126 Schöpferische Kritik Primaswürde auch schreiben: Der König hat ein Wunder gewirkt, denn er hat einen Soldaten zu einem Priester und einen Laien zu einem Erz bischof umgewandelt?) Man sieht, alle diese Einwendungen verfehlen das Ziel. Und doch hätten Einwände gemacht werden können, die unter Umständen auch den Dichter mit Achtung vor seinem Kritiker hätten erfüllen müssen. Man kann nämlich mit Recht sagen, daß die Wandlung des Kanzlers neben der gewiß höchst wirkungsvollen Begründung durch die tiefe seelische Er schütterung doch nebenher auch noch durch andere Umstände beeinflußt sein konnte, und wahrscheinlich auch beeinflußt war, und daß ein Dichter, der diese Umstände mit herangezogen hätte, sein Werk nur umso voll kommener würde gestaltet haben. Was Hefele einst gegen einen die Motive Beckets herabsetzenden Historiker einwandte, das hätte sich der Dichter zu nutzen machen müssen. „Gibt es denn," so fragt der Rotten- burger Bischof, „keinen Fortschritt im menschlichen Streben, und zeigte sich nicht schon im Kanzlerleben Beckets wie ein kräftiger Zug zur Askese, so eine zarte Sorgfalt für die Kirche und ihr Wohl, wenigstens nach einer ihrer allerwichtigsten Seiten hin? (Hefele meint offenbar die Säu berung des Klerus von unzüchtigen Elementen?) Konnten diese Keime während seiner Kanzlerschaft nicht wachsen, konnte er nicht, wie viele Tausende seiner Zeitgenossen von der Unhaltbarkeit des Cäsaropapis mus immer mehr überzeugt werden, zumal er dessen Wirkungen in den traurigen Gestalten der Gegenpäpste (seit Heinrich IV.) vor sich sah?'") Ist somit kein Zweifel, daß die Novelle Meyers inhaltlich voll kommener gedacht werden kann, so bin ich mir bei dem derzeitigen Stand unserer Kritik doch keinen Augenblick darüber unklar, daß auch ein katholischer Erzähler, der an diesen Stoff mit gleich hohen künstlerischen 1) Vgl. Uodsrtsou, Lecket. ? biograpkie. Uvnäon 1859; cax>. 2. 2) Auch in der Novelle läßt Meyer den Kanzler in diefer Rolle auf- treten, so wenn Thomas einmal in herbem Schmerz zu seinem König sagt: „Mein König, diesem törichten Menschen wird es nicht gelingen, die Rechte seines Stuhles als göttliche zu verteidigen. Du wirst sie ihm ent reißen — und dann weg mit ihm. — Er stieß diese Worte verachtungsvoll von seinen feinen Lippen und fügte hinzu: Der Unreine wird sich überdies selbst zerstören. Begnügt er sich doch nicht o Herr, wie deine anderen Bischöfe (gerechter wäre gewesen, den Kanzler sagen zu lassen: wie manche deiner Bischöfe!) Buhlerinnen zu halten, sondern überfällt und verdirbt die unschuldige Jugend." 3) Ebd. V, 539 f.