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Großenhainer UnterhaltMW- L Anzeigeblatt. Rnit8^ait äer Rölligs Auligssauftmannsscsiast, äeg Römgs Amtsgerichts unä lies Ktniltmths z» Grossenhain. Erscheinen: Dienstag, Donnerstag, Sonnabend. Inserate werden bis Tags vorher früh 9 Ubr angenommen. Abonnement vierteljährlich 1 Mark. Druck und Verlag von Herrmann Starke in Großenhain. Berantwortl. Redacteur: Herrmann Starke sen. Gebühren für Inserate von auswärts werden, wenn von den Einsendern nicht anders bestimmt, durch Postnachnahmt erhoben. Nk. 119. Dienstag, den 10. Octover 1882. 70. Jahrgang. Bekanntmachung. Wegen Umbaues der Ueberbrückung des Mülbitz-Weßnitzer Grenzgrabens wird der Fährverkehr zwischen Großenhain und Rostig bis auf Weiteres über Weßnitz gewiesen. Großenhaijn, am 9. October 1882. Die Königliche Amtshauptmannschast. i. v.: von Mayer. Fr. Bekanntmachung. Bei der am heutigen Tage stattgefundenen Wahl eines Vertreters der Höchstbesteuerten in der Bezirksversammlung ist an Stelle des ausgeschiedenen zeitherigen Vertreters, Herrn Kammerherrn von Erdmannsdorff, vormals auf Schönfeld, O. Herr Rittergutsbesitzer Freiherr von Palm auf Lin; gewählt worden. Großenhain, am 7. October 1882. Die Königliche Amtshauptmannschast. i. v.: v. Mayer. Bekanntmachung. Der unterm 13. Januar 1880 für die Näherin Anna Henriette Graubner aus gestellte Reisepaß ist abhanden gekommen, was zur Verhütung von Mißbrauch hiermit bekannt gemacht wird. Großenhain, am 5. October 1882. Dxr Itäötkath. Herrmann. Politische wettschau. Im deutschen Reiche war es in vergangener Woche recht still, die große Politik ruhte fast ganz. Nur im Nachbarstaate Preußen brachte die Wahlbewegung etwas Leben in die Massen. In der Regel spielen kurz vor den Wahlen die verschiedenen Programme eine Hauptrolle; wir verzichten gern darauf, dieselben hier näher zu besprechen, nur eines Umstandes sei dabei gedacht. Die preußische Negierung hat diesmal gar kein Programm ver öffentlicht. Daß sie dieserhalb überhaupt kein Programm habe, ist jedenfalls nicht richtig. Zum Mindesten besteht an leitender Stelle das alte Programm, welches man als die „kanzlerische Reform" bezeichnet. Aber selbst dieses Programm hat eine Lücke erhalten. Der eigentliche Kern — das Tabaksmonopol — fehlt ihm und es soll angeblich auch vom Verwendungsgesetze nicht mehr die Rede sein. Viele meinen, die Regierung publicire deshalb kein Programm, damit der Opposition der Stoff zur Wahlagitation entzogen werde. Jndeß ist dieser Standpunkt wohl etwas gesucht. Er scheint nur eingenommen zu werden, weil keine andere Gelegenheit geboten ist, der Regierung etwas am Zeuge zu flicken. Hat die Regierung ein neues Programm, so wird es schlecht gemacht; hat sie keins, so wird die Regierung getadelt, daß sie eben kein Programm hat. Das jetzt be liebte Mittelding, daß die Regierung ihr festes Programm hat, aber die Publication einmal unterläßt, paßt Niemandem recht. Wenn man sich der Worte erinnert, mit welchen der Reichskanzler am 12. Juni d. I. sich in seiner Monopol rede im Reichstage über die Steuerfrage aussprach, so hätte man annehmen sollen, die Wahlbewegung werde sich um nichts anderes drehen, als um die Frage des Druckes an directen Steuern und der zur Abhilfe dienenden Mittel. Der Reichskanzler äußerte damals: „Wir erwarten, daß bei den Neuwahlen in Preußen die Frage: Fühlt das preußische Volk wirklich einen Steuerdruck, dessen Erleichterung