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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.03.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-03-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020304013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902030401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902030401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-03
- Tag 1902-03-04
-
Monat
1902-03
-
Jahr
1902
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). >. >. ). >. >. >. 4 ii Bezugs-PreiS in der Hauptexpedttion oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestelle« abgeholt: vierteljährlich 4.SV, — zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau» 8.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl. » 6. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postaufschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten Ist der Bezug nur unter Kreuzband durch di» Expedition diese« Blatte« möglich. Le-action und Lrve-itiou: Iohanntsgaffe 8. Fernsprecher 153 und S92. FUialerpeditionen r Alfred Hahn, Buchhandlg., UniversitSt«str.3, 8. Lösche, Katharinenstr. 14, u. König-pl. 7. —— ; - Haupt-Filiale in Lerlin: Königgrätzerstraße IIS. Fernsprecher Amt VI Nr. 83»3. Morgen-Ausgabe. MpMerIaMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und . Amtsgerichtes Leipzig, des ! Aattjes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Nr. »3. Dienstag den 4. März 1902. Anzeigen-Preis die »gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 H, oor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Zifsrrnsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännalsmelchluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zn richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. 98. Jahrgang. Die Wohnungsfrage in den sächsischen Städten. ii- 6—^. Eine gesunde Wohnung ist die Vorbedingung eines gesunden Familienlebens und dieses ist die Grund lage unserer nationalen Kraft. Schon hieraus läßt sich er kennen, wie wichtig eine glückliche Lösung der Wohnungs frage ist. In dem vorangegangenen Artikel *) haben wir an der Hand der neuesten Veröffentlichung des Königlich sächsischen statiftsichcn Bureaus dargelegt, daß wenigstens in den Klein- und in den meisten Mittelstädten Sachsens eine eigentliche WohnungSnvth nicht besteht. Die Be wohnerzahl der Häuser ist in diesen Orten kaum nennens- werth hoher geworden, als sie in der Mitte des vorigen Jahrhunderts war, auch die Mietpreise sind erträglich ge blieben, dagegen sind in hngieinischer Beziehung auch in den meisten dieser Orte sehr wesentliche Verbesserungen cingetreten. Erheblich anders liegen jedoch die Verhältnisse in einer dritten Gruppe sächsischer Städte, bei denen die durch schnittliche Bewohnerzahl der Häuser zugenommen hat. Zu dieser Gruppe gehört eine Anzahl sächsischer Mittel städte, deren gewerbliche Zustände sich schnell und günstig entwickelten und die aus diesem Grunde eine starke Be- völkcrungszunahme erfahren haben: namentlich gehören aber die Großstädte zu dieser Gruppe. Wie in diesen Städten die Wohndichtigkeit in den verschiedenen Zeiten des vorigen Jahrhunderts beschaffen war, zeigt die nach stehende Tabelle. Die Zahl der durchschnittlich auf ein bewohntes Gebäude kommenden Bewohner betrug: kann man allerdings nicht ohne Weiteres auf eine Ver schlechterung der Wohnverhältnisse schließen,- denn wenn Namen der Städte im Jahre 1834 L852 1875 18S5 Bautzen .... 10,1 13,5 16,6 18,9 Lübau .... 8,1 109 14 3 16,1 Zittau .... 8,7 104 15,9 16.1 Chemnitz.... 18,4 24,0 31.0 34,2 Dresden .... 21,9 28,8 32,9 35,9 Freiberg.... 10,8 14.8 17.6 17.8 Meißen .... 12,1 146 18 3 20.5 Radeberg. . . . 7,7 9,1 14,8 17,7 Ri-sa 7.S 10,5 13 4 10,0 Leipzig .... M.9 33,8 36.» »5,2 Markranstädt . . <t,:r 10,4 ll.O 15,0 Aue 8,7 10,2 14.0 21,2 Oel-nitz .... 