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1034 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 19. 25. Januar 1910. Staatsregierung zur Kenntnisnahme zu überweisen; im Plenum sei dieser Antrag gegen vier Stimmen angenommen worden. Diesmal liege wiederum eine Petition, und zwar aus Zwickau, vor, nämlich vom Verbände offener Ladengeschäftsinhaber. In den ersten Tagen dieses Monats sei vom Leipziger Verkehrs- verbande wiederum eine Petition eingegangen, die denselben Gegenstand behandle. Der Leipziger Berkehrsverband führe in seiner schriftlich vorliegenden Petition treffend aus, daß, wie aus den Verhandlungen bei Beratung des Gesetzes über die Sonntags- ruhe im Jahre 1870 hervorgehe, may zweierlei dabei beabsichtigt habe: erstens die Wahrung des Anspruches jedes einzelnen auf Freihaltung der Sonntage für seine persönliche Ruhe, seine körperliche und geistige Erholung und Stärkung, zweitens die Fernhaltung der Störung des öffentlichen Gottesdienstes an diesen wie auch an Fest- und Bußtagen. Es sei treffend auch gleichzeitig in der Petition ausgeführt, daß der Schutz der einzelnen Person, namentlich der Handelsangestellten, gegen übermäßige persönliche Ausnutzung durch die Prinzipale doch reichsgesetzlich geregelt worden sei, so daß kaum eine Ver anlassung vorliege, daß eine einzelne Regierung noch einen besonderen weitergehenden Standpunkt einnehme und weiter gehende Vorschriften erlasse. Was nun aber die Störung des öffentlichen Gottesdienstes und der kirchlichen Gemeinde anlange, so sei darüber viel gesprochen und geschrieben und oft erklärt worden, daß man in der Offenhaltung eines Schaufensters eine Beeinträchtigung der kirchlichen Gesinnung und eine Störung der Andächtigen, die zur Kirche wollten, durchaus nicht erblicken könne. Wenn man bedenke, daß es in vielen deutschen Bundesstaaten bereits ohne offensichtlichen Nachteil für die kirchliche Sonntagsfeier erlaubt sei, die Schaufenster offen zu halten, so glaube die Deputation, daß man sich doch den Verhält nissen anderer deutscher Staaten anschließen könne. Was den Standpunkt der Regierung anlange, so müsse man jedenfalls heute zugestehen, daß die Bewegung zugunsten des Offenhaltens der Schaufenster an Stärke zugenommen habe. Wenn die Regierung sage, es entspräche diese Bestimmung bei uns einer althergebrachten Sitte, und es erscheine daher der Hinweis auf andere Staaten, wo andere Einrichtungen bestünden, nicht angezeigt, meine er, gerade dieser Hinweis habe eine ganz besondere Bedeutung. Wenn sich bei uns eine große Anzahl Einwohner des Landes durch eine gesetzliche Maßnahme beschwert fühlten, die in anderen Ländern nicht bestehe, so werde man natürlich eine gewisse Verdrießlichkeit bei der sächsischen Bevölke rung Hervorrufen und eine gewisse Sehnsucht nach den günstiger erscheinenden Bestimmungen des übrigen Deutschen Reiches. Wenn weiter die Regierung in dem Gutachten vor fünf Jahren gesagt habe, es sei das nur eine Beeinträchtigung anderer wirt schaftlicher Interessen, so meine er, nach diesem Gesichtspunkt könne man auch ein Gesetz erlassen, daß überhaupt alle Schau fenster gesetzlich verboten würden, weil alle die, die sich keins leisten können, dadurch beeinträchtigt würden. (Sehr gut!) Es seien heute noch zwei Eingaben erfolgt, und zwar die eine aus der Handelskammer in Plauen. Die Handelskammer Plauen habe eine Umfrage bei den Geschäftsleuten des Handelskammer bezirks veranstaltet, und da habe sich die weit überwiegende Mehrheit für Aufhebung dieses Absatz 5 des § 3 in dem in Frage kommenden Gesetze entschieden, und der Ausschuß habe dann bei der Handelskammer beantragt, die Handelskammer Plauen wolle beim Ministerium des Innern und bei den beiden Ständekammern befürworten, daß der § 3 Absatz 6 des Gesetzes vom 10. September 1870 auf gehoben und das Offenhalten der Schaufenster an allen Sonn- und Festtagen auch während der Zeit des Gottesdienstes ge stattet wird. Die Handelskammer Plauen habe am 17. d. M. diesen An trag einstimmig angenommen, und er sei, um ihn heute noch mit vorzubringen, zugestellt worden. Gleichzeitig sei vom Gau Sachsen des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbands, Sitz in Hamburg, eine Gegenpetition eingegangen, in der die Herren nachzuweisen suchten, welche