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90, 21. April 1902. Nichtamtlicher Teil. 3317 7. Etwaige Anträge und Berichte der Abgeordneten aus den Kreis- und Ortsvereinen. Nach Z 4 der Satzungen des Verbandes hat jeder Kreis- und Ortsverein, der Mitglied des Verbandes ist und seine Beitragspflicht erfüllt hat, das Recht, Abgeordnete zu den berufenen Abgeordneten-Versammlungen zu senden, und zwar Vereine bis zu 25 Mitgliedern: einen Abgeordneten, solche von 25—50 Mitgliedern: zwei Abgeordnete und so fort. Bei der außerordentlichen, tiefeinschneidenden Bedeutung der bevorstehenden Versammlung ersuchen wir um zahlreiche Beschickung und bitten dringend, die Namen der bevoll mächtigten Herren Abgeordneten sobald als möglich dem Unterzeichneten Schriftführer A. Ganz in Köln direkt mit der Post anzuzeigen. Gleichzeitig wiederholen wir die Bitte, uns auch, soweit dies noch nicht geschehen ist, die Herren namhaft zu machen, die an der Vorversammlung Freitag den 25. April, nachmittags 4 Uhr, im Buchhändlerhaus teilnehmen werden. Mit kollegialischer Begrüßung hochachtungsvoll Ser Vorstand des Verbandes der kreis- und Grtsvereine im deutschen Luchhandel. B. Hartmann. A. Ganz. E. Strauß. Das Berliner Buchhändler-Athenäum. Eine Ausgrabung aus den siebziger Jahrem Die Gründerperiode stand in ihrem Zenith! Das Wort: »Wenn die Könige bauen, haben die Kärrner zu thun!« be wahrheitete sich auch für den lieben Buchhandel zu jener Zeit, denn die Börsen-Könige, denen Zwanzigmarkstücke als Scheide münze galten, ließen auch uns Sortimentern in der neuen Reichshauptstadt manche Gaben aus ihrem Füllhorn zukom-, men für ihre litterarischen und künstlerischen Bedürfnisse, wenn solche auch im Verhältnis zu ihren Ausgaben für Sekt und schöne Frauen verschwindend klein waren. Manch heilere Episode aus diesem goldenen Zeitalter könnte ich nach meinen Erinnerungen erzählen, wie u. a. ein damals vielgenannter Gründer in Berlin, der Löwe des Tages, zu mir kam, um mir Auftrag zu geben, nach meinem eigenen Gutdünken ihm einen neuen Bücherschrank mit einer Bibliothek klassischer und moderner geistreicher Bücher für rund 300 Thaler bis zum Abend zu liefern, da er an diesem die geistigen Größen Berlins bei sich sähe. Sein Wille geschah. Attrappen hätten es auch gethan! Für seine eigene Lektüre, bemerkte er neben bei, sollte ich ihm auch die sämtlichen Bändchen von Franz Hoff- manns Jugendschriften baldigst liefern. Ein anderer dieser Gründer-Mäcene fragte ganz unbefangen, ob ich ihm nicht zu seiner demnächstigen Soiree die neuesten Prachtwerke zur Besichtigung seitens seiner Gäste leihweise für den Abend liefern wollte, und zahlte gern dafür auf meine Einwilligung hin eine ganz beträchtliche Summe. Diese leihweise Vermie tung von Jllustrationswerken für Abendgesellschaften führte sich dann gleich der von Tischen, Stühlen und Porzellan in jener Gründerzeit weiter ein. Als nun so die Sonne am höchsten stand und das flüssige Groß- und Kleinkapital für allerhand Gründungen zu haben war, die undenklichsten Spekulationen in industriellen Unternehmungen an die Börse kamen, da konnte man es dem Berliner Sortimentsbuchhandel nicht verdenken, daß auch er einen Platz an der Sonne beanspruchte. Wenn nun auch dieser einzige Versuch der Gründung eines großen buchhändlerischen Warenhauses, eines Konzentrationspunktes für alle Bestre- Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 69. Jahrgang. bungen der Litteratur, der Kunst und Musik in der Reichs hauptstadt fehlschlug, so glaube ich doch heute, nach dreißig Jahren, als einer jener Pioniere dieses