10,1 11.2 14,1 16,5 Plauen .... 14 3 17,1 18.8 19,5 Reickenbach . . . 7,4 9,8 12,4 15,5 Zwickau .... 8.6 150 20,7 21,0 Aus der Steigerung der ! öewohnerzahl eines Hauses *) Nr. 80 d. „Leipz. Tagebl". die neuerbauten Häuser größer sind, wie die alten, so können sie selbstverständlich auch mehr Bewohner auf nehmen, ohne daß dem Einzelnen der Raum beschränkt zu werden braucht. Bet vielen Städten mittlerer Größe ist auch wirklich nur scheinbar eine relativ stärkere Be setzung -er Häuser eingetreten. Es sind nämlich auch iu Mittelstädten neue Häuser mit drei und vier Stockwerken errichtet worden, die, je nach ihrem Zahlenverhältniß zu oen vorhandenen, älteren und kleineren Wohngebäuden, selbstverständlich einen größeren oder geringeren Einfluß auf die durchschnittliche Bcwohnerzahl eines Hauses aus üben müssen. Am meisten ist die sogenannte Dichtigkeit des Wohnens in den Großstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz gestiegen, und Negierungsassessvr vr. Wächter bemerkt zu dieser Thatsache, daß eine Woh- nungsfrage überhaupt nur in den Großstädten — nicht nur in Sachsen und Deutschland, sondern überall — be stehe. Das trifft unseres Erachtens nicht zu. Es giebt eine Anzahl gewissenhafter Untersuchungen über die Wohnungsverhältnisse in deutschen Klein- und Mittel städten, aus denen hervorgcht, daß auch dort die Woh nungsfrage geradezu „brennend" ist. Auch in Sachsen — wir erwähnen nur Zwickau, Radeber g, Plauen, Aue und Meiste n — giebt es Mittelstädte, in denen die Wohunngsvcrhältnisse sehr verbesserungsbe dürftig sind: in manchen sächsischen Landorten mit starker Jndustrieentwickelung bestand in den letzten Jahren selbst eine Wohnungsnoth. Mit Recht betont jedoch der genannte sächsische Stati stiker, man dürfe durchaus nicht annehmeu, daß iu Städten mit „brennender" Wohnungsfrage ein absoluter Mangel an Wohnungen herrsche, d. h„ daß cs nicht möglich sein würde, die nicht mit ausreichender Wohnung ver sorgte Bevölkerung in den noch verfügbaren Quartieren gesund unterzubringen. Wenn in diesem Sinne Woh- nnngsnoth gleichbedeutend mit Wohnungsmangcl wäre, so würden die Wohnungsverhültnissc wahrscheinlich, mit wenig Ausnahmen, in allen Großstädten als normal und befriedigend bezeichnet werden können. Nach den Woh- nnngsstatistiken der Großstädte sind stämlich zahlreiche leerstehende Wohnungen eine durchaus regel mäßige Erscheiuung. So betrug beispielsweise nach dem „Statistischen Jahrbuch deutscher Städte" für 1900 die Zahl der leerstehenden Wohnungen: am in DrrShen in Lrivri g 1. December 1890 o r r . M » 4 1937 5396 1. November 1891 «MM. « M M 5168 1. November >892 M . » M M 5351 1. November 1893 «MM» M M 4668 1. November 1894 .... N992 1. December 1895 . ... . . 1825 2921 12. October bez. 1. November- 1896 1809 1374 12. Oktober bez. 1. November 1897 2411 762 12. October bez. 1. November 1898 2566 990 Nach dem „Statistischen Jahrbuch der Stadt Dresden:" sür 1900 stauben in Dresden am 12. October 1899 leer 2011 Wohnungen ohne Gewerberäume und 257 Woh nungen mit Läden oder sonstigen Gewerberäumen. So viele leerstehende Wohnungen mitten im Quartale lassen nicht auf absoluten Wohnungsmangel schließen. Das eigentliche Wesen der Wohnungsnoth erkennt man erst, wenn man die Miethwert h e schärfer in's Auge fast. Nach dem angegebenen „Jahrbuch deutscher Städte" be trugen in Dresden am 2. December 1895 die durch schnittliche Mietpreise für eine Wohnung mit heizbare» Zimmer jährlich Mark fUr leerstehende Wohnungen 0 170 — 1 209 228 - y 345 392 - 3 499 550 - 4 728 889 - 5 974 1140 - 6 1288 1728 - 7 1594 1937 - 8 und mehr 2608 2823 - Schon aus diesen großen Preisunterschieden geht her vor, daß die leer gebliebenen Wohnungen sich größten Theils in neuen Häusern auf theuerem