48 Konfession und Dichtung für die Poesie. Die gefundene Idee, von welcher die Philosophen sprechen, ist für die Poesie von schwachem Werte. Was man in diesem Zusammenhänge .Idee' nennt, das kann für die Poesie gar nicht ge funden werden. Es muß nicht bloß gedacht werden, es muß entstanden, es muß geworden sein. Die Poesie hat es nur auszusprechen, die Kunst hat es nur zu gestalten, es muß vorhanden sein, wenn auch nicht für den Alltagsblick; es muß Geschichte sein oder wenigstens auf dem Punkte der Reife stehen, um durch die Tat des Künstlers als geschichtlich emp funden und anerkannt zu werden. Weil dies nicht zugegeben wird, richtet die fordernde philosophische Kritik soviel Verwirrung an in unserer Poesie, und weil dies nicht eingesehen wird, treffen die katholisch oder protestantisch schaffenden Künstler nur ein vergangenes oder nur ein einseitiges Leben." Seit Laube diese Sätze schrieb, hat sich mit dem allgemein fort schreitenden kirchlichen Jndifferentismus auch im literarischen Schaffen ein tiefgehender Wandel vollzogen. Im selben Maße, als die Glaubens streitigkeiten an religiöser Schärfe und positiver Form verloren haben, hat sich das protestantische Prinzip vollständiger subjektiver Freiheit bis zu seiner letzten Konsequenz und damit eine direkte Gegnerschaft gegen jegliche Glaubensgebundenheit herausgebildet. Die literarische Produktion erweist sich auch hier nur als getreuer Spiegel der Wirklichkeit. Die Frage des Konfessionellen im historischen Sinne dieses Wortes hat für die Li teratur der Gegenwart daher keinerlei Bedeutung mehr. Von einer prote stantischen Dichtung in der positiv-theologischen Ausprägung dieses Wortes kann man überhaupt nicht reden. Was an schöner Literatur aus diesem Anschauungskreis erzeugt wurde und erzeugt wird, ist so unbedeutend, daß es für eine Geschichte der Dichtkunst überhaupt nicht in Betracht kommt. Selbst Klopstocks Messias und die vielen geistlichen Liederdichter jener Zeit weisen neben den allgemein-christlichen Elementen der Dich tung, die sie auch uns allezeit verehrungswürdig machen, keine irgend wie lehrhaft protestantischen Anschauungen etwa über Erbsünde, Recht fertigung, Glauben oder Kirche auf und sind nur durch gelegentliche, unkünstlerisch angehängte Ausfälle*) sowie durch negative Eigentümlich keiten eigentlich konfessionell. 1) So enthält z. B. Klopstocks Messias einzelne polemische Ausfälle gegen den „Papismus", die, wie Gervinus anmerkt, den „ausschließend prote stantischen Charakter" verraten.