Volltext Seite (XML)
104 Modernität anderen Kunstschätze (sic!) haben und daher ihre Kunstübung in der Ausbildung dieser Äußerlichkeiten ganz erschöpfen müssen. Wir wolle» die Wage zwischen künstlerischer Idee und ihrer Erscheinungsform gerecht in der Gleiche halten." Ich frage: Warum sollen wir, wenn wir schon die höchsten Ideen, die reichste Weltanschauung, die größten ethischen Werte haben, „den noch" nicht so weit gehen wie jene, die keine anderen Kunstschätze haben? Ideen sind doch noch keine Kunstschätze! Und wieso handell cs sich dabei nur um „Äußerlichkeiten"? Hört denn die Form nicht auf, eine Äußerlichkeit zu sein, wenn sie der Ausdruck der Idee ist? Und sagt Eichert nicht am Ende: „Wir wollen die Wage zwischen künst lerischer Idee und ihrer Erscheinungsform gerecht in der Gleiche hallen"? Wenn das noch einen Sinn haben soll, müssen wir dann nicht schon deshalb, weil wir die höchsten und feinsten Ideen haben, auch nach den verfeinerten und höchsten Darstellungsmitteln streben? Denn nur so kann doch die Gleiche gehalten werden! — Braucht man noch ein Beispiel, wie blinde Opposition selbst die einfachste» Be griffe verwirre» kann, — hier haben wir ein solches. Man glaube doch ja nicht, daß man die von dem Gefühl einer Zeit erstiegcae Höhe auch iu Hinsicht auf das Formale ignorieren könne, ohne seiner Arbeit einen Makel von Unvollkommenheit, wo nicht gar Minderwertigkeit anzuheften. Ist das Resultat der letzte» Jahrzehnte, wie Friedr. Kummer es ausdrückt, tat sächlich „eine gewisse Höhe technischen Könnens, die zu erreichen jeder Dichter stillschweigend verpflichtet war", so kann man sich nicht mit Redensarten darüber hinwegsetzen. Wo ein künftiges poetisches Genie für sein Schaffe» anknüpfen wird, darüber wollen wir heute uns nicht viel Kopfzerbrechens machen. Der Geist weht, wo er will, und das Geheimnis der poetischen Formwerdung ist bei außerordentlichen Naturen schwer zu ergründen. Allein wir reden hier nicht vom Genie, diesem seltenen Geschenk der Zellen und Völker, wir reden von dem bewußte» künstlerische» Literaturschaffen, von der in der literarischen Tradition wurzelnden Produktion höheren Stils, und wer wollte leug nen, daß der Durchgang durch die technische Schule der Zell nicht notwendig, zum mindesten eine ungeheure Förderung wäre? — Ge wiß wird dieser Durchgang an und für sich noch keinen Dichter machen, auch keine Talente beschwören. Aber je reicher das Innenleben eines kommende» Dichters sein wird, je tiefer sein Empfinden, je feiner sein Sensorium, NM so ausgebildeter wird das Instrument sein müssen, auf dem er die