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^ 61, 13. März 1908. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. b. Dtschn. Buchhandel. 2969 II. Die Untersuchung der verschiedenen Fassungen führt uns zu nachstehenden, ihre Tragweite und Folgen genauer an gebenden Bemerkungen: 1) Wie der Vertrag, dessen Bestandteil sie bildet, so entfaltet die Klausel ihre Wirkung vom Tage des In krafttretens des Vertrages und keineswegs etwa vom Tage der Unterzeichnung desselben an, da dieser Tag gar oft von demjenigen der Ratifikation und des Vollzuges zeitlich weit entfernt ist*). Aus diesem Grundsatz folgt, daß die Kom bination, die dadurch entsteht, daß einem Dritten von seiten eines der vertragschließenden Teile in aller Form günstigere Zugeständnisse gemacht werden, erst von dem Moment an rechtskräftig wird, wo diese Zugeständnisse auch verwirklicht werden, d. h. wo die Abmachung, in die jener Dritte als Partei eintritt, auch ihrerseits in Kraft getreten sein wird. Somit ist hier der Tag der wirklichen Gültigkeit der Verträge von entscheidender Bedeutung. Die ganze Kom bination kann dadurch völlig umgestaltet werden, daß ein Vertrag, der früher unterzeichnet wurde als ein anderer, dennoch später als letzterer ratifiziert wird, wie wir dies an einem Beispiel zu beweisen Gelegenheit haben werden. 2. Die einer dritten Macht eingeräumten Zugeständnisse dürfen nicht in dem Sinne in Bausch und Bogen zusammen genommen werden, daß die zugestandenen Vorteile einzig und allein in Verbindung mit den möglichen Nachteilen zur Geltung gelangten.**) Es geht nicht an, folgende Schluß reihe aufzustellen: Ein gewisses Land ist, alles in allem ge nommen und ganz allgemein gedacht, das meistbegünstigte; somit ist die gerade ihm zukommende Behandlung, mag sie auch mit einigen Einschränkungen durchsetzt sein, auch auf die übrigen, im Genuß der Meistbegünstigung stehenden Nationen anzuwenden, und zwar als Ganzes, die genannten Einschränkungen inbegriffen. Eine solche Schlußfolgerung würde auf ganz willkürliche Konsequenzen hinauslaufen: Ein Land würde gerade ein besonderes Zugeständnis vom Stand punkt seiner Interessen aus als das wesentlichste ansehen, während ein andres Land einen andern Vorteil als den nachhaltigsten bezeichnen würde. Daraus ergibt sich mit zwingender Notwendigkeit, daß das Summum der Zu geständnisse sich auf jede einzelne weitherzigere Bestimmung an sich bezieht. Das Rechtsverhältnis zu Dreien kann also ein ganz verschiedenes sein, jenachdem es sich um die Schutzdauer oder um den Schutz des Übersetzungsrechts oder um den Schutz des Aufführungsrechts usw. handelt; es hängt einfach vom Stande der Erleichterungen ab, die für jedes dieser Einzelrechte dem am meisten begünstigten Dritten eingeräumt werden. 3. Wie aus dem oben unter Ziffer 1 Gesagten erhellt, ist der Tag des unmittelbaren Inkrafttretens des neuen Ver hältnisses zu Dreien derjenige, von welchem an der Staat in irgend einem der hier in Betracht kommenden Punkte dem Staate 0 eine Besserbehandlung zugute kommen läßt; *) Es gibt auch eine Anzahl Verträge, die wohl unterzeichnet, aber nie ratifiziert wurden, also ohne Wirkung blieben, (übers.) ") Als Beispiel diene hier die irrtümliche Auslegung des ehe maligen schweizerisch - französischen LiterarvertragS von 1882 in einem Prozeß (Strauß-Halövy o. Bosson u. Coilomb, 2b. Sept 1891, Droit ä'Lutsur 1891, S. 130; Kritik 1892, S. 106), wo das schweizerische Bundesgericht den französischen Komponisten die günstigere Behandlung im Aufführungsrecht nur unter der Be dingung der Anwendung der kürzern Schutzfrist gewähren wollte, die in dem nämlichen Vertrage vorgesehen war; zur Erhärtung seiner Ansicht machte das Gericht nämlich geltend, die beiden Art. 20 u. 21 des Vertrags von 1882 bildeten ein eng verbundenes Ganzes von Zugeständnissen, die man nicht von einander trennen dürfe. