hohen Anschauungen zurückblickt, die in diesem „Kunstbüchlein" herrschen, der wird sich gewisser wehmütiger Empfindungen kaum erwehren können. Leider ist das „Kunstbüchlein" auf katholischer Seite infolge der lange Jahre hindurch in weiten Kreisen herrschenden allgemeinen literarischen Teilnahmslosigkeit gänzlich unbeachtet geblieben. Kralik scheint sich über diese Ursache nie klar geworden zu sein, sonst hätte gerade er schon kraft der in dem „Kunstbüchlein" vertretenen Anschauungen die Regungen eines selbstbewußten literarischen Lebens wie kein anderer im katholischen Lager begrüßen müssen. Statt dessen hat er sich von Anfang an, ohne jegliche Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse, zu ihrem Gegner aufgeworfen und schließlich der Reaktion verschrieben. Die Ziele und Absichten der neuen Bewegung hatte er von Grund aus verkannt oder sich durch gewisse unvermeidliche, vorübergehende Begleiterscheinungen beirren lassen. Vielleicht auch fühlte er sich enttäuscht, weil ihn die Bewegung nicht unmittelbar ergriffen und emporgetragen hatte. Wie dem auch fei — ich kann nur aussprechen, wie die Dinge in meinem Gesichtsfeld erscheinen — jedenfalls hätte es ihm nicht schwer fallen können, die wesentlich gemeinsamen Interessen und Ziele wahrzunehmen. Kralik selber hat sie später, leider nicht öffentlich, anerkannt, als er von sich und mir als von „zwei Vertretern eines fast identischen Literatur programmes" sprach. Aber es war schon zu spät. Das Verdächtigmachen meiner Bestrebungen als unkirchlicher, unkatholischer, „programmloser" hatten bereits eine solche Form und einen solchen Umfang angenommen, daß ein Zusammenarbeiten nicht mehr möglich war. Dazu kam noch der latente Gegensatz zwischen meinem kritischen Verhalten zu Kraliks poetischer Produktion und seiner Selbsteinschätzung. Wenn ich heute die Beiträge aus Kraliks dichterischen Musestunden im „Gral" ansehe, so bin ich Mir keinen Augenblick darüber unklar, daß diese Verschiedenheit des Geschmackes früher oder später zum Ausbruch eines Konfliktes hätte führen müssen. Daß diese Lage nicht verbessert wird durch die Art und Weise, wie R. von Kralik jetzt seine Kampfstellung zu beleuchten und in eine möglichst idealisierende Perspektive zu rücken sucht, liegt auf der Hand. Er tut es in einem mit Herakleitos beginnenden Aufriß der „Geschichte und Theorie" der literarischen Polemik*) als deren jüngste Phase er die literarischen Gralangriffe hinstellt. Es hängt das durchaus 1) Gral, März 1909, S. 249 ff. Muth, Die Wiedergeburt der Dichtung. 10