Baugrunde und mit kostspieligen Faoaden befunden haben, und daß es an genügend zahlnngsfähigen Miethern für sie gefehlt hat. Ein so großer Preisnmerschied zwischen besetzten und leerstehenden Wohnungen wurde in L e i p z i g nicht beob achtet. Dort waren die Preise der leer gebliebenen Woh nungen sogar großen Theils niedriger, als der besetzten,- wahrscheinlich in Folge des sehr starken Woh- unngSangebotes, das in den Jahren 1890—94 herrschte. Es kostete durchschnittlich in Leipzig 1895 eine Wohnung mit heizbaren Zimmer jährlich Mark für leerstebende Wchnunaen 0 —— - 1 181 159 - 281 290 - 3 446 436 - 4 669 649 - 5 924 967 - 6 1257 1154 - < 1544 1878 - 8 nnd mehr 2838 2302 - Ein absoluter Wohnungsmangcl hat sich also weder für Dresden noch für Leipzig nachweisen lassen und er wird, wie gesagt, auch schwerlich in anderen Großstädten bestanden haben oder bestehen. Wenn gleichwohl die Wohnverhältnisse besonders der ärmeren Elaste in groben Städten ans sittlichen und gesundheitlichen Gründen dringend der Verbesserung bedürfen, so liegt das zum Theil daran, daß das Einkommen nicht immer in demselben Maße gestiegen ist wie die Miethen. Es sind viele große und kleine „hochherrschastliche" Wohnungen entstanden, für welche die hohen Herrschaften nicht immer in genügender Zahl vorhanden sind, wogegen einfache Wohnungen für -en Mittelstand und die ärmeren Classen der Bevölkerung vielfach fehlen. Woher die hohen Miethen? Regierungs assessor Or. Wächter beantwortet diese für den Volks wirt- wie für den Socialpolitiker wichtige Frage etwa in folgender Weise: Die Baukunst ist in den Schulen und Hochschulen seit Jahrzehnten mit bestem Erfolge gepflegt und ihre Jünger suchen diese Kunst natürlich seit längerer Zeit auch praktisch zur Geltung zu bringen. Hierin werden sie von den Städtcverwaltungen unterstützt, die in ihren Bauordnungen die künstlerische Ausführung neuer Bauten geradezu vorgeschrieben haben. Das an sich durchaus lobenswerthe Bestreben, die Schönheit der Städte durch künstlerische Bauweise zu fördern, hat ohne Zweifel die Wohnungsfrage verschärft, denn dem Aeuberen der Gebäude müssen natürlich auch die inneren Einrichtungen entsprechen. „Stilvolles" Bauen, wie es seit Jahren üblich ist, verthcuert natürlich das Bauen. Gewiß, die gewerbsmäßigen Häuserhündler haben zur Vertheuerung großstädtischer Wohnungen mit beigetragen, aber nicht einen so großen Theil, als man ihnen anfzubürdcn pflegt: denn die Preise der Häuser werden sich immer so ziemlich in den Grenzen der Her stellungskosten halten, die ihrerseits wieder durch den allgemeinen Wettbewerb der Bauunternehmer ihre Rege lung finden. Auch die Bodenspekulation hat preis treibend gewirkt, aber nur an dem Factor deS Ge- büudewerthcs, den der Bauplatz bildet und der bei groß städtischen Miethhäusern doch in der Regel sehr erheblich hinter die Kosten der Bauausführung zurücktritt, soweit cs sich uicht um irgend eine besonders bevorzugte Stadt lage handelt. Wohl die wesentlichste und dabei eine sehr natürliche Erhöhung der Wohnungsmiethen bildet die fortgesetzte Steigerung der Banpreise. Wenn man die be trächtlichen Erhöhungen der Matcrialprcise in den letzten Jahrzehnten und die noch mehr ins Gewicht fallenden Steigerungen der Löhne für Bauhandwerker, bet gleich zeitiger Verminderung der Arbeitszeiten, endlich die be reits erwähnte bessere Ausführung in Betracht zieht, so wird man die Erhöhung der Wohnungsmiethen voll kommen verstehen. Wir möchten diese Ausführungen des amtlichen Stati stikers nicht überall unterschreiben. Der Einfluß der großstädtische» Bode«- und Hüuserspeculation auf den Mietpreis scheint uns denn doch stark unterschätzt: richtig ist, daß die Erhöhung der Matcrialprcise und der Arbeiterlöhne die Wohnungsmiethen mehr beeinflussen, als man vielfach