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für den Deutschen Buchhandel und für die mit ihm verwandten Geschäftszweige Herausgegeben von den Deputieren des Vereins der Buchhändler zu Leipzig. Amtliches Blatt des Börseervereins. 19. Dienstags, den 6. März 1838. Zustand der englischen Literatur und des englischen Buchhandels. (Nach der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur rc.) Wie von vielen andern Dingen und Personen, ist London auch Stapel - und Sammelplatz der englischen Lite ratur und der englischen Autoren. Nimmt man Oxford und Cambridge aus, so wird sich kaum in England eine dritte Stadt außer London finden, wo ein Werk von eini gem literarischen Gewichte die Presse verlaßt. Im Lande der Vorurtheilc, und das ist England, geht es so weit, daß ein außerhalb London verlegtes Buch schon deshalb dem Verdachte der Werthlosigkeit verfällt. Deshalb siedeln sich denn die Engl. Schriftsteller von Profession theils ganz in London an, theils pilgern sie dahin das ganze Jahr lang, bald fertige Manuskripte in der Tasche, bald Gedanken — Entwürfe im Kopfe. Da aber dort nicht, wie in Deutsch land , in dicke Mcßkataloge zusammengetragen wird, was neu erscheint, so ist die Uebcrsicht der jährlichen Erträge schwer, und wenn bei uns ein Dutzend Blicke in den Meß katalog genügen, den vorherrschenden Geschmack des Publi- cums zu erkennen, so erfordert dort gleicher Zweck aufmerk sames Lesen und sorgfältiges Notircn, jedes Jahr zwölf Monate lang. Daher rühren vielleicht die Jrrthümer und Widersprüche, welche in Betreff des Englischen Buchhandels, der Englischen Literatur, des Englischen Lesegeschmacks auf dem Continente umlaufen, die vielen Ueberschätzungen des Einen und des Andern -— und fuße nur Niemand sein Urthcil, seine Ansicht auf die dortigen kritischen Blätter. Anstatt Wegweiser, sind sie meist Wetterfahnen. Oft dreht ein leiser Hauch sic im Wirbel, und oft, wenn sie am tüchtigsten knarren, zeigen sie den Wind am unrichtigsten an. 5r Jahrgang. Vor zwanzig und einigen Jahren setzte die Novellenfluth ein; vor ungefähr 10 Jahren hatte sie ihren höchsten Stand erreicht—seitdem ist sie im Abnehmern Verstehe man aber dieses Abnehmen nicht falsch. Es bezieht sich keineswegs auf die Zahl der erscheinenden Novellen, sondern auf die Zähl ihrer Abdrücke, nicht auf die Masse der Production, sondern auf die der Consumtion. Geschrieben und gedruckt werden jetzt noch eben so viel Novellen, als in den Tagen, wo sie ausschlicßend den Buchhandel beschäftigten , und ihre j jährliche Summe sich auf 300 belief. Aber gekauft und I gelesen werden wenigere. Damals wurden von keiner No velle unter siebenhundert und fünfzig, von manchen, deren Verfasser einen Namen guten Klanges hatten, zwischen sechs und acht tausend Exemplare für die erste Auflage ab gezogen und schnell verhandelt. Jetzt müssen es schon Lieb linge der Lesewelt sein, deren Werken der Verleger einen Absatz von fünfhundert Exemplaren zutraut. Man meinte, das sei die Schuld der Dichter, nicht des Publikums, verwarf Manuskripte und legte die gedruckten Werke der alten Mei stersinger auf, und der Erfolg zeigte, daß, wenn die leben den Dichter keinen Markt finden, die gestorbenen ihnen we nigstens vollkommen gleich sind. Historische Werke haben es in der Regel nur ihrer eignen Leichtigkeit beizumessen, dafcrn der Verleger ihre Schwere fühlt. Wo Interesse des Gegenstandes mit Güte der Darstellung sich vereint, bleibt der Absatz selten hinter der Erwartung zurück. In aller Munterkeit der Jugend ist seit Kurzem eine rühmliche Teil nahme für statistische Schriften aufgesprungen, und was in diesem Fache noch vor wenigen Jahren dem Buchhändler, w en n er sich zum Verlage entschlossen, eine unveräußerliche Waare verblieben sein würde, das findet jetzt raschen Ab- 33