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VMÄWKMMuMmHMaM Nr. 186 (N. 92). Leipzig, Dienstag den 23. August 1932. 98. Jahrgang. ReÄMioneller Teil. Lage und Aufgaben des Buchhandels.*) Es ist eine eigenartige Situation, in der sich der deutsche Buchhandel unserer Tage befindet. Voller Widerspruch und voller Gegensätzlichkeiten in den Einzelerscheinungen, scheinbar hoff nungslos für den Betrachter und doch wieder hoffnungsvoll für den, der von der Gegenwart über diese hinaus zu sehen vermag. Auf der einen Seite das deutsche Sortiment und der deutsche Verlag, beide verzweifelt um ihre Existenz kämpfend: ohne Absatz und damit ohne Einnahmen, ohne Eigenkapital und damit ohne Möglichkeit zum Durchhalten des Apparats; auf der anderen Seite große Teile der Bevölkerung, die voller Stoffhunger und aus starkem Erkenntnisdrang zum Buche hindrängen: heute nur Leser, morgen vielleicht auch Käufer von Büchern. Beruht die schwierige Lage des Sortiments auf einem Mangel an Interesse für das Buch schlechthin? Nein! Dieses Interesse war niemals größer, es erstreckte sich noch nie so über alle Schichten der Bevölkerung wie gerade jetzt. Wer in Berüh rung mit den verschiedensten Volkskreisen kommt, kann beobach ten, wie die ungeheure Problemfülle unseres Lebens in Verbin dung mit der zeitschaffenden Arbeitslosigkeit die Voraussetzungen geschaffen hat, auf denen dieser Drang zum Buche beruht. Zwei Typen von Lesern fallen immer auf. Der Suchende, der sich mit all dem, was auf ihn an politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen einstürmt, auseinandersetzen will, und der Fliehende, der sich aus einer Welt, der er sich nicht mehr gewachsen fühlt, flüchtet in eine andere Welt, die er sich aus dem Buche aufbaut. Nicht das Interesse am Buche fehlt. Es ist vovhanden und macht sich bemerkbar. Leihbibliothek neben Leihbibliothek, oft zweifelhafter Art, entsteht, die Benutzungsziffern der öffentlichen Büchereien steigen stark — und es werden auch Bücher gekauft. Wer die Auflageziffern bestimmter Bücher betrachtet, wer be obachtet, wie in den Warenhausbuchhandlungen sogenannte »bil lige Bücher«: Restauflagen, modernes Antiquariat usw. in großer Zahl abgesetzt werden und wer schließlich die Verhältnisse im Reisebuchhandel kennt, weiß, daß neben der intensiven Benutzung von Büchereien jeder Art auch jetzt noch Bücher erworben werden. Diesen ganz deutlich sichtbaren Erscheinungen: Lesebedürfnis und Kaufwillen, steht die verzweifelte, auf den bekannten Ursachen beruhende Lage des Sortiments gegenüber. Der innere und äußere Gegensatz, der sich hier aufzeigt, muß überbrückt werden in der Gegenwart und muß fruchtbar gestaltet werden für die Zukunft. — Dabei soll den weiteren Ausführungen eine Forde rung ganz deutlich vorausgestellt werden: die Forderung nach Erhaltung des Sortiments. Sie sei gerichtet an die, die es vor nehmlich angeht: an die Buchhändler selbst, Verleger und Sorti menter. Erst wenn Verlag und Sortiment alles getan haben, was heute noch zur Erfüllung dieser Forderung getan werden kann, wird man sich an Außenstehende wenden können, an die Öffentlichkeit und ihre Organe. Je stärker und je erfolgreicher die Selbsthilfe, um so günstiger die Voraussetzungen für eine In anspruchnahme öffentlicher Stellen. Alle Subventionierung er scheint nur dann sinnvoll und im Eigeninteresse des zu Sub ventionierenden liegend, wenn sich die grundsätzliche Lebens fähigkeit durch den Willen zur Selbsthilfe erwiesen hat. Steht diese außer Zweifel, dann