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 7S. Jahrgang. diese Behandlung kommt dann unverzüglich durch die der Klausel innewohnende Kraft (»ohne weiteres«, »unmittelbar« usw. heißt die Formel) dem Staate L zu, der durch diese Klausel früher mit dem Staate verbunden war; das Gleiche ist hinsichtlich des letzteren Staates der Fall, wenn der Staat L den Staat 6 begünstigt. Das neue Verhältnis erlischt auch in der nämlichen Weise, ohne besondere Benachrichtigung oder Verab redung, am Tage, wo die einem Dritten gewährten Zu geständnisse ihr Ende erreichen, es sei denn, die beiden Staaten ^ und L verständigen sich ausdrücklich durch ein besonderes Abkommen dahin, daß sie die angeknüpften Beziehungen auch ohne Rücksicht auf die mit dem Staate 6 bestandenen weiter führen wollen. 4. Abgesehen von der allgemeinen Tragweite der Klausel ist nunmehr in bezug auf ihre Wirkung, und soweit das Datum des Inkrafttretens in Frage steht, der Begriff der meistbegünstigten Nation näher zu definieren. Ist dies diejenige Nation, die in diesem Zeitpunkt die bevorzugte Stellung als meistbegünstigte schon einnimmt, oder aber diejenige, die sie erst dereinst einnehmen wird und zwar auf Grund von Zugeständnissen, die Dritten nachträglich gemacht werden? Jenachdem die Antwort auf diese Frage ausfällt, nimmt die Kombination eine andere Gestalt an. So be günstigt gegenwärtig Deutschland die Vereinigten Staaten am meisten, und zwar kraft des am 15. Januar 1892 ab geschlossenen Vertrags, der den amerikanischen Autoren in Deutschland die völlige Gleichbehandlung mit den Ein heimischen zusichert. Bezieht sich nun die mit andern Staaten vereinbarte Klausel auf die meistbegünstigte Nation, die bereits im Besitz der verabredeten Vorteile sich befindet, beats, po88iä«v8, dann treten die später begünstigten Staaten sofort und ohne weiteres in den Genuß der gleichen Vorteile ein. Hat dagegen die Klausel erst die zukünf tigen Zugeständnisse im Auge, so fällt die den Amerikanern seit dem 2. Mai 1892 zugesicherte Behandlung nicht in Betracht. In dieser Hinsicht sind die Klauseln verschieden abge faßt und verteilen sich in zwei Gruppen. In der ersten stehen 12 Verträge, in denen ausdrücklich und ausschließlich nur von künftigen Zugeständnissen die Rede ist, was durch Fassungen ausgedrückt wird wie: »Vorteile, die später ein geräumt werden; Vorteile, die vereinbart werden können; wenn in der Folgezeit usw.; wenn einer derselben größere Vorteile einräumen sollte« usw. Diese Gruppe umfaßt folgende Abkommen: Deutschland mit Belgien, Frankreich und Italien; Belgien mit den Niederlanden und Spanien; Frankreich mit Italien und Spanien; Spanien mit Columbien, Ecuador, Guatemala, Italien und Portugal. Die zweite Gruppe beschränkt sich darauf, die Behand lung auf dem Fuße der meistbegünstigten Nation zu ver einbaren, also die Behandlung, die derjenigen Nation zuge sichert ist, die schon beim Abschluß des Abkommens am meisten begünstigt war oder die späterhin am meisten be günstigt werden wird. Die ausführlichsten Fassungen hierüber finden sich im Vertrage zwischen Frankreich und Ecuador vom 1. Juli 1905 und besonders in demjenigen zwischen Spanien und Mexiko vom 26. März 1903. Der letztere spricht geradezu von den Vorteilen, die eine der Parteien irgend einem Staate bereits zugestanden hatte oder zugestehen würde; da die Formel hier somit sehr weit gefaßt ist, so zieht dies folgende Konse quenzen nach sich: gar keine auf seiten Mexikos, d. h. hin sichtlich der von den Spaniern in Mexiko geltend zu machen den Rechte, da die schon vorher mit letzterem Lande in Beziehung getretenen Länder dort auch nur die Gleichbehand- 385