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wöchentliches Unterhaltes-w,r Herausgegeben Z"n Jahrgangs Jntelligenzblatt. fürs Jahr 1815. 53stes Stück. Sonnabends, den 19. August. Die Diamanten. Eine morgen ländisch« Anekdote. Der Khalif Almansor war der niedrigen Schmeichelepen seiner Günstlinge müde, und sehnte sich nach einem treuen Freunde, der den Muth hätte, ihm die Wahrheit zu sagen. Aber wo sollte er ihn finden? Wie sollte er Wahrheit von Lüge unterscheiden, wo derje- nige, welcher redet, so viele Vortheile von der Lüge erwarten kann? Nach langem Sinnen glaubte er endlich ein gutes Mittel gefunden ju haben. Es lebte in Bagdad ein Man«, Namens Claim, der ein Buch über die Pflich ten der Fürsten geschrieben hatte, worin sich einige sehr dreiste Anspielungen auf Alma«- for's erste Regierungsjahre fanden. Man hatte dem Khalifen schon oft gerächt«, das Buch verbrennen und den Verwegenen tödten zu lassen, der es gewagt, die Schritte seines Gebieters zu tadeln. Aber Almansor hatte bis jetzt Jedermann im Zweifel gelassen, welches Schicksal er dem kühnen Claim bereitete. — Eines Tages liest er ihn vor sich rufen, und mit ihm neun Höflinge, die er für feine erge- bensien Freunde hielt. An jedem seiner Fin- ger glanzte ein großer Diamant. Ich habe euch alle zehn hier versammelt, in der Hoff, nung, daß ihr mich die Wahrheit werdet hören lassen. Seht hier zehn kostbare Dia manten, welche der Lohn eurer Aufrichtigkeit seyn sollen. Redet, was haltet ihr von mei ner Macht und meinem Ruhme? Geblendet von der Größe und Schönheit der Diamanten, hoffte jeder Höfling einen zu erhalten. Sie priesen um die Wette Alman- for's Größe, sie erhoben ihn über alle Helden der Vorzeit, sie rühmten mit vollem Munde seine Großmuth, feine Liebe zu den Künsten, deren Wiederhersteller sie ihn nannten, sie sprachen mit Begeisterung von den prächtigen Palästen, von den zahllosen Moscheen, die er erbaut hatte. Der Khalif zog neun Diaman- ten von feinen Fingern, und vertheilte sie