es wünscht, oder nicht? ein Hauptkriterium bilde. Soll die Classensteuer mit ihren Millionen Executionen beibehalten werden, das ganze veraltete Institut? Soll die hohe Be lastung der Gemeinden beibehalten werden, ohne ihnen zu helfen? Soll das Schulgeld beibehalten werden? Wollte der nächste Landtag wie der bisherige sich einer eingehenden Discussion der Bedürfniß- und Verwendungsfrage, einer Beschlußnahme darüber, welche Verwendung er haben will, versagen, so könnte ich Sr. Majestät nur rathen, so oft an die Wähler zu appelliren, bis darüber die nothwendige Entscheidung erreicht ist, und ich werde kein Bedenken tragen, Sr. Majestät zu rathen, den preußischen Landtag, sobald er nur gewählt ist, zu berufen, ihm diese Frage zu stellen und ohne Weiteres von Neuem an die Wähler zu appelliren, wenn uns wiederum in der bisherigen Weise ausgewichen wird." Nun steht es aber heute unmittelbar vor den Wahlen um die Steuerfrage dunkler als je. Officiöse Stimmen haben nur versichert, daß der Landtag über die Bedürfniß- frage zur Reform sich äußern soll. Darnach scheint es, daß die große Lehre vom Patrimonium der Enterbten und die große Socialreform dem Kanzler selbst nicht mehr als un fehlbares Dogma gelten; er will offenbar nicht mehr den Sprung ins Dunkle machen. Von einer großen Excursion aus dem Reiche der socialen Träume heimkehrend, kann die innere Politik sich wieder der liberalen Praxis zuwenden, um zunächst das Erreichb are zu schmieden und dann von Fall zu Fall fortzuschreiten. Diese echt Bismarck'sche Politik empfiehlt sich auch im Innern. Eine völlige sociale Be glückung des deutschen Volkes ist zur Zeit ebenso unerreichbar, wie die „Vereinigten Staaten von Europa" mitsammt der Abschaffung der Armeen und dem Reiche der Völker- und Bruderliebe! — In Berlin wurde vor einigen Tagen ein Proceß gegen einen Mann verhandelt, welcher angeklagt war, seine Frau und seine vier Kinderchen getödtet zu haben, um sich mit einer Frauensperson, mit welcher er schon seit Jahren Umgang hatte, ungehindert verheirathen zu können. Der grausige Vorfall an sich mag an dieser Stelle außer Betracht bleiben; aber die Person des Angeklagten fordert die Betrachtung heraus, weil sie uns typisch zu sein scheint für eine gewisse Gattung von Giftpflanzen, wie sie nur auf dem Boden der Großstadt emporwuchert. Der Angeklagte, wie er uns in der Gerichtsverhandlung entgegentrat, war trotz seines niedrigen Bildungsgrades ein Mann von scharfem Verstände und gewandtem Geiste, der in dem Kampfe mit der Anklage seinen Mann zu stellen wußte. Aber in diesem Manne verrieth nichts eine Spur von Gefühl; gleichgiltig sprach er von seiner Frau, welche er der Untreue beschuldigte, gleichgiltig von dem Tode seiner Kinder, den nach seiner Darstellung seine Frau herbeigeführt haben sollte. Einer- kirchlichen Gemeinschaft gehörte der Angeklagte nicht an; aus der Landeskirche war er ausgeschieden. Unter seinen Büchern fand man nicht eins, welches dem Gemüth Nahrung zu geben vermocht hätte, dagegen naturwissenschaftliche Schriften darwinistischer Richtung und socialdemokratische Schriften. Befragt, ob er sich zur Socialdemokratie bekenne, gab der Angeklagte an, daß er in einzelnen Punkten von ihr abwiche, in anderen mit ihr übereinstimme. Wer Berliner Gerichts verhandlungen häufiger studirt, wird ähnlichen Gestalten schon oft begegnet sein. Es ist hier nur ein ganz besonders scharf hervortretender Charakter, der