VI. Das Ewig-Weibliche und die Kunst. (^st es ein Zufall, daß unter den Katholiken seit langer Zeit die Frauen die lebendigste und tiefgreifendste Wirkung durch Phantasie schöpfungen ausüben? Seit dem Ausgang der Romantik haben wir keinen männlichen Dichter katholischen Bekenntnisses, der es verstanden hätte, ein Stück Lebenserfahrung aus der Tiefe des Zeitempfindens heraus allgemeingültig za gestalten. Daß Friedrich Wilhelm Weber dies getan habe, wer wollte es ernstlich behaupten? Seine bekannteste Dichtung steht nicht nur formell, sondern auch inhaltlich ganz in Abhängigkeit von jener Epigonen-Poesie, die in Scheffel, Roquette und Baumbach ihre vor bildlichen Vertreter hat. Nur durch den größeren Ernst der Weltbetrach tung, durch den historisch bedeutsameren Vorwurf und das Hereinspielen des religiösen Moments ist er diesen überlegen. Das war es auch, was seinen Erfolg bei allen christlich Gesinnten begründet hat. E. von Handel-Mazzetti ist das erste katholische Dichtertalent, das seit den Tagen der Romantik wahrhaft innere Freiheit des Erlebens und ungehemmtes Verstehen fremden Daseins und Schicksals in ihrer Kunst zeigt, so daß ihre Dichtung tatsächlich eine Welt im kleinen darstellt. Wahre Liebe und echte Güte sind nicht umsonst der Grund zug ihres Wesens und Weltbetrachtens. Indem sie die Menschen mit solchen Blicken ansieht, enthüllt sich ihr immer zuerst das Reinmensch liche und Leidende an ihnen. Eine solche mitleidende Erkenntnis stimmt zur Milde und entfernt jene Schranken, die es den allermeisten Menschen schwer, ja unmöglich machen, in fremde Denk- und Wesens art liebevoll verstehend einzugehen. Und doch liegt in diesem Eingehen in fremdes Wesen das Geheimnis aller dichterischen Menschengestaltung. Durch mitfühlendes Verstehen anderer erhöht sich unser Leben über sich selbst, und die persönliche Erfahrung gewinnt einen ungeahnten Zuwachs an neuen Motiven und Einsichten, die der eigenen Existenz nicht in