Volltext Seite (XML)
^ 272, 24, November 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. 14479 Literatur im Auslande angestellt <vgl. meine Ausführungen im Börsenblatt 1907 Nr. 298 v. 23. XII.) und ist dabei zu dem sonderbaren Schluß gekommen, daß der Absatz des fran zösischen Buches im Auslande zurückgehe, und daß daran nie mand anders schuld sei als der böse deutsche Sortimenter, der durch seinen Wandertrieb überall hinkomme, und der den Ab satz des französischen Buches aus ganz chauvinistischen Gründen und in böswilliger Absicht zugunsten des deutschen zu hindern suche. Merkwürdig berührt auch, daß Herr Le Roux, der natürlich kein Chauvinist ist, nur die Prospekte des Norddeutschen Lloyd erwähnt, nicht aber diejenigen eng lischer, amerikanischer und französischer Schiffahrtsgesellschaften, die ebenso harmlos und mit ebenso »verlockenden« Bildern geschmückt sind wie die ihrer deutschen Konkurrenten. Übrigens fordert diese Enquete des »Matin«, der jetzt plötzlich als Bundesgenosse des Buchhandels im Kampfe gegen die Schundliteratur auftritt, zu einem Vergleich mit der Literatur heraus, die der »Matin« selbst unter die Leute bringt, und dabei zeigt sich folgendes Bild: Außer Raub-, Mord- und Ehebruchs geschichten, die so breitspurig wie möglich ausgeschlachtet werden, sind namentlich die zwei bis drei Feuilletonromane im »Matin« von einer Güte, die dem, was wir unter wirklicher Schundliteratur verstehen, in nichts nachstehen. Es ist noch gar nicht so lange her, da mußten sogar in dem wenig prüden Paris Plakate, durch die der »Matin« einen besonders »hervor ragenden« neuen Feuilletonroman ankündigte, und die eine wenig oder gar nicht bekleidete Frauensperson darstellten, «stellenweise« wieder überklebt werden. Und dabei gibt es Leute, und zwar ziemlich viele, die glauben, daß alles, was im »Matin« steht, oder gerade deswegen, auch wahr sein müsse! Was wohl der Norddeutsche Lloyd, ein Beispiel moderner Industrie und deutschen Unternehmungsgeistes, dazu sagen mag, daß er, wie im »Matin« zu lesen steht, als Verbreiter von Schundliteratur schlimmster Sorte gilt?! Herr Artheme Fayard, der erfolgreiche Verleger und Vorkämpfer aus dem Gebiete der billigen Kollektionen, ist in den letzten Tagen mit einem neuen, groß angelegten Unter nehmen an die buchhändlerische Öffentlichkeit getreten. Die neue Kollektion, die in Ausstattung, Format und Preis der erfolgreichen »lilocksiu-Libliotbeque« desselben Verlegers sehr ähnlich ist, soll zum Unterschied von dieser nur Werke drama tischen Inhalts umfassen, und bringt, ganz wie ihre Schwsster- kollektion, nur Werke moderner zeitgenössischer Autoren. Wie alle Fayardschen Verlagsideen, so ist auch diese in ihrem Grund gedanken so naheliegend, so einfach, daß man sich jetzt, wo die Kollektion erschienen ist, mit Erstaunen fragt, warum nicht schon längst jemand daraus verfallen ist. Ganz wie von der »Uocksrn-Libliotbsquo« soll auch von dieser neuen Sammlung, die den Gesamttitel »Uocksrn-TtlsLtis« führt, nur je ein Band monatlich erscheinen und immer zwei bis drei Dramen oder Schauspiele enthalten, jeweils wie für den Preis von SS Cts. eben gegeben werden können. Soviel Material bieten die großen Pariser Bühnen im Laufe eines Jahres immer, — NN Stoff wird es also dem »Nockein-llReLtio« voraussichtlich nie fehlen, so wenig wie ihrer Schwesterkollektion, und sollte dieser Zustand wirklich einmal eintreten, so finden sich unter den erfolgreichen Stücken der letzten Jahrzehnte immer noch genug Lückenbüßer. Die Sache hat aber noch eine andere Seite. Bis jetzt wurde in Frankreich der Verlag von Dramen und Schauspielen genau nach dem althergebrachten Schema des 3,SO Frcs.