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pH 216. 17. September 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. 10611 In Sachen der Firma Ullstein L Co. in Berlin. Antragsklägerin. — Prozeßbevollmächtigtel die Rechtsanwälte Dres. Hillig. Mittelstaedt und Franz in Leipzig — wider das Kaufhaus Brühl. Gesellschaft mit beschränkter Haftung, in Leipzig, vertreten durch den Geschäftsführer Heinrich Hirschfeld in Dresden. Antragsbeklagte. — Prozeßbeoollmächtigter: Der Rechtsanwalt vr. Jacobsohn in Leipzig — wegen Rechtmäßigkeit einer einstweiligen Verfügung erkennt die Ferienkammer S des Königlichen Landgerichts Leipzig unter Mitwirkung des Landgerichtsdirektors ör. Ulbricht, des Landgerichtsrats Höring und des Landrichters vr. Maurer, für Recht: Die einstweilige Verfügung vom 6. Juli 1910 wird aufgehoben und die Antragsklägerin verurteilt, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Tatbestand. Auf Antrag der Klägerin ist der Beklagten durch einst weilige Verfügung vom 6. Juli 1910 (Bl. 5) verboten worden, bis zur Erlassung eines Urteils erster Instanz in dem zwischen den Parteien anhängigen Rechtsstreit »Ullstein- Bücher — 1 die in dem Schlußzeichen auf dem vor letzten Blatte des Buches im linken Flügel den Bleistiftpunkt tragen oder getragen haben, zum Preise von 95 H oder zu einem niedrigeren Preise dem Publikum anzubieten, seilzu halten oder zu verkaufen. Gegen diese einstweilige Verfügung hat die Beklagte Widerspruch erhoben und deren Aufhebung beantragt (Bl. 12. 7b). Die Klägerin hat um deren Aufrechterhaltung ge beten (Bl. 12). Unter den Parteien ist folgendes unstreitig: Die Klägerin, eine Verlagsbuchhandlung, ist Heraus geberin der in letzter Zeit im Buchhandel erschienenen »Ullstein-Bücher-, einer Sammlung zeitgenössischer Romane, von der bereits mehrere Bände herausgekommen sind. Der Einheitspreis des Bandes beträgt 1 der aus dem Papierumschlage jeden Bandes, auf allen Reklamen und der gleichen hervorgchobsn und dadurch dem Publikum geläufig geworden ist. Die Sortimentsbnchhändler erhalten ihrerseits von der Verlagsbuchhandlung auf diesen Preis 25 bis 40 Prozent Rabatt. Die Beklagte, die in Leipzig ein Warenhaus betreibt, verkaufte nun seit einiger Zeit ebenfalls solche Ullstein-Bücher, und zwar den Band zu 95 Pfennig. Sie ist dem Börsenverein der Deutschen Buchhändler nicht an geschlossen und hat ihrerseits die Bücher weder von der Klägerin selbst noch von deren Kommissionär, der Firma Otto Maier in Leipzig, erhalten. Zur Rechtfertigung der einstweiligen Verfügung macht die Klägerin unter Berufung auf Z 1 Unlauterer Wett bewerb*) und 823 ff., insbesondere Z 826 B.-G.-B.**) folgendes geltend. Der Verkauf der Ullstein-Bücher für einen Preis von 95 H, oder gar wie bei einem jüngst von der Beklagten veranstalteten Ausverkäufe von 90 H sei eine unlautere *) 8 1 Unl. Wettbewerb lautet: Wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbes Handlungen vornimmt, die gegen die guten Sitten verstoßen, kann aus Unterlassung und Schadenersatz in Anspruch genommen werden. **) 8 826 des B. G.-B. besagt: Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem andern vorsätzlich Schaden zusügt. ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. und sittenwidrige Beeinträchtigung ihres Gewerbebetriebes. Einmal sei im Buchhandel jede Preisunterbietung gegen die guten Sitten. Denn der buchhändlerische Anstand erfordere, daß Bücher nicht unter dem vom Verleger festgesetzten Laden preise verkauft würden, und dies sei auch zur sittlichen Überzeugung der Allgemeinheit geworden. Im vorliegenden Falle sei das Verhalten der Beklagten um so verwerflicher, als sie den Verkauf der Bücher lediglich als Lockmittel für das Publikum benutze. Denn bei diesen Büchern könne das Publikum ihres-festen Preises wegen, ebenso wie bei den sogenannten Markenartikeln, nicht auf den Gedanken kommen, daß es im Warenhause eine andere oder schlechtere Ware bekomme als in anderen Geschäften, und werde dadurch in seinem Glauben verstärkt, daß es im Warenhause billiger als sonst einkaufe. Durch die Preisunterbietung werde ihr Geschäftsbetrieb geschädigt. Denn dieser könne, da er gerade auf dem Ein heitspreise von 1 beruhe, nur durchgehalten werden, wenn sich die Sortimentsbuchhandlungen in großem Um fange für die Bücher interessierten und sie dem Publikum empfehlen. Dies täten sie aber nur. wenn sie unter gleichen Bedingungen arbeiteten. Würden also die Bücher im Waren hause billiger verkauft, so könnten die Buchhandlungen keine solchen mehr absetzen, bestellten infolgedessen keine mehr und interessierten sich nicht mehr für das ganze Unternehmen. Überdies habe sich die Beklagte die Bücher, die sie jetzt in den Verkehr bringe, auf Schleichwegen verschafft. Denn sie sei als Schleudsrin bekannt und bekomme deshalb so wenig wie von ihr oder ihrem Kommissionär, von einem Barsortimenter oder Großhändler geliefert. Sie könne also nur dadurch in den Besitz der Bücher gelangt sein, daß sie einen dem Börsenvcrein angehörigen Sortimenter dazu ver anlaßt habe, ihr zu liefern. Möglich sei auch, daß sich die Beklagte einer Mittelsperson, eines Schleppers, bedient habe, der seinerseits die Bücher von einem Buchhändler bezogen und der Gegnerin geliefert habe. Da den Mitgliedern des Börsenvereins verboten sei, an nicht dem Börsenvecein an geschlossene Personen anders als zum festgesetzten Ladenpreise zu liefern, die Gegnerin aber sich den Rabatt der Börsen vereinsmitglieder verschafft habe, so müsse unter allen Um ständen ein Mitglied diese Vertragspflicht verletzt haben. Es sei nun festgestellt worden, daß die von der Gegnerin verkauften Ullstein-Bücher von ihrem Kommissionär Otto Maier an den an den Börsenverein angeschlossenen Versand buchhändler Theodor Rudolph in Leipzig geliefert worden seien. Ihr Kommissionär habe nämlich die von diesem be zogenen Stücke mit einem Bleistiftpunkte im linken Flügel des auf dem vorletzten Blatte befindlichen Schlußzeichens ver sehen. Da ein so gezeichnetes Exemplar bei der Beklagten gekauft worden sei. so müsse diese die von ihr vertriebenen Ullstein-Bücher von Rudolph bezogen haben. Hiernach habe die Beklagte Rudolph entweder selbst oder durch eine Mittels person zu einem Vertragsbrüche «»gestiftet. Der Anstiftung stehe es gleich, wenn etwa Rudolph seinerseits der Beklagten oder deren Mittelsperson die Bücher zum Kaufe angeboten habe. Denn zweifellos habe sich Rudolph erst über die Ab nahme der Bücher vergewissert, bevor er sie beim Kommissionär bestellt habe Die Beklagte bemängelt zunächst die einstweilige Ver fügung. insoweit das darin ausgesprochene Verbot sich auf Ullstein-Bücher beziehe, die denBleististpunkt »getragen haben-; insoweit gehe die Verfügung über den Antrag der Klägerin hinaus. Den tatsächlichen wie rechtlichen Anführungen der Klägerin widerspricht sie und macht ihrerseits geltend: Hinter der Klägerin stehe der Börsenverein der Deutschen Buchhändler, der in Wahrheit das gegenwärtige Verfahren I37S*