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156 Bon „schaffenden Autoren" von einer auch nur irgendwie dramatischen Anlage der Handlung, der Charaktere kann dabei in keiner Weise die Rede sein. Graf Raymund von Toulouse in dem ersten Stück ist genau derselbe wortreiche Theaterheld wie Arnold, und auch Simon von Montfort wird im Grunde nur durch Worte charakterisiert, d. h. durch das, was er von sich oder was andere über ihn aussagen. Nicht eine Szene, die darauf angelegt wäre, das innere Wesen dieser Menschen tiefer zu begründen und zu enthüllen! Alle entscheidenden Szenen, die zur eigentlichen Wirkung ganz unent behrlich gewesen wären, sind nicht ausgeführt, sondern werden nur gesprächsweise zu unserer Kenntnis gebracht. Plötzliche Wandlungen gehen ohne jegliche psychologische Motivierung vor sich, nur weil die Gestalt des hl. Dominikus betend über die Bühne schreitet! über haupt, diese Dominikus gestalt! Ich würde die Verantwortung für eine Ausführung des Dramas nie übernehmen, denn die Gestalt des Heiligen, so wie sie jeweils als Oeus ex mackina eingeführt und in Aktion gesetzt wird, kann auch Lei der vorsichtigsten Inszenierung nur lächerlich wirken. Ist diese Gefahr bei der hl. Katharina von Siena auch nicht in demselben Maße vorhanden, so gilt doch auch hier, daß wir von dem tieferen Wesen dieser außerordentlichen Erscheinung nichts, aber auch gar nichts erfahren. Wohl aber gehen von ihr Einwirkungen aus, die auf der Bühne schlechthin unzulässig sind, und wenn der Kardinal Cenci im allgemeinen sagt: Die Heiligen, die nicht Wunder wirken, fordern Gar leicht den Spott heraus, so Wird für die Bühne vielleicht gerade das Gegenteil der häufigere Fall sein. In der Tat ist das meiste dieser Art ganz auf die Oper gestellt. Der Dichter verrät in einem Nachwort zu „Simon von Mont fort", daß diese Dramen ursprünglich als Unterlage für eine Komposition Edgar Tinels gedacht waren, der Stoff sei dann aber so angewachsen, daß er sich musikalisch nicht mehr habe bewältigen lassen. Wir wollen gerne darin den Erklärungsgrund für die tieferen Mängel sehen, die den beiden Dramen anhasten und die es ganz unmöglich machen, kritisch an sie heranzutreten, ohne die von Freundesseite vorgenommene Einschätzung gründlich zu zerstören. Aber wie so oft, fo richtet sich auch hier unsere Haupt beschwerde nicht gegen den Dichter, sondern gegen jene Kritiker und Literaturhistoriker, die entweder nicht wissen, wodurch eine dramatische Dichtung literarischen Wert oder Bühnenfähigkeit erhält, oder die sich nicht klar machen, daß sie durch eine oberflächliche, aus reiner Gut mütigkeit entspringende Anpreisung des Unzureichenden zur Hebung des