sich in dem erstarrenden Blicke zeigt, aber allein steht er nicht. Nicht die Wege aller seiner Gesinnungsgenossen führen zur Anklagebank, am aller wenigsten wegen Mordes. Aber wer in der Großstadt in einzelnen Schichten des Volkes sich umsehen will und kann, der wird Hunderten von Menschen begegnen mit scharfem, durchdringendem Verstände, aber mit völlig verdorrtem Gemüthsleben und darum aller Wurzeln beraubt, welche dem Menschen einen Halt zu geben vermögen. Sollte darum eine solche Gerichtsverhandlung nicht etwas mehr sein, als ein die Nerven reizendes Drama? Sollte unserm Geschlecht nicht mit ernster Stimme die Mahnung daraus entgegen tönen, die ethischen Momente des Menschenlebens wieder- voll und ganz zur Geltung zu bringen und die Jubeltöne über unsere herrliche Civilisation ein wenig herabzustimmen? Der österreichische Kaiserstaat hat nunmehr auch seine Judenhetze im großen Style hinter sich. Die aus dem Preßburger Comitat eingelaufenen Schilderungen, ob gleich man sie jetzt als theilweise übertrieben bezeichnet, lassen erkennen, daß die dortige Hetze ähnlichen Vorfällen in Südrußland an Umfang nicht viel nachsteht. Dem energischen Einschreiten des von der ungarischen Regierung nach Preßburg entsendeten Commissars ist es in erster Linie zu danken, daß die Excesse in Preßburg und den umliegen den Ortschaften beendigt worden sind. Diese bedauerlichen Vorgänge lassen erkennen, welche Früchte die durch die Herren Jstocy und Genossen nach Ungarn verpflanzte anti semitische Bewegung zu zeitigen vermag und es bleibt nur zu wünschen, daß der demnächst zusammentretende ungarische Reichstag diesen Herren ihr sauberes Handwerk energisch legen wird. Uebrigens muß die Regierung in Pest ihre Anschauungen über die Staatsgefährlichkeit der Unruhen plötzlich modificirt haben, da sie dem Regierungscommissar in Preßburg die telegraphische Weisung ertheilte, den Ministerial-Erlaß über das Standrecht in zu lassen, bis bestimmte Fälle seine Publication nöthig machen. Hoffentlich werden die Antisemiten in diesem Umstande nicht eine Ermuthigung erblicken, solche „bestimmte Fälle" jetzt erst zu schaffen. In Frankreich dauert die politische Stille noch an, aber sie wird in nächster Zeit voraussichtlich heftigen Stürmen Platz machen. Gambetta hat gelegentlich eines Frühstücks, welches er jüngst seinen Freunden gab, mit vollen Backen wieder in die große Posaune gestoßen und versichert, daß er sich lebhaft rn den Verhandlungen der französischen Deputirtenkammcr zu betheiligen gedenke, nam-ntlich was die Fragen der Militärreformen, des öffentlichen Unter richts und der Justiz-Reorganisation anbelangt. Das Wiederauftreten Gambetta's, nachdem er verhältnißmäßig lange geschwiegen, wird auch in Deutschland Interesse er regen. — Die Baret-Verleihung an den päpstlichen 'Nuntius in Paris giebt den dortigen Blättern Anlaß zu heftigen Polemiken. Czacky hatte bekanntlich weder mit den Bo- napartisten, noch mit den Legitimisten gemeinschaftliche Sache gemacht, sondern, weltlichen Opportunitätsrücksichten folgend, sich mit den Republikanern leidlich gut gestellt. Dies können ihm Blätter, wie der „Gaulois" nicht verzeihen. Um so lebhafter nimmt sich seiner der „Figaro" an, der unter Anderem schreibt: „Man griff ihn auf jede erdenkliche Weise an, durch Unterstellungen, durch falsche Gerüchte, durch Verleumdungen, und eines Tages erzählte man sogar, er sei bei dem Papste in Ungnade gefallen und