96 Modernität was wir die Antike nennen. Dennoch soll er nicht sowohl den Gegensatz zu dieser als vielmehr das Wesen der zeitgenössischen Dichtung aus sprechen, soweit sie sich als die letzte Phase einer größeren Erscheinung ähnlichen Grundcharakters darstellt. Verglichen mit Bezeichnungen wie klassisch, romantisch ist jener Terminus nur äußerlich und kaum mehr als ein Verständigungswort. Und das muß er immer bleiben, solange als wir nicht die ganze neue Zeit seit dem Ausgang des Mittelalters damit umspannen. Antike, Mittelalter und Moderne sind die drei großen kulturellen Abschnitte in der Menschheitsgeschichte. Keine dieser Epochen schließt die andere völlig aus, sie bauen sich vielmehr logisch übereinander auf, bedingen und ergänzen sich und vererben einander ihren unvergänglichen Inhalt. Das klassische Altertum hat in sich den Höhepunkt innerer, harmonischer Geschlossenheit erreicht. Die christlichen Epochen kämpfen sich in dem langsamen Gang der Jahrhunderte durch den in scharfen Gegensätzen verlaufenden Bildungsprozeß zu einer neuen harmonischen Kulturhöhe empor. Hatte sich das Mittelalter hauptsächlich durch die Richtung des Strebens ausgezeichnet, so erblickt die moderne Zeit viel einseitiger ihre Aufgabe in möglichst großer realistischer Kraftentfaltung desselben. Jedoch erst Kraft in Einstellung auf das rechte Ziel schließt die Verheißung des Großen in sich. So ist die Moderne nichts weniger als ein absoluter Gegensatz zum Mittelalter. Wohl sind die beiden Zeitalter verschieden, sowohl was den Reichtum der objektiven Bildungsgrundlageu als auch was die kritische Erkenntnis unserer subjektiven Fähigkeiten anlangt, ja in bezug auf ihre nächsten Ziele herrscht eine tiefe Gegen sätzlichkeit. Betrachtet man sie aber sub specie aeterm in bezug auf das Endziel des Entwicklungsprozesses, der in dir höchsten Entfaltung mensch licher Kraft zur Verwirklichung des Gottcsreiches besteht, so wird man ihre Verschiedenheit doch nur eine methodische nennen dürfen.*) 1) Sehr beachtenswert ist hier ein Gedanke Deutingers: „Gar manche Gebiete des Lebens waren vom kirchlichen Standpunkte aus nicht wohl zu durchwandern, während eine vom kirchlichen Leben losgerissene Be wegung, ohne sich etwas zu vergeben, in alle Formen und Tiefen sich versenken konnte und dabei doch immer Resultate erzielte, die, zuletzt wieder von dem sittlich-religiösen Bewußtsein erfaßt, die höhere Macht desselben bestätigen mußten." (über das Verhältnis von Poesie und Religion S. 88.) Bei Thomas von Aquin findet sich ein ähnlicher Ge danke sogar über die providentielle Bedeutung der Häresien, ,