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Konfession und Dichtung 51 Von Dichtern auf einen toten Punkt zu führen, von dem aus jede starke und nachhaltige Wirkung auf die Zeit, geschweige denn darüber hinaus, unmöglich würde. Wohl ist es richtig, denn die Geschichte lehrt es, daß in allen Zeitaltern von vorwiegend kritischer, skeptischer, agnosti- scher Tendenz die Kunst entweder Zwecksache wurde oder sich in Form spielerei verlor, in positiv gerichteten Zeiten aber bald zu hoher Blüte kam. Das ist keine Entdeckung unserer Tage, denn schon Goethe bekannte sich zu dieser Ansicht und sprach sie gegen Eckermann mit den Worten aus:^) „Wenn einer singen lernen will, sind ihm alle diejenigen Töne, die in seiner Kehle liegen, natürlich und leicht; die anderen aber, die nicht in seiner Kehle liegen, sind ihm anfänglich äußerst schwer. Um aber ein Sänger zu werden, muß er sie überwinden, denn sie müssen ihm alle zu Gebote stehen. Ebenso ist es mit einem Dichter. Solange er bloß seine wenigen subjektiven Empfindungen ausspricht, ist er noch keiner zu nennen; aber sobald er die Welt sich anzueignen und auszusprechen weiß, ist er ein Poet. Und dann ist er unerschöpflich und kann immer neu sein, wo gegen aber eine subjektive Natur ihr bißchen Inneres bald ausgesprochen hat und zuletzt in Manier zugrunde geht. Man spricht immer vom Studium der Alten; allein was will das anders sagen als: Richte dich auf die wirkliche Welt und suche sie auszusprechen; denn das taten die Alten auch, da sie lebten. . . . Ich will Ihnen etwas entdecken, und Sie werden es in Ihrem Leben vielfach bestätigt finden. Alle im Rückschreiten und in der Auflösung begriffenen Epochen sind subjektiv, dagegen aber haben alle vorschreitenden Epochen eine objektive Richtung. Unsere ganze jetzige Zeit ist eine rückschreitende, denn sie ist eine subjektive. Dieses sehen Sie nicht bloß an der Poesie, sondern auch an der Malerei und vielem anderen. Jedes tüchtige Bestreben dagegen wendet sich aus dem Innern hinaus auf die Welt, wie Sie an allen großen Epochen sehen, die wirk lich im Streben und Vorschreiten begriffen und alle objektiver Natur waren." Man weiß, daß Goethe sich mit dieser theoretischen Erkenntnis nicht begnügt hat. Überall, wo sein dichterischer Instinkt rein waltete, hat er auch nach dieser Erkenntnis geschaffen und er fühlte seine Kraft wachsen, sobald er, wie im Faust, in Iphigenie, Tasso und Hermann und Dorothea, eine Welt von zum Teil absoluter Gültigkeit und fast durchgängig objek tiver Bedeutsamkeit im Rücken hatte, während ihm beim Prometheus bald 1) Gespräche mit Eckermann. Hrg. v. Bartels, I, S. 210. Leipzig 1902. 4*