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Redaktioneller Teil. «ir 286, 10, Dezember 1014, Wenn ich bisher den Zcitungshandel nur ganz gelegentlich erwähnt habe, so muß ich ihm diesmal einen um so grösseren Platz einräumcn, bildet er doch zurzeit das einzige Gebiet, auf dem bas belgische Buchdruckgewerbe noch tätig ist. Aber dieses Zeitungsgeschäst hat eine ganz andere Physiognomie erhalten. Zwar eilen, mehr als je, Hunderte von Männern, Frauen und Kindern fast zu allen Tageszeiten durch die Straßen, um mit dem gewohnten Lärm und Geschrei die neuesten Zeitungen aus zurufen, doch sind es vollständig neue Titel, die wir hören. Die großen Brüsseler Tageszeitungen haben mit dem Einzug der deutschen Truppen am 20, August sämtlich ihr Erscheinen einge stellt! die großen Buchdruckereien sind verlassen, und im Gegen satz zur Provinz ist bisher keine einzige größere Tageszeitung wieder auf den Plan getreten, ausgenommen allenfalls die »In- dependanoe bsl^o«, die in — London erscheint. Die Brüsseler Redakteure wollen sich eben der deutschen Zensur nicht unter werfen, Ob diese Auffassung sich mit den Pflichten, die die Presse gerade in diesen schweren Zeiten dem Volke gegenüber zu er füllen hat, verträgt, sei dahingestellt. In den Provinzstädten herrschen teilweise andere Ansichten; so erscheinen die führenden katholischen Zeitungen von Gent (Lo Lion publio, im 61, Jahr gang) und Namur (L'Lmi de l'ordre, im 76, Jahrgang) seit einigen Wochen wieder; ihnen hat sich das »dournal ds Kand«, das auch schon 58 Jahrgänge zählt, angeschlossen. Auch die vielvcr- breitete flämische »Karotte van Kent«, die als die weitaus älteste Zeitung Belgiens bekannt ist — steht sie doch im 247, Jahr gange —, und der ebenfalls in Gent herausgegebene flämische »Vorwärts« (Vooruit) haben ihr Erscheinen fortgesetzt, letzterer allerdings mit öfteren, durch die Zensur hervorgerufenen Unter brechungen und Lücken. Ebenso erscheint in Antwerpen dessen älteste flämische Zeitung »Lanclolsblad van Lntrvorpen« (70, Jahrgang), wenn auch deswegen angefeindet, weiter, ebenso die französisch geschriebene »krosse« <11. Jahrgang), Ich werde es mir angelegen sein lassen, über die Haltung der Provinzpresse in den anderen Städten weiteres zu erfahren, und darüber später berichten, in der Annahme, daß die Geschichte der belgischen Presse gerade jetzt auch in Deutschland besonders interessieren dürste. Diese Provinzialblätter werden gegenwärtig auch in der Hauptstadt verkauft, im Gegensatz zu früher, da die Brüs seler Zeitungen in der Provinz viel verbreitet und tonangebend waren. Bis zur Einnahme von Antwerpen nnd Gent zirkulierten heimlicherweise — denn sie waren von der deutschen Militär behörde verboten — auch die »Mtropolo«, die jetzt als Beilage zum »Standard« in London herausgegeben wird, und der »Uatin«, Antwerpens bekannteste Zeitungen, sowie die Genter »Llandro liberale« unter dem Brüsseler Publikum und wurden mit hohen Preisen bezahlt. Der Brüsseler schwor vor allein auf all den Schwindel, den ihm die »klanäro iidöralo« auftischle, deren Zukunftsbildern er begreiflicherweise mehr Vertrauen schenkte als den sachlichen Veröffentlichungen der deutschen Ver waltung, die jeden Morgen in drei Sprachen — deutsch, fran zösisch, flämisch, seit einigen Tagen steht das Flämische übrigens an zweiter Stelle — an den Straßenecken angeschlagen werden. Außer den Mitteilungen des Generalstabs enthalten sie auch Bel gien besonders interessierende Auszüge aus deutschen und andern Zeitungen, Nachstehend das Verzeichnis der neuen Brüsseler Zeitungen, die seit etwa zwei Monaten hier ausgemfen werden: »ko Lvlgo guotidien« (Organe national d'inkormation) — »La Lol gigue« (dvurnal guotidien) — »klebo de la krosse internationale« — »Lebo de Lruxollos« (pour le bien ßtro general) — »Oernioros dlouvelles« (dourual guotidien) — »Le Yuotidien Lruxellois« — »ko Lruxollois« (douroai guotidien independant)— »Lot laatste kur« (Onakbantzelijk dliourvsblad), letztere die einzige flämische Zeitung in Brüssel, die den Titel der früheren, bekannten »ver- niere Leure« entlehnt hat und fürs Volk bestimmt ist, da die frü here, außerordentlich verbreitete Zeitung »Lot dNeuvs van den vag« ebenfalls versagt hat. Alle diese Zeitungen erscheinen auf zwei bis vier Seiten in den verschiedensten Folioformaten und kosten mit Ausnahme des »koko de la krosse« (5 o,) je 10 Centimes (Abonnementsprcise gibt es nicht). Anstelle der fast ganz fehlenden