-Romans betrieben. Nun wissen aber Verleger wie Sortimenter, daß das Publikum Theaterstücke im allgemeinen nur ungern kauft; ja der Sortimenter, wenigstens der französische, verwendet sich nicht einmal gern dafür. ^Es ist eine bekannte Tatsache, daß chie^Sortimenterbestellungen auf einen^erfolgreichen dramatischen Roman eines ganz erstklassigen Autors auch nicht den zehnten Teil der Höhe der Bestellungen wie aus den Roman selbst erreichen, auch wenn der Bühnenerfolg noch so groß war. Der Verleger, um seine Ware überhaupt loszu werden, versucht sie in den Zwischenpausen im Theater, in dem das Stück gespielt wird, zu verkaufen; aber auch dort ist der Erfolg gering; es ist nämlich nicht jedermanns Sache, sich für den teuren Preis von 3,SO Frcs. einen Band von unbe quemem Format zu kaufen, den man nirgends unterbringen kann und den inan den ganzen Abend über uneingepackt in der Hand tragen muß. Die natürliche Folge davon ist, daß weder der Autor, noch der Verleger, noch endlich der Sorti menter viel Seide spinnen mit der Buchausgabe dramatischer Werks. Nun kommt Herr Fayard mit seinem neuen Unter nehmen und hilft gleich allen dreien: der Autor, dessen Werk vielleicht im vergangenen Jahr einen bedeutenden Bühnen erfolg erzielte, aber seither von andern verdrängt wurde, erlebt noch einmal eine kleine Auferstehung in Buchform, der Verleger ist froh, ein Werk, nach dem niemand mehr fragte, noch aus diese Weise verwerten zu können, und gibt das Nach drucksrecht vielleicht für ein Butterbrot her, der Sortimenter endlich, dessen Abneigung gegen die billigen Kollektionen von Tag zu Tag geringer wird, verkauft lieber einige Partien eines Buches zu SS Cts. als gar nichts. Dazu kommt, daß das Publikum in den fünf Jahren, die die Uocksiu-Libliotliequs jetzt besteht, sich sehr an das äußere Gewand dieser Kollektion, die man in jedem Schaufenster findet, gewöhnt hat, und da die neue Theatersammlung äußerlich ihrer erfolgreichen Schwesterkollektion zum Verwechseln ähnlich sieht, so läßt sich ihr schon aus diesem Grunde ein ziemlicher Erfolg Voraussagen. Der leitende Gedanke des Verlegers, der sich wie ein roter Faden durch fast alle Fayardschen Unternehmungen hindurch- zieht, tritt auch hier klar zutage: Herr Fayard wendet sich mit seinen Publikationen weder an das reiche Publikum, das nach wie vor den 3,80 Frcs.-Band kauft, noch an die breite Masse des Volkes, sondern an die großen Schichten der Bevölkerung, die zwischen diesen beiden Klassen stehen, den sogenannten Mittelstand. Der Verleger geht dabei von der richtigen Voraus setzung aus, daß die gewöhnliche Arbeiterbevölkerung Werke von Paul Bourget, Prevost, Hervieu, Lavedan u. a. weder lesen noch überhaupt verstehen würde, wie denn solche Werke dem Bolksempfinden viel zu fern liegen; ferner, daß der Preis von 3,SO Frcs. für ein Buch für Leute des Mittelstandes zu hoch sei, daß aber dieselben Leute sich gern dasselbe Buch kaufen würden, wenn sie es für den dritten oder vierten Teil dieses Preises haben könnten, und ich gestehe, daß auch ich zu diesen Leuten gehöre. Der Erfolg nicht nur der Fayardschen, sondern auch deutscher Kollektionen, wie Reclam, Spemann, Engel horn, Meyer, Hendel, Hesse, Ullstein, Kürschner u. a. hat gezeigt, wie richtig die Voraussetzung aller dieser Verleger war, und wie groß das bücherkausende Publikum des Mittel standes ist, wenn man ihm gute Bücher für wenig > Geld bietet. So gut die Fayardschen Kollektionen und andere auch sein mögen, einen großen Nachteil, — ganz abgesehen von den meist minderwertigen Illustrationen und dem zweispalti gen Druck, — haben sie alle, und das ist das Format. Dieses Format von 17x24 om nimmt den Werken, die äußerlich einem Heft der Deutschen Rundschau oder Velhagen L Klasings Monatsheften ziemlich ähnlich sehen, säst den Charakter eines Buches; sie sind dadurch gleich unpraktisch zum Lesen, zum Tragen, zum Aufbewahren. Merkwürdigerweise sind fast alle Verleger billiger Kollektionen auf dieses Format verfallen, ich will nicht sagen Fehler, da sich durch das größere Format und den zweispaltigen Druck auch die Bogenzahl bedeutend I«7S>