sollte man allerdings auch im Buch handel nicht zögern und die Hilfe vom Staat fordern, die der *) Wir glauben, für die nachstehenden Ausführungen Interesse voraussetzen zu können, wenn auch die gemachten Vorschläge kaum Neues bieten dürften. Die Schrift!. Bedeutung des Buchhandels als Träger und Erzeuger von Kul turwerten entspricht. Was kann nun vom Buchhandel selbst für die Überwindung der Gegenwartsschwierigkeiten getan werden? — Wir wollen uns bei der Beantwortung dieser Frage nicht in Einzelheiten ver lieren und nur die großen Richtlinien einer Selbsthilfe für Ver lag und Sortiment zeigen. Der Verlag, so scheint es uns, kann auf drei Wegen sich selbst und damit dem Sortiment helfen: 1. Er muß seine Verlagstätigkeit stärker als bisher ein schränken und beschränken auf absatzfähige V e r l a g s o b j ek t e. Wir sind uns bei dieser Forderung aller Schwierigkeiten, die in ihr liegen, voll bewußt. Handelt es sich einmal um die spekulative Erfassung von Geschmack und Kaufkraft des Publi kums, so liegt die Schwierigkeit zum anderen in der Verpflich tung, die der Verlag gegenüber dem Nachwuchs an Autoren hat. Wir wissen schließlich, daß der Verlag als kaufmännisches Unter nehmen in seiner Produktion, sowohl betreffs des Umfangs als der Richtung, von den Erfordernissen des Konkurrenzkampfes abhängig ist. Trotzdem unsere Forderung. Es geht zum Beispiel nicht mehr an, daß Bücher verlegt werden, die nur eine Parallel produktion zu Erzeugnissen anderer Verlage darstellen, daß die Dauer und die geschäftlichen Möglichkeiten einer literarischen Mode so überschätzt werden, wie es noch vielfach geschieht, daß, um noch ein Beispiel zu nennen, der Name eines Autors allzu intensiv aüsgenützt wird, d. h. auf Grund eines einmaligen Er folges auch nicht absatzfähige Werke des gleichen Autors verlegt werden. Anders liegt es hier bei wissenschaftlicher, anders bei schöner Literatur. Dennoch scheint für beide Gruppen unsere Forderung aus der Tatsache der Marktüberfüllung heraus berech tigt zu fein. 2. Der Verlag hat in erster Linie für das reguläre Sortiment und mit diesem zu ar beiten. Wir halten es für einen Irrtum, zu glauben, daß auf die Dauer der Nutzen, der aus der Belieferung von Auch-Buch- händlern, Buchvertrieben und sonstigen, nicht regulären Sorti mentern entspringt, den Schaden überwiegt, der für den Ge samtbuchhandel aus der Einengung der geschäftlichen Möglich keiten für das Sortiment entsteht. Die planmäßige Arbeit des Sortimenters für den Verleger bzw. für dessen Verlagserzeug nisse ist unseres Erachtens die Hauptstütze für den Buchabsatz. Soweit heute ein Versagen dieser wesenseigenen Funktionen des Sortimenters vorliegt, muß in bewußter und vertrauensvoller Zusammenarbeit von Verleger und Sortimenter ein Weg zur Abhilfe gesucht werden. Wir glauben, daß der Gesamtbuchhandel nur dann erfolg reich arbeiten kann, wenn er alle jene Stellen, die, ohne an den eigentlichen Aufgaben des Buchhandels mitzuarbeiten an dessen geschäftlichen Möglichkeiten teilzunehmen wünschen, bewußt aus schaltet. 3. DerVerlagsolltehinsichtlichderRabat- tierung und der Zahlungsziele jedes nur eben wirtschaftlich noch tragbare Entgegenkommen dem Sortiment erweisen. Obwohl wir wissen, daß diese Forderungen an einen Verlag gestellt werden, der selbst in wirtschaftlich schwieriger Lage ist, scheint es uns, als ob bei der Rabattierung und ebenso bei der Festsetzung der Zahlungstermine noch Möglichkeiten für ein Ent gegenkommen des Verlages vorhanden sind. 633