Anzeigen bringen sie Auszüge aus den Standesregistern, die Listen der kriegsge- 1746 fangenen belgischen Soldaten in Deutschland, der internierten Belgier in Holland und der verwundeten belgischen Soldaten in den deutschen, belgischen und englischen Lazaretten. Eine davon veröffentlicht das Verzeichnis der belgischen Zivilpersonen, die sich zurzeit unbehelligt in Deutschland aufhalten; das »dour nal de kaud« dient als Vermittlungsamt für die beim holländi schen Konsulat eingegangenen Briefe aus Holland, deren um fangreiche Liste (Ende November bereits über 500) behufs Ab holung abgedruckt wird, — kurz, alle diese neuen Preßorgane versuchen sich bei dem unvollkommenen Postbetrieb im Lande und nach dem Auslande, jedes auf seine Weise, nützlich zu machen. Auch die »Deutsche Soldatenpost«, herausgegeben von der Zivil verwaltung des Generalgouverneurs in Belgien, die an die Sol daten der Okkupationsarmee unentgeltlich verteilt und an Zivil personen mit 5 Centimes verkauft wird, brachte bis zur Einrich tung des regelmäßigen Postdienstes in Brüssel eine Liste der deutschen Reichsangehörigen, für die Briefe oder sonstige Nach richten aus der Heimat bei der Zivilverwaltung eingelaufen waren. Neuerdings haben auch eine bisher allerdings weniger be kannte Brüsseler Tageszeitung: »ko dlessager de Lruxollos« (dourual guotidien, eovnvmigue et kinancier, 30, Jahrgang) und zwei finanzielle Wochenblätter ihr Erscheinen wieder ausgenom men: »L'Inkorwation«, mit dem deutschen Untertitel »Belgische Sonn- und Montags-Zeitung« <19. Jahrgang), und »kevue intor nationale dos valours«. Elftere bringt größere Artikel aus der Feder des berühmten belgischen Völkerrechtslehrers Prof, vr, E, Nys, dessen grundlegendes, vor wenigen Jahren in 2, Auf lage erschienenes dreibändiges Werk »ko droit international« zurzeit wieder vergriffen und gerade jetzt in Belgien sehr ge sucht ist. Hierzu kommen dann noch zwei neue illustrierte Halbmonats blätter, die das Ausbleiben der bisher in so großen Massen ein geführten französischen Revuen ersetzen sollen: die weitaus des- sere und viel gekaufte, nach dem neuen Tiefdruckverfahren illu strierte »1914 iilustre« mit je 8 Quartseiten Illustrationen und kurzen Textunterschriften (jede Nr, 20 Centimes, Abonnement 9 Frcs.) und »ko Temps present« (8°, jede Nr, 20 Centimes, Abonnement 9 Frcs.), dessen Abbildungen ebenso schlecht als die der erstgenannten Zeitschrift zu loden sind, sowie die Wochenschrift »k'^etualite illustree« (4°, jede Nr, 10 Cts,), Daß diese Publi kationen ausschließlich Bilder bringen, die sich aus den Krieg und das militärische Leben in Belgien beziehen, braucht Wohl kaum erwähnt zu werden. Die ersten zehn Nummern der »1914« taten in der Wiedergabe von Ruinen aus den vom Kriege be troffenen Städten und Städtchen wirklich etwas zu viel; seitdem hat das Blatt seine Taktik jedoch geändert. In den Monaten Sep tember und Oktober hingen außerdem sämtliche Papierläden und Zeitungskioske derartig voll von Ansichtskarten gleicher Art, daß die deutsche Regierung den Verkauf schließlich untersagt hat. An ihrer Stelle sieht man jetzt Abbildungen der belgischen, eng lischen, französischen und deutschen Armee mrd Marine, Wie in Friedenszeiten, so spielt auch jetzt die ausländische Presse in Belgien eine hervorragende Rolle, Waren es jedoch sonst die französischen Zeitungen, auf die der Löwenanteil entfiel — sollen doch täglich 10 000 Kilo Pariser Zeitungen ins Land gekommen sein —, so sieht man jetzt fast nur die deutschen Tageszeitungen, von denen die »Kölnische Zeitung«, die »Kölnische Volkszeitung« und die »Düsseldorfer Zeitung« schon Ende September in Brüssel regelmäßig verkauft wurden. Die Redaktion der letztgenannten gibt die Zahl der täglich in sechs Lastautomobilen nach Belgien gebrachten Exemplare selbst mit 20 000 an, die in der Hauptsache an die Soldaten und Beamten, vor allem aber an die Verwundeten kostenlos verteilt werden, während der Überschuß in den Straßen verkauft wird. Ihnen haben sich nach und nach und versuchs weise noch einige andere zugesellt, wie das »Düsseldorfer Tage blatt«, die »Frankfurter Zeitung«, das »Berliner Tageblatt«, die »Vossische Zeitung« und die »Berliner Zeitung am Mittag«. Von den illustrierten Wochenzeitungen hängen »Die Woche«, »Ber liner Illustrierte Zeitung« und die »Wochenschau« in vielen Papierläden aus. Am verbreitetsten ist entschieden die »Kölnische Zeitung«, von der jedoch nur die beiden Morgenblätter verkauft