Schöpferische Kritik Stein, einzelne durch die charakteristische Stellung einer Person zu histo rischen Tatsachen bedingte Äußerungen als absolute dem Dichter zur Last legen, noch die geschichtlich gegebene Stellung in irgend einer Frage zu wirkungsvollerer Ablehnung nach heutigen Gesichtspunkten beur- teilen?) Die Folge eines derartigen Verfahrens kann nur sein, daß der naive Leser durch eine solche Kritik objektiv falsch belehrt, der Wis sende aber zum Widerspruch herausgefordert, wo nicht mit Geringschätzung gegen den Kritiker erfüllt wird. Denn daß die damalige englische Kirche unter schweren Mißständen litt, das ist bekannt. Hieher gehörte vor allem die geistliche Gerichtsbarkeit, das Privilegium kori, wornach alle Kleriker, selbst wegen gemeiner weltlicher Verbrechen, nur vom geistlichen Gericht bestraft werden durften. Johann Bapt. Weiß nennt dies die „schwächste Seite" der englischen Kirche, und der Bischof Hefele schildert die durch das geistliche Gerichtswesen geschaffene Lage mit folgenden Worten: „Da dieses in der Regel viel milder war als die königlichen Gerichte, namentlich nie auf Todesstrafe erkannte, so hatte sich infolge davon die Zahl der Verbrechen unter dem Klerus beträchtlich gemehrt. Namentlich sollen Mordtaten unverhältnismäßig öfter von englischen Klerikern als von Laien verübt worden sein."?) Diese mildere geistliche Judikatur brachte es auch mit sich, daß sich viele um die niederen Weihen bewarben; so auch Thomas Becket, der durchaus nicht Priester, also auch nicht, wie Stein schreibt, „ein sehr weltlicher Priester" war. Wohl aber führte er trotz seiner niederen Weihen nach Hergenröther ein „üppiges Weltleben" und ging als Kanzler „auf alle königlichen Launen" ein?) Daher konnte Bischof von Hereford nach Thomas' Erhebung zur 1) Ich habe vor allem die von B. Stein besorgte Neuausgabe von Keilers Buch: „Konfessionelle Brunnenvergiftung" (Essen 1909) im Auge. Dieser Nachweis konfessioneller Verhetzung in Werken der schönen Literatur ist ursprünglich aus wohlmeinender Friedens gesinnung hervorgegangen. Ein kluger Bearbeiter würde diesem Umstand Rechnung getragen und sich bemüht haben, das Buch zu einem nur noch feineren Friedensinstrument um- und auszubilden. Stein hat dies nicht nur unterlassen, sondern das Buch durch eine Menge übertriebener Urteile, die zum Teil auf Unkenntnis beruhen, seinem bisherigen edlen Zweck ent fremdet. Das ist sehr zu bedauern, weil damit das Buch bei allen einiger maßen Sachkundigen um jede Wirkung gebracht ist. 2) Konziliengeschichte V, 548 ff. 3) Handbuch der allgemeinen Kirchengeschichte. 4. Ausl, von Kirsch. Freiburg 1904, Bd. 2, S. 475.