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Großenhainer Politische wettschou. Die Budgetdebatte des preußischen Abge ordnetenhauses war für Deutschland das hervor ragendste Ereigniß der vergangenen Woche. In der Regel dauert dieselbe drei bis vier Tage; diesmal erheischte sie nur zwei Sitzungen. Wie kommt das? Weil Eugen Richter fehlte! Die Temperatur ist für die Fortschrittspartei nicht mehr so angenehm wie früher, zumal eö innerhalb der selben zu einem Zerwürfniß gekommen. Der Führer dieser Partei, Eugen Richter, vermochte in seinem Streite mit dem gemäßigteren Professor Hänel nur sechs Stimmen auf seine Seite zu ziehen; er hat also die Majorität nicht mehr hinter sich und ist somit seiner Führerschaft enthoben. Des halb suchte er beim Präsidenten des Hauses um einen un bestimmten Urlaub nach und erhielt denselben. Mag man nun über Richter denken wie man will, die schneidige Kritik des Rechenkünstlers fehlte der Debatte und drückte ihr eine sehr matte Färbung auf. Eine Budgetdebatte ohne Richter ist eine Suppe ohne Salz. Es fehlt wirklich allen Parteien etwas, wenn nicht Richter in dem Etat einige versteckte Millionen auffindet oder einen dreizehnten Hauptmann ent deckt. „Wir treten jetzt gewissermaßen in die Zeit der Milliarden ein" — sagte ver Finanzminister Scholz, da : Etat wirklich als Milliarde bilanzirt oder bilanziren ivll. Für die wachsende Bedeutung Preußens ist das ein gutes Zeichen, viel Einnahmen sind in der Finanzwirthschaft beinahe ebenso wichtig, als viel Ausgaben. Immerhin steht der Finanzminister höher, der viel Ausgaben riskirt, wenn sie nur productiv angelegt werden, als der Sparsame, der nur die disponiblen Büttel verwendet. Bei den sogenannten geordneten Finanzzuständen kann gegebenen Falls das Volk verhungern. Eine andere Frage ist freilich, ob die Einführung einer Besteuerung des Bertriebs von geistigen Getränken und Tabak als Landes st euer, wie sie die preußische Re gierung vorschlägt, nicht eine Verletzung des Art. 35 der Reichsverfassung in sich schließt, wonach die Gesetzgebung über die Besteuerung des im Bundesgebiete gewonnenen Salzes und Tabaks, bereiteten Branntweines und Bieres dem Reicheausschließlich zusteht. In d er That scheinen, wenn nicht mit dem formellen Wortlaut, so doch mindestens NiltcrhMngs- L Anzeigeblatt. Ami8^aü dec Rönig^. de8 Aömg^. Rllä8gerie^8 und de8 Nadims zu Ero^enkniii. Erscheinen: Dienstag, Donnerstag, Sonnabend. Inserate werden bis Tags vorder früh 9 Ubr angenommen. Abonnement vierteljährlich 1 Mark. Druck und Verlag von Herrmann Starke in Großenhain. Verantwortl. Redacteur: Herrmann Starke 86». Gebühren für Inserate von auswärts werden, wenn von den Einsendern nicht anders bestimmt, durch Postnachnahmt erhoben. Nl. 140. Dienstag, den 28. November 1882. 70. Jahrgang. Oeffentliche Sitznna des Bezirksausschusses Sonnabend, den S. Deeember d. I., Nachmittags 3 Uhr im Verhandlungssaale der Königlichen Amtshauptmannschaft. Die Tagesordnung hängt im Anmeldezimmer der Canzlei zur Einsichtnahme aus. Großenhain, am 22. November 1882. Die Königliche Amtshauptmannschast. von Weissenbach. O. Aufgebot. Von dem unterzeichneten Amtsgericht ist beschlossen worden, das Aufgebotsverfahren zu eröffnen: I. auf Antrag des für den Nachlaß Johann Gottlieb Ruhland's in Nauwalda in Gemäßheit der Civilproceßordnung ß 773 ermächtigten Schlossermeisters Gotthelf Reinhold Hintersatz in Großenhain Behufs Herbeiführung der Löschung der auf Fol. 556 des Grund- und Hypothekenbuchs für Großenhain Rubr. III sub 1/l auf Grund des Kaufs vom 19. April, 6ouk. 6. Mai 1808 unter letztgedachtem Dato eingetragenen 25 Thlr. Conv.