Theologie und Dichtkunst 39 Dichter kann also nur Thomas in Betracht kommen. Klärung des Dichtergemütes und der christlich-schöngeistigen Bewegung durch Thomas — sagt Meyenberg und fährt fort: „Ich meine nicht etwa durch die nebensächlichen zeitgeschichtlichen Begleiterscheinungen in seinen Schriften, sondern durch den scharfen, klaren, tiefen Gedankengehalt, durch die wunderbare Harmonie des aristotelisch-scholastischen Systems der christ lichen Philosophie." Meyenberg selbst fühlt, daß er hier — aus Loya lität — einen für unser Thema völlig unfruchtbaren Gedanken ausspricht. Er selber bittet den Leser, doch nicht zu lächeln. Er meint den unwillkürlichen Reiz dazu sofort wirksam zu bekämpfen durch den allgemeinen und sehr richtigen Gedanken: „Es gibt keinen großen Dichter, der nicht irgendwie Philosoph gewesen wäre, und keinen großen Philo sophen, der nicht irgendwie eine innere Beziehung zur Kunst gefunden hätte." Daß die Richtigkeit dieses Gedankens an sich die Fruchtbarkeit des scholastischen Denkens für die Poesie nicht beweisen oder auch nur plausibel machen kann, werden wir noch dartun. Zunächst eine vorbeugende Bemerkung: Meine Stellungnahme in dieser Frage entspricht rein psychologischen Erwägungen und ist weit entfernt von einer Geringschätzung der Scholastik und ihres größten Vertreters, des Thomas von Aquino. Die katholische Kirche verehrt mit gutem Grund in ihm nicht nur den glänzendsten Vertreter der mittelalterlichen Theologie und zugleich den Begründer einer von der Theologie methodisch getrennten christlichen Philosophie, sondern weist auch heute noch mit berechtigtem Nachdrucke auf die unvergänglichen und vorbildlichen Dienste hin, die er der christlichen Theologie ins besondere durch seine erkenntnistheoretischen Untersuchungen der Grenzen und Fähigkeiten der menschlichen Vernunft, mit anderen Worten, durch die Wahrung der idealen Erkenntnisprinzipien geleistet hat und auch in dem Gedankenwirrsal der Gegenwart noch immer leistet. Wenn ich trotzdem von der Art, wie Meyenberg zwischen dem christlichen Literatur schaffen der Gegenwart und der gelehrten Schularbeit dieses mittelalter lichen Philosophen eine Verbindung Herstellen möchte, als von einer müßigen, unfruchtbaren Sache rede, die nur geeignet scheint, neue Ver wirrung in die Köpfe zu tragen, so geschieht cs aus demselben Grunde, aus dem ich ganz allgemein auch die Forderung, der Dichter solle sich von der wissenschaftlichen Theologie inspirieren lassen, als eine elementare Verkennung künstlerischer Psychologie ansehe.