annimmt. Augenblicklich ist bekanntlich ein Sinken derselben cingetreten. Nehmen sic bei günstiger Eonjunctnr, was wahrscheinlich ist, wiederum eine steigende Tendenz an, so werden sich auch die Mieth- preisc noch weiter erhöhen, wenn es nicht gelingt, eben jene Boden- und Hüuserspeculation einzudämmcn und Feuilleton. Eine Luß-plau-erei. Von C. Reichner. Nachdruck verboten. Der Kuß ist eine ganze Seele. ),Der Küß ist das erste und letzte Wort der Liebe!" sagt -er französische Romanschriftsteller Adolphe Belot: während unser deutscher Romantiker Ludwig Tieck erklärt: „Der edle Kuß — der Liebe heiligster Genuß!", und der geistvolle Satyriker Saphir die Liebes-Küsse und -Schwüre mit Bricfsicgeln vergleicht, die „heiß aufgcdrückt und kalt gebrochen werden." „Warum die Menschen sich eigentlich küssen?" hat schon Scheffel's weiser Kater Hidigeiget gefragt. Ja, warum küssen sich die Menschen? Oder, richtiger gesagt: Warum küssen sie sich „jetzt"? Denn allem historischen Anscheine nach ist der Kutz trotz seines hohen Alters im ganzen Alterthum in seiner heutigen Bedeutung nicht ge würdigt worden. - Wer wohl der eigentliche Erfinder oder Entdecker — bczw. Erfinderin oder Entdeckerin — des ersten Kusses war? Vielleicht der erste Mann, das erste Weib! Wenigstens berichtet die Tage, daß einst im Paradiese ein fürwiyigcs Bienlcin dem ersten Menschenpa^re als Weg weiser gedient habe, weil es von den rothen Granat- blüthcn, für die es Frau Eva'S Lippen hielt, süßen Honig naschen wollte. Vielleicht auch stammt der allererste Kutz von einer anderweitigen Beobachtung des Naturlebens her: dem Schnäbeln und Atzen der Vögel, oder, wie es der englische Schriftsteller Steele im 17. Jahrhundert ausdrückt: „Die Natur ist die Urheberein des Kusses." Darwin aber, Eng lands großer Naturforscher und Affentheorettker, be hauptet, „wir Europäer seien des Küssen« so gewöhnt, daß man es für der Menschheit angeboren halten könnte, und daß es im Grunde darauf beruhe, mit einer geliebten Person in Berührung zu kommen —", ein Vergnügen, das verschiedene Nationalitäten, wie Neuseeländer und Lappen, durch das Aneinanderreibcn der Nasen kund- geben, während andere Volksstämme durch das Reiben oder Klopfen der Arme oder Brust oder durch Streicheln deS eigenen Gesichtes mit den Händen und Füßen Anderer denselben inneren Triebe folgen. Wie bei den verschiedenen Nationen geküßt und nicht geküßt wird, darüber ließen sich interessante, für die Völker charakteristische Studien machen. Sehr beliebt ist -er Kuß, spcciell der Wangcnkuß, in Frankreich. Dort küssen sich nicht nur Gatte und Gattin, Bruder und Schwester. Freund und Freundin, sondern eS widerspricht auch nicht der Schicklichkeit, wenn die Frau de« Hauses bet besonderen Gelegenheiten einem Freunde die Wange zma »«ff« -arbtetet. Weniger gebräuchlich ist der Kuß in England, auch unter den Familienmitgliedern. Namentlich küssen sich die Männer uicht, die zuweilen — falls sic der obersten Gesellschaft angehören — damit sogar gegen ihre Gattin nicht gerade verschwenderisch zn sein scheinen. Sv soll ein Herzog von Somerset einst seiner zweiten Frau, ob- wohl sic gleichfalls hoher Abkunft war, eine ernste Rüge erthcilt haben, als sie sich „erdreistete", ihn in einer liebe vollen Anfwallnng zu küssen. „Mylady!" sprach feierlich der stolze englische Aristokrat, „meine erste Gemahlin war eine geborene Percy, und doch hätte sie sich nie eine solche Freiheit mir gegenüber herausgenommen!" Noch zurückhaltender betreffs des Kusses ist man in Schottland. Dort küßt sogar die zärtlichste Mutter ihren Sohn nur selten, selbst dann nicht, wenn er noch im Kindesalter steht: ist er aber schon erwachsen, so würde sie glauben, sich durch einen Kuß geradezu in ihrer Würde etwas zu vergeben. Da man in den nördlichen Ländern, wo meistens