-Mz. ----- 25 Thlr. 20 Ngr. 8 Pf. im 14 Thalerfuße ----- 77 M. 8 Pf. Reichswährung eventuell sammt Zinsen zu 4 v. H. „Baarentschädigung für Räumung der Auszugswohnung an die Auszüglerin Marie Sophie verw. ischönfeld zu Hain", deren dermaliger Inhaber- unbekannt ist; II. auf Antrag des Gutsbesitzers Earl Fürchtegott Moritz Dorsel in Ponickau Behufs Herbei führung der Todeserklärung des am 17. März 1792 in Schönborn geborenen Sohnes des Bauers Gottfried-Johne, Namens: Johann Gottlob Johne, welcher vermuthlich im Jahre 1812 als Soldat mit in den Krieg nach Rußland gezogen und nach einem undatirten Eintrag im Kirchenbuch für Lampertöwalda „in Rußland verschollen" sein soll; III. auf Antrag Henrietten Emilien verw. Mammitzsch geb. Thieme in Großenhain und Rosalien Anna verehel. Uder geb. Thieme, ebenda, Behufs Herbeiführung der Todes erklärung deö Tuchmachers Friedrich Gottlob Zocher, geboren in Großenhain den 15. September 1810, welcher mit dem Vater der Antragsteller Geschwisterkind gewesen ist; derselbe hat im Herbst 1861 hiesige Stadt verlassen und ist bis jetzt über dessen Leben oder Tod keine sichere Nachricht erlangt worden, es beruht vielmehr nur auf einer Vermuthung, daß er bald nach seinem Weggang im Elbstrom bei Leckwitz den Tod ge funden haben soll; sein Vermögen besteht in einem hier verwahrten Einlagebuch der hiesigen städtischen Sparkasse über 986 M. 10 Pf. nebst Zinsen hiervon seit dem 1. Januar 1877. Es werden daher zu 1. die unbekannten Inhaber der bezeichneten Hypothek, zu II. Johann Gottlob Johne, zu 1U. Friedrich Gottlob Zocher andurch geladen, spätestens in dem auf zu I. den 26. Februar 1883 Vormittags 10 Uhr zu 11. und IU. den 4. Juni 1883 Vormittags 10 Uhr angesetzten Aufgebotstermin persönlich oder durch gehörig legitimirte Bevollmächtigte zu erscheinen und bez. zu I. ihre Ansprüche und Rechte an der fraglichen Hypothek an zumelden, widrigenfalls zu I. die bezeichnete Hypothek auf Antrag gelöscht werden wird, zu U. und Ul. die bezeichneten Personen für todt erklärt und bez. das Vermögen des 8ub Ul genannten Zocher den sich legitimirenden Erben desselben aus ¬ geantwortet werden wird. Großenhain, am 15. November 1882. Königlich Sächsisches Amtsgericht. Schröder. Bekanntmachung. bis längstens ZUM 14. December I Der Stadtrath. Vogel, Stdtr. schriftlich oder mündlich bei uns anzubringen. Großenhain, am 25. November 1882. Zum bevorstehenden Weihnachtsfeste haben wir die Zinsen von einem von dem ver storbenen Uhrmacher und Stadtrath Herrn Carl Herrmann Robert Linke allhier ausge setzten Legate von 1200 Mk. — Pf. an drei dem Gewerbestande angehörige arme alte und würdige oder nach Befinden auch an jüngere, längere Zeit krank und brodlos gewesene arme hiesige Personen zu vertheilen und sind Bewerbungen um einen solchen Zinsenantheil Bestellungen aus das Großenharncr AllttthlMungs- und ^nzcigcbllitt für den Monat December 7, werden von allen Poftanftalten und Boten, sowie in der Expedition dieses Blattes ent- gegengenourmen. mit dem Lunn und Zwecke dieses K 35 die vorgeschlageuen preußischen Steuern in Widerspruch zu stehen. Die Projecte wollen allerdings die Getränke und den Tabak nicht in der Form einer auf ihre Erzeugung gelegten Steuer belasten, sondern den gewerblichen Vertrieb derselben. Sie führen sich als eine neue Gewerbesteuer ein und schöpfen daraus ihre Berechtigung. Es ist formell denkbar, daß die Reichsgesetzgebung beliebige Getränke- und Tabak- Besteuerungen einführt und die Landesgesetzgebungen da neben noch Gewerbesteuern auf den Handel mit diesen Artikeln legen; thatsächlich aber würde eine solche doppelte und in den verschiedenen Ländern verschiedenartige Besteuerung doch zu den größten Unzuträglichkeiten führen. Die Berufung auf den Charakter der neuen Vorschläge als einer Gewerbe steuer kommt im Grunde auf ein Spiel mit Worten hinaus. Wenn nicht noch mancherlei andere Bedenken, so müßten schon die Erwägungen, daß es dem preußischen Landtage nicht zusteht, auf einem Umwege und gewissermaßen durch eine Hinterthüre in die Steuergesetzgebung deö Reiches ein zudringen, vor den neuen Steuervorschlägen warnen. Es könnte in der That zu höchst bedenklichen Consequenzen führen, wenn einmal die Praxis einrisse, in das der Reichs- steuergesetzgebung vorbehaltene Gebiet auf einem Umwege der Landesgesetzgebungen Eingriffe zu gestatten. Die Oesterreicher können mit großer Befriedigung auf die Verhandlungen der Delegationen zurückblicken, denn die Resultate derselben sind für die Gesammtmonarchie um so günstiger, als man sich den Verlauf keineswegs so glatt gedacht hatte, zumal