Schöpferische Kritik. ^VVach zwei Seiten hin kann Kritik schöpferisch wirken: einmal in- dem sie den Schaffenden und sein Werk, zum andern indem sie die jenigen ins Auge faßt, für welche geschaffen worden ist. In beiden Fällen handelt es sich für den Kritiker um die Fähigkeit, das Ge schaffene künstlerisch nachzuerleben. Die Reproduktion des Werkes in der Seele des Kritikers muß dabei zusammengehen mit einer Prüfung durch den Verstand, die der Künstler selber in gleichem Maße nicht aufwenden darf, wenn ihm während des Schaffens die innere Wärme in der kalten Atmosphäre der Kritik nicht verrauchen soll. Aber diese logische und noetische Tätigkeit des Kritikers wird kaum Ersprießliches leisten, wenn sie nicht auf der künstlerischen Fähigkeit beruht, ein Stück Leben innerlich so nachzuschaffen, daß der Kritiker alle Zusammenhänge gleich unmittelbar, lebendig und sicher empfindet wie der Künstler selbst. Durch diese Möglichkeit tritt er direkt hinter, zuweilen auch neben den Künstler. Dieser wird freilich vor dem Re produzierenden stets das voraus haben, daß er niemals an bereits Ge schaffenes anknüpfen muß, um das Spiel seiner inneren Kräfte in Be wegung zu setzen. Der schöpferisch tätige Kritiker ist gleichsam eine nicht ins Gleichgewicht gekommene Künstlernatur. Das Vermögen der Analyse überragt bei ihm das der schöpferischen Synthese so stark, daß er die reine Anschauung und Hingabe an das Objekt nur durch höchste Willenskonzentration erzwingt. Um so müheloser verfährt er da, wo ein Kunstwerk seine Empfänglichkeit reizt und seinen Trieb zu kontrollierender Nachbildung rege macht. Diese innerlich nachschaffende Tätigkeit ist nie ein bloßes Zerlegen, sondern phantasievolle Einfühlung in die jeweiligen Zustände sowohl des Schöpfers als auch seiner Ge stalten. Dadurch kann der Kritiker in höherem Sinne zu einem Mit arbeiter des Künstlers werden. Er nimmt nicht bloß an den Lust-