der Mund geküßt wird, den Kuß in erster Linie als Privilegium für Liebende zu betrachten pflegt, so zählt das Gesetz sogar den Raub desselben zu den „straf baren Handlungen" und verurtheilt ihn als folche. Ein originelles „Kubverbot" wurde vor einiger Zeit im freien Amerika geplant. Man wollte die Straßen bahnwagen in New Äork mit Placatcn zieren, welche die denkwürdige Inschrift „Umarmen und küssen nicht ge stattet!" tragen sollten, da die Abendpassagiere dieser Wagen sich vielfach über die Zärtlichkeiten der mitfahreu- dcn Liebespaare beschwerten. Etgenthümltcher Weise giebt es Land und Leute, die das Küsten gar nicht kennen, weder in China, noch in Japan, in Indien oder Birma, wo selbst eine liebende Mutter gar nicht daran denkt, bas Rosenmäulchen ihres kleinsten Herzblättchens zu küssen. Ein gern gesehener Gast ist der Kuß dagegen in einigen alten Volksgebräuchcn, z. B. beim alljährlichen Oster- Bruderkuß der Russen, der den Unterschied von Rang und Stand, auch zwischen Mann und Weib, für kurze Zeil durch allgemeine« Wangenküsten aufhebt. Tin festliches Kuß-Cercmoniell herrscht auch in Griechenland für vor schriftsmäßige MaffenauStheilung von Küsten bet gewißen feierlichen Gelegenheiten, -. B. bei der Vermählung des Kronprinzen, wo die Braut nicht weniger als 150 Küsse im Familienkreise auSzuthetlen hat. Seltsam ist der Kußbrauch einer Gemeinde Rumäniens, am Tage des heiligen Theodor fS. November), wenn zu Halmagen der große Jahrmarkt stattkindet, an welchem die Einwohner von 60 bis 80 Dörfern theilnehmcn. Namentlich junge, neuverheirathete Frauen sind es, die dort in ihrem schünstenSchmuck erscheinen, mit Blumen ge zierte Weinkrüge in den Händen tragen, und Alles, was ihnen begegnet, erst küssen und dann den Krug zum Nippen darbieten, worauf sie der Titte gemäß ein kleines Geschenk für diesen Doppelgrub erhalten, besten Zurück- weisen eine arge Beleidigung der Spenderin, wie ihrer -an»«« FmnUt«, d»d«tt»n »ttrd«. Was d«n Ursprung dieses altrumänischen Volksbrauches beim sogenannten „Kuß-Markt" zu Halmagen anbelangt, so lautet die wahr scheinlichste der verschiedenen Erklärungen, daß derselbe jener Zeit entstammt, als die Türken in Rumänien ein fielen, um junge Frauen zu rauben, denen es jedoch ge lang, glücklich wieder aus der Gefangenschaft zu entfliehen. In ihrer Herzensfreude über diese unverhoffte Rettung sollen sic bei ihrer Heimkehr nach Halmagen, wo gerade Jahrmarkt war, Jeden, der ihnen in den Weg kam und sie beglückwünschte, zum Gruß und Dank geküßt haben. Auch andere historische Küsse haben sich ein Andenken bei der Nachwelt gesichert, z. B. jener „politische" Kuß, den einst die schöne, geistvolle Herzogin von Dcvonshire in England einem Londoner Mctzgcrmcister gab, da sie er klärt hatte: Wer für den Herzog, ihren Gemahl, bei der Wahl stimmen werde, erhalte von ihr einen Kuß! Sie machten alle Beide ein gutes Geschäft damit. Der Metzger meister sorgte für Stimmen und der herzogliche Kuß wurde ihm zur wirksamen Reclamc. Eine zweite politisch-historische Kuß-Erinnerung bildet der militärische Kuß-Handel der Herzogin von Gordon, welche, als es in England noch schwer hielt, Soldaten anzuwerben, jedem Recruten, der iu die Armee eintreten würde — einen Kuß oder einen Schilling bot, was einen Veteranen zu dem Compliment veranlaßte: „Ein Schilling ist ein gar vergänglich Ding, dagegen ein Kuß von den Lippen der gnädigen Frau Herzogin läßt jahrelang balsa mischen Duft auf dem Munde des Soldaten zurück!" Schöner noch, jedenfalls aus schönerem Munde, war das Compliment, welches einen historischen Kuß anderen Genres begleitete, den einst im 15. Jahrhundert Marga rete von Schottland, Gemahlin des Dauphins und späteren Königs Ludwig XI. von Frankreich, am dortigen Hofe dem geistvollen, witzigen Redner und Dichter