Modernität 105 stumme Musik seiner Seeke ertönen macht. Wohl wird er in dem Augen blick, da er es tut, den Reichtum der Sprache unendlich vermehren, aber er wird sich auch des Glückes bewußt bleiben, als Erbe einer bereits reichen und ausdrucksfähigen Sprache geboren zu sein. Heißt dies etwa „jede literarische Entwicklung auf die Formel der Modernen festlegen und jeden Versuch, über diese beengende Formel hinaus zukommen, als eine Versündigung am Modernen hinstellen", wie der Gral in immer neuen Wendungen es uns zum Vorwurf macht? Es ist hier klar zum Ausdruck gekommen, daß zwischen der zeit gemäß ausgebildeten persönlichen Dichter kraft und dem zur gleichen Zeit herrschenden Kunstbegriff wohl unterschieden werden muß. Daß der Kunstbegriff weder der naturalistischen noch auch der neuromantischen Dichtung der meine ist, darüber habe ich heute und auch schon früher keinen Zweifel gelassen. Aber vor einem Jahrzehnt kam es weniger auf die Betonung einer richtigen Kunstanschauung als auf die Weckung des poetischen Tatendranges und auf die Ausbildung der dichterischen Persön lichkeiten an. Da war es die Aufgabe der Kritik, die latente künstlerische Kraft mit dem literarischen Leben und Schaffen der Zeit in engere Ver bindung zu bringen, die Dichter zum Bewußtsein der Forderungen «nd der besonderen Bedürfnisse ihrer Zeit zu erziehen, mit einem Wort, es galt, sie modern im besten Sinne des Wortes zu machen. Was heißt nun modern sein im künstlerischen Sinne? Nach dem, was ich bereits ausgeführt habe, kann es kaum mehr fraglich sein. Vor allem: es hat nichts mit der oder jener Überzeugung zu tun! Es besagt einen Zustand des Gemütes, der Empfindungsweise, einen psy chischen Zustand. Der moderne Künstler erlebt seine Zeit innerlich. Ein feinstes Verstehen ihrer Bedürfnisse, ihrer Leiden und Beglückungen, ihrer Zweifel und Verzweiflungen, ihrer Kraft und ihrer Schwäche ist ihm eigen. Wenn er sie um eines höheren Kulturideals willen scheinbar preisgibt, darf es doch nicht aus Zurückgebliebenheit geschehen. Um als Schaffender wirklich einmal die Höhe kunstgültiger Produktion ersteigen zu können, muß mau alle Phasen des geistigen Lebens seiner Nation nicht nur von außen, sondern auch innerlich miterleben und auch dessen Ver irrungen selbsttätig überwunden haben. Wahres Leben läßt sich nie theoretisch bewältigen. Wir wissen und können nur, was wir einmal selbst gemacht oder zu machen ernstlich versucht haben. Der Dichter über zeugt auch nicht, wenn er seine Lebenskenntnis nur theoretisch, nur in tellektuell aussprechen wollte. Wir verlangen, daß sie mit bildnerischer