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X- 58, 8. März 1928, Redaktioneller Teil. Börsenblatts, d. Dtschn. Buchhandel. Der behäbige, bejahrte Bürger sitzt hinter dem Nürnberger großen Kachelofen, aus der gepolsterten Ofenbank eingeschlasen, und der Teufel bläst ihm ins Ohr; da steht ein nacktes junges Weib vor dem Träumenden, das Glück in reizvoller Darstellung, geboren aus dem grübelnden Gemüte Dürers, In ähnlichem Empfinden bezeugt der Künstler menschliches Fühlen so gern in seinen Teuseldarstellungen, Bei aller grauenhaften Fratzen hastigleit dieser Teufelgestalten der Ungetüme tritt häufig eine gewisse Gutmütigkeit hervor. Man sehe sich den hundemäßigen Teufel an in: Ritter, Tod und Teufel; er verfolgt zweifellos mit Teilnahme den unerschrockenen Ritter, der sich weder um Tod noch Teufel kümmert, ' Den gleichen Ausdruck des Mitleides hat der gefesselte Satan, den der Engel auf dem Schlußblatt der Offenbarung anschließt, gewissermaßen Mitleid mit sich selbst. Ebenso die höllischen Phantasiegebilde, die Christus den Eintritt in die Hölle zu verwehren sich anschicken. Es ist das ein ganz eigentümlicher Zug, der Dürers Humanität entspringt und seinem Deutschtum, Dürers Gott Vater und Gott Sohn, auch die Jung frau Maria sind Verkörperungen rein deutschen Gemütes, Vielleicht ist von keinem anderen Künstler die Gestalt des Hei landes so tief und innig erfaßt worden wie von Dürer, Er idealisiert Christus nicht, sondern stellt ihn so dar, daß die Figur Boden unter den Füßen hat, aber in allem Schmerz und Leiden des Erlösungswerks mit einer Hoheit und Reine umgibt er den Gottessohn und macht ihn stets zum Mittelpunkt der Dar stellung, Ebenso ist sein Gott Vater der väterliche Fürst und Richter, zu dem er vertrauend ausblickt, so in dem Blatte Die heilige Dreieinigkeit und in andern Blättern, Die Tragik des Menschenlebens, durch eigene Schuld begründet, und die Er lösung daraus, die Dürer so ergreifend im sitzenden Schmerzens mann ausspricht, läßt Dürer die tiefsinnigen Blätter schaffen: Adam und Eva unter dem Baum; Die Melancholie; Ritter, Tod und Teufel und Hieronymus in der Zelle; so den Lauf des Menschenlebens zeigend, die Schuld, die verzweifelnde Traurig keit, das furchtlose Durch, die Kontemplation des Alters. Diese vier Blätter gehören zu den begehrtesten Kupferstichen des Meisters; auf jeder Kunstauktion, auf der gute Original abdrucke dieser Stiche Vorkommen, entbrennt ein heißer Kampf um den Besitz derselben, den annähernd nur eine Anzahl Ra dierungen Rembrandts in gleicher Weise entfachen. Bei jeder Graphikversteigerung alter Meister bilden diese beiden Meister stets den Höhepunkt des Interesses der Sammler. Von Liebreiz und Innigkeit strahlen die zahlreichen Madonnendarstellungen, sei es Mutter und Kind allein, sei es die heilige Sippe; hier tritt vielfach auch die Landschaft, welche die Komposition abschließt, lebendig hervor, wie auch in den Blättern: Das große Glück, St. Hubertus, Die Kanone und anderen, Zeugnis gebend, wie Dürer auch als Landschafter dem Figurenzeichner sich ebenbürtig zeigt. Wie unerschöpflich seine Phantasie spielt, ersehen wir am schlagendsten in den Randzeichnungen zum Gebetbuche Kaiser Maximilians, Profanes und Heiliges, Heiteres und Herbes, tägliche Vorkommnisse und Spekulatives, Tier- und Pslanzen- ornamente und momentane Einfälle verbinden sich zu einem harmonisch-phantastischen Ganzen, das sprühend von Orginalität den Beschauer gefangen nimmt. In einem Gedenkwort ist nicht Raum, um aus dem Reich tum der graphischen Blätter Dürers noch Einzelnes hervor zuheben, obgleich mancher Stich und mancher Holzschnitt durch seine Originalität und Vollendung dazu verleiten könnte. Den Maler Dürer habe ich hier ganz außer Betracht ge lassen; steht man vor seinen vier Aposteln in München oder vor dem Holzschuher-Porträt in Berlin, vor seinem Selbstbildnis mit den herabwallenden Locken, so fühlt man die Größe der male rischen Qualitäten des Meisters, Die Individualität steigt aus der Schongauerschen Gotik der Kleidersalten siegreich hervor und offenbart Dürers Blick und Können für die kommende Zeit der Renaissance, Und wie als Künstler, so ist er