Was ist christliche Dichtung? 77 dem Streben zu suchen, den Kontakt zwischen der geistigen und natürlichen Welt, dem Sein und der Erscheinung, welcher durch die erste Tat der Menschengeschichte, den Sündenfall, unterbrochen wurde, wieder zusuchen."*) Im Bilde, als dem vollkommensten Ausdruck der Kunst, schließen sich alle sinnlichen Eindrücke zur höheren Einheit zusammen. Nur in der Lehre von der Wiederherstellung der gefallenen Natur, die das Heidentum geahnt, das Christentum ausgesprochen und ver wirklicht hat, gewinnt das in der Kunst zum gedrungensten Ausdruck der Idee gewordene Bild seine letzte spekulative Begründung. Vom Stand punkt des Hartmannschen Pantheismus ist ein solch belebender innerer Gegensatz undenkbar. Wo Natur und Geschichte nur die Inkarnation des absoluten Geistes sind, steht die Kunst auf einem toten Punkt. Es fehlt der Gegensatz von Sein und Erscheinung: alle Dinge erscheinen notwendig wie sie sind, und sind, was sie erscheinen. So erweist sich der Zweifel Hartmanns an der künstlerischen Fruchtbarkeit der „Zukunstsreligion" als das Vorgefühl, daß eine große, echte und vor allem eine tragische Kunst überhaupt nur möglich ist, wenn sie in dem christ lichen Gefühl als ihrem letzten Grunde ihre Wurzel hat. 1) Bgl. Muth, Die Kunstanschauung I. v. Führichs (Hochland, Sept. 1907, S. 707 ff.).