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64 Das Ewig-Weibliche und die Kunst Leben und Denken ihre befruchtende Kraft zieht. In dieser Eigentüm lichkeit stellt sich uns die Frau, und zwar die katholische Frau, als die Vertreterin eines älteren Typus unseres Geschlechtes dar, als die Ver treterin einer Zeit, die, wie das Mittelalter, sich in der Einheit ihres Glaubensbewußtseins noch nicht beunruhigt fühlte, und daher mit der vollen Naivität des an seine religiösen und künstlerischen Ideale Hin gegebenen schöpferisch sich ausleben konnte. Während aber die Frau, und vielleicht die katholische Frau noch allein, in dieser dem künstle rischen Schaffen so günstigen Lage verharrt, ist die übrige Menschheit aus der einheitlichen Geschlossenheit des Fühlens, Glaubens und Den kens in die Besonderung dieser Tätigkeiten vorgerückt. Auf der einen Seite sehen wir diese Spaltung des Bewußtseins noch immer vorschreiten und sogar die Sicherheit des natürlichen Instinktes untergraben; auf der anderen Seite aber, und in intellektualistisch weniger einseitigen Individuen, treibt eben dieser Instinkt wieder zu einer Synthese. Es ist vor allem der religiöse Mensch, von dem diese letzte Ent wicklung ihren Anfang nimmt. Mit seinem ganzen Wesen fühlt er sich auf diese Einheit seiner Kräfte angewiesen. Sie in das richtige Verhältnis zueinander zu setzen ist eine Grundforderung seiner Natur, sofern sie nach Vervollkommnung strebt. Hier liegt auch die letzte Ur sache für den Widerstand, den diese kritisch auflösenden Tendenzen gerade aus dem religiösen Bewußtsein der katholischen Gemeinschaft heraus, durch den Mund des kirchlichen Lehramtes, immer wieder erfahren: Die Voraussetzungen für ein gesundes religiöses Leben trägt nur der jenige Mensch in sich, dessen Denken und Fühlen einheitlich ist. Es ist kein Zufall, daß die Tendenz zur Vereinheitlichung sich auch auf dem Gebiet der Künste geltend macht. Religion und Kunst haben darin immer etwas Verwandtes gehabt, daß sie, obgleich von ver schiedenen Endmotiven ausgehend, in der Forderung von Einheit des Denkens mit dem Leben zusammentrafen. Der große Künstler wird diese Forderung in seiner Person stets unbewußt erfüllt zeigen. Nicht so jene Kunsttalente, in welchen die künstlerischen Anlagen der Gegenwart ihren Ausdruck suchen; sie müssen bewußt anstreben, was dem Genie unbewußt eigen ist. An dieser Erkenntnis sind wir lange Zeit vorbei gegangen, bis eine tiefere begriffliche Erfassung dessen, was Kunst ist, uns wieder auf die rechte Spur leitete. Erst als wir anfingen, uns über das tiefere Wesen der Kunst zu besinnen, indem wir uns fragten: Was ist Kunst an sich, was ist sie im Gegensatz zur Natur, zur Wissen-