werde nach Petersburg versetzt — nach Petersburg, wo es keine Nun tiatur giebt. Das Schlimmste an dieser heuchlerischen Haltung ist aber, daß gerade diese Ultrakatholiken und an geblichen Puritaner, die ihn verfolgen, die Partei aus machen, welche durch ihre Uebertreibungen und Bündnisse ! der Kirche und dem heiligen Stuhle am meisten geschadet ! haben. War sie es nicht, die dem Kaiserreiche diente, als das Kaiserreich das Papstthum untergrub?" In England ist man eifrigst beschäftigt, dem siegreich heimkehrenden egyptischen Expeditionscorps Lorbeerkränze zu winden, bildlich und wörtlich genommen. Den Löwen antheil der Anerkennungen des Vaterlandes für die geleisteten Dienste werden natürlich die beiden Chefs der Expedition, Admiral Seymour und Sir Garnet Wolseley, einheimsen; denn sie erhalten außer dem Peerstitel jeder öOOOO Pfund Sterling (1 Million Mark); den Truppen, welche den egyp tischen Feldzug mitgemacht haben, wird eine Kriegsmedaille verliehen werden, durch welche der Sieg der britischen Waffen verewigt werden soll. Hierbei dürfte es nicht uninteressant sein, zu erwähnen, daß die hervorragendsten Generäle des egyptischen Expeditionscorps mit schweren körperlichen Ge brechen behaftet sind, welche eS den Betreffenden unmöglich machen würden, in einer contincntalen Armee zu dienen. L-o hat General Alison nur einen Arm, der Oberbefehls haber, Wolseley, selbst ist im Besitze nur eines Auges und General Wood, welchem sich Arabi Pascha ergab, ist gar — stocktaub! Nachdem das Schwert in Egypten entschieden, hat eigentlich erst die schwierige Thätigkeit für Englands Diplo matie begonnen. Die Selbstüberhebung der englischen Presse hat sich einigermaßen abgekühlt; man sieht allmählich ein, daß Deutschland ein gewichtiges Wörtchen mitzureden habe, und jedenfalls gedenkt man — auch ohne Separatallianz — mit Deutschland besser vorwärts zu kommen als mit Frank reich, welches die Folgen seiner enthaltsamen Politik am schwersten darin fühlt, daß alle Großmächte England als Vormacht am Nil erkennen. Von Rußland aus verbreiten officiöse Notizen das volle Vertrauen, daß Gladstone seine Versprechungen durchaus loyal halten und einem Eonflicte mit den europäischen Regierungen aus dem Wege gehen werde; Deutschland erfährt sogar das Lob der Russen, weil eS sich stets um die Erhaltung des Friedens verdient ge- > macht habe. Dieses russische officiöse Lob steht freilich im ! Widerspruch zur russischen Volksstimmung, welche noch immer > in Bismarck den Feind jeder russischen Vergrößerung erblickt. Etwas verdächtig ist die politische Bewegung auf der Balkanhalbinsel. Die Fürsten von Bulgarien und Montenegro sollen in ein verwandtschaftliches, von Rußland protegirtes Verhältnis treten, da Alexander von Bulgarien die älteste Tochter des Fürsten Nicolaus, Prinzessin Zarka, Heiralhen soll. Die Fürstenbesuche dürften wohl auch po litische Zwecke haben; nachdem Alexander von Bulgarien I den König Karl von Rumänien in Smaja besucht hat, trifft in nächster Woche König Milan von Serbien zum Besuche des bulgarischen Fürsten in Rustschuk ein und König Karl von Rumänien wird mit Nicolaus von Montenegro bald darauf in Sofia erwartet. Diese Begegnungen könnten leicht den Ausgangspunkt von Actionen bilden: jedenfalls erzeugen sie eine Art Gährung bei jenen vergrößerungö- süchtigen Völkern. Tagesnachrichten. Sachsen. Se. Majestät der König wollte am Sonn tag von Wien nach Dresden zurückkehren.