zu befürchten stand, es werde die bei den letzten Wahlen in die Minorität gerathene ciöleithanische Verfassungspartei dem gemeinsamen Ministerium wesentliche Schwierigkeiten bereiten. Die Reichsminister traten jedoch mit einer solch wohlthuenden, tactvollen Offenheit auf, daß damit allen leidenschaftlichen Debatten vorgebeugt wurde. Die Diöcussionen bewegten sich im Geleise einer sachgemäßen Erörterung und die Maßnahmen und Vorlagen der Ne gierung erfuhren von den Delegirten mit wenigen und geringfügigen Ausnahmen nur jene Art von Kritik, welche die Verständigung fördert und die beabsichtigten Zwecke in helleres Licht setzt. Die Auskünfte Kaluoky'S über die Be ziehungen zu den auswärtigen Mächten, seine Beleuchtung der für den europäischen Frieden wichtigen Punkte der gegen wärtigen allgemeinen Situation erweckten lebhafte Genug- thuung, und die Bewohner Oesterreichs erhielten auch bei dieser Gelegenheit die innigste Ueberzeugung, daß der feste Zusammenhang zwischen ihrem Lande und Deutschland die stärksten Anhaltspunkte für alle Friedenshoffnungen unseres Welttheils und die wirksamste Abschreckung für jeden Stören fried bildet. Jene für die Finanzen schonenden Formen, mit welchen der Kriegsminister die neue Armeeorganisation einleitete, entwaffneten die Gegner dieser Maßregel. Freilich hoben die Opponenten hervor, daß es erst die Consequenzen dieser Neuerung sein werden, welche dem Lande theuer genug zu stehen kämen; für die überwiegende Majorität herrschte jedoch kein Zweifel, daß der Schutz des Staates in den Stürmen der Zeit die wichtigste Vorbedingung für die Stabilität der allgemeinen Wohlfahrt ist, und daß daher die Opfer, welche für die Schlagfertigkeit des Heeres gebracht werden, wahrlich nicht die unfruchtbarsten sind. Die De legationen gingen nicht blos mit einer hohen Befriedigung, sondern auch mit einer gewissen Gefühlswärme für die der zeitige Reichsregierung auseinander, und die Folgen davon können für die Gesammtmonarchie nur von den erfreulichsten Wirkungen sein. In Italien hat der König bei Eröffnung der Kammern gesprochen, und eine Thronrede ist zur Zeit bedeutender als eine Allocution des Papstes. Wenn Italien spricht gilt es mehr, als wenn der Draht eine Rede des Papstes meldet. Interessant ist es, daß der König eine Spezial gesetzgebung mit Altersversorgung ankündigt. Die Bismarck- schen Ideen scheinen also auch dort Anklang zu finden. Der Friede wird auch vom König Humbert als Zweck des Staates obenangestellt. Die vatikanische Frage wurde nicht berührt, es sei denn, man wolle sie zwischen den Zeilen entdecken, wo der König die Unabhängigkeit „im Innern" betonte. Die Verhältnisse innerhalb der französischen De- putirtenkammer haben sich während der jüngsten Sitzungen so weit geklärt, daß man die Stellung des Cabinets Du- clerc einstweilen als gesichert erklären kann. 'Namentlich die Verhandlungen vom 20. November über die von den Radikalen eingebrachten Amendements, betreffend die Auf hebung der französischen Botschaft beim Vatican, resp. die Ersetzung des dortigen Botschafters durch einen Geschäfts träger, führten zu einem durchschlagenden Erfolge des gegen wärtigen Cabinets. Herr Duclerc drohte sofort mit seiner Demission, falls die Kammer auf die radikalen Anträge einginge und eine abermalige Ministerkrisis lag augen scheinlich nicht in den Wünschen der Kammer, denn sie lehnte die radicalen Amendements mit großer Majorität ab. Wahrscheinlich haben die zahlreichen Verhaftungen von Anarchisten und anderen dunkeln Elementen, welche zu Lyon und Paris in den letzten Wochen stattfauden, den Zorn der Radicalen gegen das Eabinet Duclerc erregt, welcher glück licher Weise keinen weiteren Schaden angestiftet hat. — Es verdient Beachtung, mit welcher Sorgfalt und Strenge die französische Heeresleitung darauf hält, daß die Dis- ciplin und die militärische Haltung des Heeres sich ver vollkommnet. Auch in diesem Punkte zeigen sich die Franzosen, die bekanntlich die deutsche Heeresorganisation bereits nach geahmt haben, äußerst gelehrig und vorurtheilsfrei. Ihr Princip, vom Feinde zu lernen, bekundet sich von Neuem