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Konfession und Dichtung 47 der lebendige Punkt unserer Kuristformen. Sprecht von Liberalismus, von Konstitution, von Republik, ihr findet nur gebildete Zustimmung oder Ablehnung, ihr findet nur jenen matten Ton, welcher dem ab strahierten Interesse entspricht. Sprecht von Luther, vom Papst, vom Glaubensbekenntnisse, und die Äußerung leidenschaftlichen Anteils fliegt euch entgegen. Ich weiß wohl, daß dies unseren Ohren nicht angenehm klingt. Die Sorg; um das Ewige ist uns verleidet worden; der Streit um Symbole, deren wir uns nicht bedürftig fühlen, scheint uns störend, solange nicht die große Anzahl schwebender Fragen um irdische Formen erledigt ist. Aber ich frage nicht nach dem, was uns gefällt, sondern nach dem, was vorhanden. Außerdem glaube ich auch, daß eine Nation wie die unsrige gar wohl angetan ist, aus diesen Glaubensstreitigkeiten ein freies, tiefes Moment für ihre Lebensformen zu gewinnen, welches dem hierin oberflächlichen Franzosen und dem hierin äußerlich pedantischen Engländer fehlt, ein Moment neuer Poesie, nachdem die Fragen über Glaubensbekenntnisse abgeklärt sind zu klassischen Sätzen poetischer An schauung. Leider sind unsere Glaubensstreitigkeiten nicht durchgefochten worden, und die Nation ist in einer Spaltung verblieben, welche jeg licher Kunst die Existenz unter uns erschwert. Denn die Kunst erhebt sich bei uns entweder ganz und gar über die geschichtliche Seele des Vaterlandes und bleibt eben dadurch in einem gewissen abstrakten Ver hältnisse zur Nation, wie wir dies bis zur Trostlosigkeit erlebt haben und erleben, oder sie schließt sich den Traditionen eines Glaubens bekenntnisses an und verfällt dadurch der Parteiung. Diese Parteiung ist nichts so Geringes, als der katholisch oder protestantisch dichtende Künstler glauben mag. Jener fühlt sich stolz in der Anknüpfung an die große Reihe von Jahrhunderten und meint, eben deshalb sei der göttlich historische Nimbus der seinige. Dieser empfindet sich stolz im Gedanken des Sieges, welchen die prüfende Vernunfttätigkeit geltend gemacht, in der Losung .Vorwärts', und er nennt den Nebel der Zu kunft seinen poetischen Nebel. Aber beide leiden von der unausgefoch tenen Gefchichte. Sie finden Anhang, aber sie finden nicht die Nation. Und' was eine ganze Nation vereinigt, das ist immerdar viel mehr, als was einen Anhang vereinigt. Je mehr Glieder verschiedener Art zu einem Bau vereinigt werden, desto fester und inniger geschlossen, desto reicher und mächtiger ist dieser Bau, desto größere Welt strahlt von ihm aus. Dies ist die großartige Bedeutung dessen, was Geschichte geworden,