Arbeit den Handlungskommis und den kleinen selbständigen Geschäftsleuten durch die Beseitigung dieser Bestimmung verursacht würde. Die Handlungsgehilfen würfen sich da freiwillig als Anwälte für die kleinen Geschäfts leute auf, während sie doch sonst immer eigentlich nicht gerade in sympathischer Beziehung zu den selbständigen Gewerbe treibenden und Handeltreibenden stünden. Die Deputation be- antrage, beide heute vorliegenden Petitionen der Staatsregierung zur Erwägung zu übergeben. Gtaatsminister Graf Bitzthum v. Eckstädt (nach den steno- graphischen Niederschriften): Meine Herren! Die Schaufensterfrage ist gewiß keine Lebens frage, weder für den Königlich Sächsischen Staat, noch für die Kirche, noch auch für den Gewerbestand; aber sie hat doch immer- hin ihre ernsten wirtschaftlichen und sittlichen Seiten, und von beiden Gesichtspunkten bedarf sie einer eingehenden Betrachtung. Ich wende mich also zunächst der wirtschaftlichen Seite zu. Die Petenten und auch der Herr Berichterstatter haben da rauf hingewiesen, daß ein allgemeines Bedürfnis der sächsischen Gewerbetreibenden bestünde, das die Aufhebung der Bestimmung im Absatz 6 des 8 3 des Gesetzes über die Sonntagsruhe ver lange. Es wird in der Petition gesagt, diese Bestimmung hätte mit der Sonntagsruhe überhaupt nichts zu tun; ja, die Be folgung der Bestimmung verursache nur mehr Arbeit durch das Auf- und Zumachen der Läden, durch das Abräumen und Ein räumen der Waren, es beeinträchtige den Fremdenverkehr und nehme der werktätigen Bevölkerung die Gelegenheit, die Schau fenster zu besehen und sich über die Güte der Waren zu unter richten. Nach den Eindrücken, die ich beim Studium der Akten gewonnen habe, muß ich sagen, scheint mir doch ein so allge meines Bedürfnis des gesamten Handelsstandes nicht anerkannt werden zu können; ja nicht einmal die Mehrheit der hierbei interessierten Kreise scheint mir für die Aufhebung der Bestimmung einzutreten. Ich glaube vielmehr, daß das Interesse an einer Aufhebung des Verbots des Offenhaltens nur von einer Minder heit vertreten wird, die es allerdings versteht, mit großer Rührig, keit ihren Standpunkt geltend zu machen. Der Herr Vorredner hat ja bereits den Standpunkt der Re- gierung dargelegt, er hat auch in loyaler Weise darauf hin gewiesen, daß die Regierung sich auf verschiedene Eingaben und Erklärungen von Vereinen und Körperschaften bezogen hat. Aber da er den Inhalt dieser Erklärungen und Eingaben nur einzugehen. Zunächst liegt mir hier eine Eingabe des Verbandes der Deut schen Handlungsgehilfen vor, datiert aus Leipzig vom 28. Juli 1905. Darin wird u a. ausgeführt: »Wir sind nun der Meinung, daß eine Offenhaltung der Schaufenster ein geeignetes Mittel ist, erneut die Aufhebung der Sonntagsruhe zu begehren, weil die Offenhaltung der Schaufenster, wie von den Gegnern ausgeführt wird, zum Kaufe anreizt.« Weiter ist gesagt: »Die Offenhaltung der Schaufenster ist die erste Etappe im Kriege gegen die Sonntagsruhe. Wir müssen auch noch darauf Hinweisen, daß bei Offenhaltung der Schaufenster jemand im Geschäft sein muß, der die Beleuchtung regelt, der also bei Sonnenschein die Markisen herunterläßt oder die Vor hänge zuzieht und der später, wenn die Gefahr des Ver derbens der ausgestellten Waren vorüber ist, die Fenster wieder öffnet. Da die meisten ausgestellten Waren empfindlich gegen Sonnenlicht sind, so wird an schönen Sonntagen die Ver meiden müssen.« Die Eingabe bezieht sich dann weiter auch auf Verhand lungen, die vor dem Beirate der Arbeiterstatistik vom 10. bis 13. April desselben Jahres geschwebt haben, und es wird da die Aussage eines Hausdieners zitiert, der vor dem Beirate ver nommen worden ist. Derselbe sagt: »Wenn die Sonne scheint, sind auch die sogenannten Mar kisen herunterzulassen; scheint nun die Sonne bis nachmittags V,6 bis 6 Uhr, dann muß der Hausdiener sie wieder Hoch ziehen, so daß man fast den ganzen Sonntag in Anspruch ge- nommen ist; so geht es mir und allen meinen Kollegen.« In ähnlichem Sinne spricht sich auch der Deutschnationale Handlungsgehilfenverband aus in einer Eingabe vom 16. März 1905 an das Dresdner Stadtverordnetenkollegium. Es find aber nicht nur die Angestellten, die mit Recht be fürchten, daß ihnen durch das Offenhalten der Schaufenster