auch bemüht, als Theoretiker sein Erkennen und Wissen den Zeitgenossen mit- zutetlen in seinen Schriften über die Proportion des menschlichen Körpers, über die Befestigungen der Städte und Schlösser, über Neuschaffung der Buchstaben und anderes. So steht der Künst ler, ausgereist nach allen Seiten, dem reformatorischen Geist 262 seiner Zeit zugewandt da, als er, resigniert, den runden, gelben Fleck an der linken Seite seines Körpers zeichnet, durch den er seine Erkrankung beschreibt. Er stirbt als Mann, nehmt Alles nur in Allem, wie Shakespeare sagt, und steht in diesem Sinne vor unseren Gedanken als deutscher Künstler in seinem ganzen Umfange, M. Ziegert. Albrecht Dürer in der erzählenden u. dramatischen Literatur. Von MaxRomanowski- Leipzig. Auf dem St, Johannisfriedhos zu Nürnberg vor den Toren der Stadt befindet sich nahe den Gräbern des Dichters Hans Sachs und des Humanisten Willibald Pirkheimer die letzte Ruhe statt des genialsten Künstlers des ausgehenden Mitfelalters, den alle Welt längst neben den berühmtesten Malern aller Zeiten zu suchen weiß. Eine schlichte Bronzetafel zu Häupten des Grabes trägt die Inschrift: -Dem Gedächtnis Albrecht Dürers! Was sterblich war an Albrecht Dürer birgt dieser Hügel. Er ging am 6, April 1528«, , Der eben erwähnte Willibald Pirkheimer, Dürers Freund, hat ihm diese Worte gewidmet. Zum vierhundertsten Male also fährt sich der Todestag des Meisters, So zahlreich auch besonders seit 1884 die Schriften sind, die des größten deutschen Malers der Reformationszeit gedenken und dessen Bedeutung als Künstler und als Mensch würdigen, hat das Jubiläumsjahr viele neue Werke auf den Markt gebracht, die sich nicht nur mit Dürers künstlerischem Schöpfertum, son dern mehr noch mit seinem Leben und Charakter befassen, — in denen wir lesen können, daß der Grundzug im Wesen des Genius wohl tief ernst gewesen ist, daß er anderseits aber auch recht fröhlich sein und mitscherzen konnte, wo es nach seinem Ermessen angebracht schien. Früh schon in allerlei Fertigkeiten geübt, da ihn sein Vater, der ein angesehener Goldschmied war, zeitig zu dieser Kunst er zog, entschied sich der Knabe nach kurzer Lehrzeit dennoch für die Malerei und die verwandten Künste und brachte es darin zu hohen Leistungen von unvergänglichem Ruhme, über 1200 Zeich nungen, Holzschnitte, Kupferstiche und Porträts zeugen von seinem Fleiß und reifen Können. Durch ihn wurde allen Völ kern erst offenbar, was deutsche Kunst ist, -Er hatte sie einst« — so lesen wir in einem Dürer-Roman —, »allsiegend wie die Sonne, durch sein heiliges Ringen zu unsterblichem Leben er weckt.« — Des Meisters nie rastender Geist aber beschäftigte sich nicht nur mit der Malerei und Kupferstecherei, sondern er verwendete namentlich seine letzten Lebensjahre fast ausschließlich zur schrift stellerischen Tätigkeit: zur Abfassung von Werken rein theo retischen Charakters, die sich zumeist mit der allgemeinen Ver messungslehre, der Befestigungskunst und menschlichen Propor tion befaßten. Fesselt besonders in dem letzten sehr bedeutungs vollen Werk (»Vier Bücher von menschlicher Proportion«) vor wiegend der hohe und reine Begriff, den Dürer von der schönsten aller Künste hatte, so wirken seine Briese aus Venedig und das Tagebuch, das er auf einer Reise nach den Niederlanden führte, rührend in ihrer unbefangenen Kindlichkeit. Albrecht Dürers Schriften sind längst jedem in Lange und K, Fuhses Werk »Dürers schriftlicher Nachlaß aus Grund der Ori ginalhandschristen und theilweise neu entdeckter alter Abschriften herausgegeben, Halle 1893» nachweisbar. Ja, man hat dem Künstler sogar buchhändlerische Fähigkeiten nachgesagt, wie das ein Artikel von F, Treusreund: »Dürer als Buchhändler» im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel Jg. 1902, S. 8308 ff. zeigt. Arbeitsam flössen seine Lebensjahre dahin; aber trotz vieler Ehrungen, die ihm sogar von zwei Kaisern persönlich zu teil wurden, blieb er ein schlichter, frommer und einfacher Mann, Zwar wirkt sein Geist in allen seinen Werken fort, heute noch genau so wie zu seinen Lebzeiten; aber wie kaum einem Sterb lichen je sein Erdendasein zum Quell reinster Freuden und un-