mische Auswirkung bis in den Stil hinein wahrnimmt, fängt sie an, schöpferische Kritik zu werden. Das Aufspüren von Fehlern da, wo es sich um eine an sich lebens fähige und lebensvolle Schöpfung handelt, ist zunächst eine ganz unter geordnete Angelegenheit. Für die richtige Aufnahme des Werkes kann dieses Aufspüren von Mängeln sogar direkt nachteilig sein, indem eS die Herstellung eines unmittelbaren Kontaktes zwischen dem Genießen den und der objektiven Welt des Kunstwerkes geradezu verhindert. *) Mit dem Fehlerhaften wird die echte Kritik sich daher zuletzt befassen.. Aber auch dann wird sie ein schöpferisches Element in sich trägem, Dies ist der Fall, wenn sie einerseits den Künstler selbst zwingt, über das Geschaffene mit Rücksicht auf ein restloses Aufgrheu seiner Intentionen in dem Verständnis der Ausnehmenden ernstlich nach zudenken, und wenn sie andererseits beim Beschauer den Sinn für das Vollkommene entwickelt und so dessen Ansprüche an die Auswirkung des Schönen, Bedeutenden und Großen im Kunstwerk steigert. Obwohl der Stand einer solchen Beurteilung durch die Stimmungs kritik einer nur dem oberflächlichen Orientierungsbedürfnis dienenden Presse tief herabgedrückt wurde, ist sie doch zum Teil immer noch in wohltätiger Übung. Sie wird in dem Maße wieder zu höherer Gel tung und allgemeiner Anwendung kommen, als das Schaffen unserer Künstler sich von einem absoluten Impressionismus wieder objektiven Schönheitsgesetzen zuwenden wird. Nichts war der Anerkennung solcher objektiven Schönheitsgesetze bisher hinderlicher als die Art und Weise, wie sie aufgestellt und verteidigt wurden. Vor allem muß man sich hüten, solche Schönheitsgesetze von den Kunstleistungen einer einzelnen Epoche abzuleitea, anstatt auch dem regen Suchen der lebendigen Produktion nach neuen Zielen und Mitteln sein Recht werden zu lassen. Denn die Anerkennung der objektiven Gesetze schließt durchaus nicht die Mög lichkeit aus, ihre Formulierung durch die Wissenschaft noch immer volb- 1) „Gewisse Mängel zu besitzen", sagt ein hervorragender Krittler, Saitschick, „ist noch kein Mangel an einem urwüchsigen Dichter. Was. für originelle Vorzüge ein Dichter aufzuweisen hat, wie seine ganze Physio gnomie aussteht, ist sie arm oder reich an Selbständigkeit, steckt hinter ihr ein starker oder ein befangener und nachahmender Geist — das ist die Hauptfrage, welche der kritischen Beurteilung zugrunde liegen muß." (Meister der schweizerischen Dichtung des 13. Jahrhunderts. Frauenfeld 1884, S. 185.)