dresden gebracht. — Selbstmord beging wieder ein preußischer Offizier, ein Hauptmann vom Kalkstein'schen Regimente. Er erschoß sich mit einem Pistole vor dem Johannis- lhore. In der Stille wurde er Abends auf dem Johanniskirchhofe begraben. Den Höhepunkt erreichte die Unruhe und Aufregung am 28. April. „Ein erschrecklicher Aufruhr und Tumult" fand an diesem Tage statt. Der Hergang war folgender. 200 ehemalige sächsische Soldaten — die sächsischen Truppen waren bekanntlich nach Gefangennahme des gesammten sächsischen Heeres bei Pirna in die preußischen Regimenter eingereiht worden — fanden den harten preußischen Dienst allmählich unerträglich, desgleichen eine Anzahl Musketiere vom hier stehenden Oldenburgischen Regimente. Sie sannen denn auf Flucht. Zugleich wollten sie, so hieß es später, die Fahnen, Kanonen und die Kriegskasse des Oldenburgischen Regiments mit nehmen. Aber der Anschlag wurde verrathen, und zwar, wie später behauptet wurde, durch den Rädelsführer selber, einen Unteroffizier. Infolge des Verrathes konnte die Flucht nicht in der verabredeten Weise ausgeführt iverden. Am späten Nachmittag gab ein Trompeter, indem er den sächsischen General marsch schlug, das verabredete Zeichen. Sogleich sammelten sich die Verschwörer auf der Lohgasse, um zusammen durchs Klosterthor auszubrechen. Aber ihre Absicht wurde erkannt. Es wurde Generalmarsch geschlagen, die preußischen Soldaten