kühnen Planes den Schleier desselben lüften zu dürfen. War hier doch ein Pro jekt entworfen, das, wenn es zur Ausführung gekommen wäre, sicherlich nicht nur dem Berliner Buchhandel eine vor her nicht geahnte großartige weltstädtische Absatzguelle ge schaffen, sondern auch unserm Stande in dem gedachten Rahmen eine Bedeutung gegeben hätte, wie ihm nirgendwo solche als Brennpunkt des geistigen Lebens und Strebens gegeben worden ist. Es war der Besitzer einer Buchhandlung Unter den Linden, der mit mir die Idee dieses großen Unternehmens ausgesonnen hatte. Durch Hinzuziehung eines alten erfahrenen Antiquars und anderer angesehener Kollegen (sämtlich erste Firmen des Buch-, Kunst- und Musikalienhandels) gewann der Plan feste Gestalt, und es wurde sodann in mehr fachen Konferenzen eine geschäftliche Grundlage für das Programm des Unternehmens vereinbart. Ich übernahm die Aufgabe, nunmehr unter den Berliner Schriftstellern und Künstlern hervorragende, einflußreiche Persönlichkeiten für unfern Plan zu gewinnen, um mit Hilfe derselben zuguterletzt an die Finanzwelt heranzutreten zur Be schaffung der benötigten bedeutenden Mittel. Es wurde mir nicht schwer, unter den damaligen Rittern des Geistes und Trägern der Kunst, die größtenteils in meiner Internationalen Buchhandlung, Leipzigerstraße, Ecke der Friedrichstraße, tagtäglich verkehrten, Interesse, ja Be geisterung für unser Projekt zu erwecken. Viele von ihnen sahen in unserem Vorhaben manche ihrer Wünsche, ihrer Träume und Ideale verwirklicht zu Nutz und Frommen der Litteratur und Kunst, zur geistigen Befruchtung der Reichshauptftadt. Eine Zusammenkunft der Interessenten und Förderer des Unternehmens, für das ein Name gewählt war, wie er nicht schöner gefunden werden konnte: »Athenäum«, fand in der Wohnung eines ge feierten, jetzt verstorbenen Schriftstellers statt; hier ward der Plan in allen Einzelheiten nochmals durchgesprochen, und von der Hoffnung auf eine baldige Verwirklichung desselben beseelt, gingen wir auseinander. Es war dies im März 1872. Leider aber hatten unsere Versuche, Kapitalisten für das Projett zu gewinnen, keinen Erfolg. Die Gründerperiode ging zur Neige, die Börse war übersättigt von allem, was vorher gegründet war, der große Krach stand nahe bevor — und wir Vertreter des lieben Buchhandels kamen zu spät, wie der Dichter, als die Welt verteilt war. Damit war der schöne Plan begraben! Ich habe noch heute die Ueberzeugung, daß er in finanzieller Hinsicht zu den wenigen gesunden Gründungen von dauerndem Bestände gehört hätte und daß er in buchhändlerischer und geistiger Beziehung eine große, segensreiche Tragweite gehabt haben würde von bestem Einflüsse weit über Berlin hinaus. Den mir vorliegenden Gründungs-Prospekt des »Athenäum« gebe ich zur näheren Begründung meiner Ausführungen mit geringen Auslassungen nachstehend wört lich wieder; er dürfte, als charakteristisch für die damalige Zeit und als ein unbekanntes Blatt in der Geschichte des Berliner Buchhandels, heute wohl noch von allgemeinem In teresse für die Alten und die Jungen im Buchhandel sein: -Unter dem Namen -Athenäum» hat sich heute eine Gesell schaft in Berlin konstituiert, deren Zweck ist: in Berlin den An forderungen der heutigen Zeit gemäß und in Anbetracht seiner geistigen Aufgabe einen Markt für alle litterarischen, künstlerischen und musikalischen Erzeugnisse des In- und Aus landes zu schaffen, — ein kaufmännisches Institut, das zugleich eine Ver einigung und Förderung des geistigen Lebens in Berlin sein soll. Durch die wclterschütternden Ereignisse der letzten Jahre ist 439