Alain Char tier (1886—1449), genannt „Vater der Beredtsamkeit", gab, al« sie den berühmten, ungewöhnlich häßlichen Mann in seinem Sessel cingeschlafen fand. Auf den entsetzten Ruf ihrer Hofdame, daß sie den häßlichsten Mann von ganz Parts geküßt habe, erwiderte die Prinzessin ruhig: „Ich habe nicht ihn geküßt, sondern seinen Mund» der so viel Schönes sagt!" Auch zu den Kliffen von gewissermaßen historischem Werth, wenngleich viel neueren und moderneren Datums, sind wohl diejenigen zu zählen, welche e« zu einer renom- mirteu Specialität im Gesellschastsleben gebracht, wie z. B. der bekannte Pfänderknß, den der satyrischc Eduard Maria Oettinger „Wein ohne Blume, Punsch ohne Rum, Luppe ohne Salz" nannte, ferner die beliebten „Baisers" der Berliner, oder die flitzen „Busserl n", die eine nationale Schleckeret im Süden Deutschlands bilden. Sogar im Tanzschritt hat der Kuß die Welt erobert, als: '„II Soeoio", der italienische Kuß-Walzer von Arditt, vor einigen Jahrzehnten überall die Runde machte. Die verschiedenen und verschiedenartigen, hervorragen den Specie« der Küsse zu registriren, dürste fast unmöglich sein. B,lch' «kn« »,U« Scala ltegt »wifchen -«« heißen Liebes-, zärtlichen Gatten-, warmen FreundschaftS», väter lichen Strnkuß und dem gedankenlosen Gewohnheits-, kühlen Cercmonten-, formellen Gratulations-, falschen Judaskuß! Welch ein Unterschied besteht zwischen dem schüchternen oder ehrfurchtsvollen Rcspectkuß auf die Hand, von welchem unser großer Epigrammatiker Fried rich von Logau >1604— 1655) einst gesagt: „Jungfern, Ench die Hände küssen, Pflegt Euch heimlich zu verdrießen, Weil man läppisch zngewandt, Was dem Mund gebührt — der Hand!" und jener demuthsvollen UnterthänigkeitS-Bezeuguug slawisch-sclavischcr und orientalischer Nationen, die bis zum Küssen des Gewandes oder dessen Saum, ja bis zum wirklichen oder symbolischen Berühren des Erdbodens sich steigert — zum Kuß des Staubes, den der Fuß des zu Ehrenden gestreift! Uebcrhauvt spielt die Symbolik beim Kuß, spcciell bei dem Handkuß, keine kleine Rolle, vom religiös-sinnbild lichen Handkuß eines ErzbischofeS an, der eigentlich dem Ringe — dem geweihten Zeichen seiner Würde — gilt, an der weltlich-symbvlifchen Grußform des lebenslustgcu Wieners: „Küß' die Hand!", die er mehr im Mund, als auf dem Munde führt —, bis zum wesenlosen „Lnftknß", der sich dnrch „Kußhand" und „Kußfinger" oder durch leichte, flüchtige oder auch nur scheinbare Berührung irgend eines Gegenstandes mit den Lippen äußert, um per Distanz zu grüßen. Eine interessante Kuß-Statistik" soll ein verstorbenes Original der Neuzeit ausgestellt und der Mit- und Nach welt zu Nutz und Frommen hinterlassen haben — über die Zahl der Küste nämlich, die „er" und „sie" — seine Gattin — im Laus von 20 Jahren austauschtcn! Austs erste Jahr der Ehe kamen nach dieser höchst lehrreichen Kuß-Cbronit nicht weniger als 86 500 Küste, was allerdings unglaub lich klingt, da eS 100 Stück per Tag betragen würde! Im zweiten Jahr blieb freilich nur die Hälfte, im dritten nicht viel mehr als ein Rest von 10 Küsten übrig, die im fünften Jahr auf 2 — Morgens und Abends — zusammen schmolzen. bis endlich der Kuß ausschließlich nur noch zum Symbol für ganz besonders festliche Gelegenheiten ward! Trotz dieser beklagenSwcrthen Vergänglichkeit alles Irdischen ist dem „LiebeSkuß" von jeher der „Oranck prix" zuerkannt worden! „Ja — solch ein Kuß — daS ist ein Kuß!" rühmt Lessing in seinem Gedicht, welches erst den Kinder-, FreundschaftS-, Vater- und Schwesterkuß schildert: und viel früher hat der erste Lyriker de« 17. Jahrhundert«, Paul Fleming, schon gesagt: '„Küsse nun ein Jedermann, Wie er will, soll und kann — Ich nur und die Liebe misten, Wie wir urk« recht sollen küfsenN
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