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^ 39, 17. Februar 1916. Redaktioneller Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. Um Ihnen ein greifbares Bild von mikroskopischen Drucken zu geben, habe ich einige solcher Drucke als Proben mitgebracht, die ich Ihnen hiermit vorlege. Ebenso gebe ich Ihnen hier eine Abbildung derjenigen Bücher, die als die kleinsten der Welt gelten ssiehe vorhergehende Seite). Endlich zeige ich Ihnen hier Ludwig Bonnebergers Bet büchlein in der von der k. k. Hofbibliothek in Wien herausge gebenen Nachbildung. Gerade dieses Buch ist eine erhebliche Stütze meiner Ansicht, daß wesentlich für einen mikroskopischen Druck eben die Größe der Type ist, nicht die Größe des Formats. Der Satzspiegel des in Frage kommenden Gebetbllchleins betrügt nur 20/14 mw, während das »n« 2/1 mm groß ist, so daß nicht mehr als 6 Zeilen auf die Seite gehen. Welches Interesse kann nun ein derartiges Buch haben, das mit Typen gedruckt ist, deren Satz durchaus keine technische Schwierigkeiten bietet, ebensowenig wie der Druck, dessen Typen aber geeignet sind, für ein Buch in Groß-Oktavformat verwendet zu werden? Leider bin ich nur in der Lage, Ihnen von den wirk lich kleinsten Büchern ein einziges zur Anschauung zu bringen, ich habe mich deshalb begnügen müssen, die übrigen Ihnen nur im Bilde vorzusühren. Das Buch, das ich Ihnen hier mit vorlege, ist betitelt: 6»Iiloo a Naäamrr Oristina cki Iwrenn und ist im Jahre 1650 gedruckt worden. (Abbildung Nr. 6.) Das berühmteste der kleinen Bücher ist und bleibt die »viviim 6»m- weclia« von Dante (Abbildung Nr. 5), schon durch die Geschichte seiner Entstehung. Das Büchelchen umfaßt 3'Blatt und 500 Seiten, die Größe des Satzspiegels ist 38,5/22,5 mm, das »n« ist 0,42/0,42 mm groß. Die Typen sind IM Jahre 1850 im Auftrags von Giacomo Gnocchi in Mailand gegossen worden, vollendet wurde aber das Werk erst im Jahre 1878 durch Ulrich Hoepli in Mailand. Über diesen Druck sagt Arnold Kuczynski in dem von ihm bearbeiteten Verzeichnis einer Sammlung mikroskopischer Drucke und Formate im Besitz von Albert Brockhaus in Leipzig folgendes: »Dieser kleinste Druck von Dantes Göttlicher Komödie ist mehr interessant als schön. Die Type ist gewiß eine der kleinsten, die jemals hergestellt wurde, und das Kunststück, mit derselben zu setzen, hat nicht nur Tränen, sondern auch Augen gekostet. Die Type selbst wurde im Jahre 1834 von Antonio Farina ge schnitten, welcher sie »U'ooeiüa cli mosea« nannte, d. h. Fliegen auge. Die Schriftgießerei von Corbetta in Mailand kaufte die Stempel, Gnocchi bestellte den Guß. Der Satz des Dante wurde mehrmals begonnen, aber weder Setzer noch Correktor waren der Anstrengung gewachsen: Erkrankung der Augen war die Folge. Die Typen wandelten während 20 Jahren von einer Druckerei zur andern, ohne zum Druck zu gelangen, bis die selben nach dem Tode Gnocchis in den Besitz seines Sohnes Gio vanni kamen und dann obigen Daten gemäß der Dante voll endet wurde.« Ein bibliographisches Handbuch, das über diese mikroskopi schen Drucke handelt, gibt es nicht, ebensowenig eine autoritative Feststellung, was eigentlich ein mikroskopisches Buch ist, also welche Größe des Formats oder der Type Anspruch machen kann, als mikroskopisch angesehen zu werden. Die einzelnen Sammler gehen da ganz nach ihrem Belieben. Wie schon oben bemerkt, ist die Brockhaussche Sammlung wesentlich nach dem Gesichts punkte der Kleinheit der Type zusammengestellt, während die wohl größte Sammlung mikroskopischer Drucke, die von I. Sa- lomon in Paris, »ach dem Gesichtspunkte des Formats, und zwar in der Größe von l2/14 mm bis 40/50 mm zusammengestellt ist. Allerdings konnte der Besitzer seine große Sammlung kleiner Bü cher nur dadurch zusammenbringen, daß er eine ganze Anzah^ von Bänden aufnahm, die nicht mit beweglichen Lettern gedruckt, sondern in Kupferstich, Steindruck und anderen graphischen Ver-! fahren hergcstellt sind. l)r. Bogeng hat das Verdienst, in seinem Umriß einer Fachkunde für Bttchersammler — den man der Type nach ebenfalls den mikroskopischen Drucken zurechnen könnte — auch eine Geschichte dieser kleinen Bücher gegeben zu haben, der ich folgendes entnehme: Jean Jannon in Sedan ließ im Jahre 1615 eine besonders kleine Type Herstellen, die er »Un petits seckonnise« nannte. Der erste mit ihr hergestellte Druck war eine Vergilausgabe in 32°, die im Jahre 1625 erschien. Zu erwähnen ist noch die im Jahre 1656 auf Befehl Richeliens erschienene lateinische Bibel in kleinem Format. Eine große Anzahl kleiner Bücher verdanken wir dem Verleger Cazin, der zuerst in Reims, später in Paris ansässig war, dem Schöpfer des Formates »Cazin«, das sich bequem »sous Io mantean« verkaufen ließ. Die Erzeugnisse der Cazinschen Presse wiesen zahlreiche galante Schriften auf, für die sich das Format »Cazin« ganz besonders eignete, da man die betreffen den Bücher beim Eintreten unvermuteter Besuche leicht verstecken konnte. Im 19. Jahrhundert war es besonders der Verleger M. G. Pickering in London, der eine Sammlung griechischer, latei nischer und italienischer Klassiker in kleinem Format verlegte, die von C. Corrall gedruckt wurden und die heute noch sehr gesucht sind. In Frankreich war es Henri Didot in Paris, der im Jahre 1827 eine Ausgabe La Rochefoucaulds in 64" drucken ließ. Er wähnt sei hier noch einmal die Ausgabe von Dantes vivinn Oonrmeckia, von der ich schon vorher gesprochen habe. Auch die Elzevierschen Republiken wären hier anzuführen. Eine Vereinigung von Sammlern von Büchern kleinen For mats ist der Vuvcleoiino-6lnb in London, der sich mit der Neu- heransgabe seltener, älterer mikroskopischer Drucke beschäftigt. Ich habe Ihre Zeit schon so ausgiebig in Anspruch genom men, daß ich zum Schluß kommen muß. Ich habe diesen Vortrag vor diescni Kreise ausgezeichneter Fachleute gehalten in der Hoff nung, daß die Diskussion die Frage der Bestimmung des kleinsten Buches fördern werde. Meine Meinung möchte ich noch in fol genden Sätzen niederlegen! l Eine autoritative Bestimmung des Charakters des Zwcrg- buches gibt es nicht. 2. Man sollte stets unterscheiden zwischen kleinen Büchern und mikroskopischen Drucken. 3. Entscheidend für den Begriff ist die Herstellung. Sie soll mit beweglichen Lettern erfolgt sein, und man darf Bücher wie den liingiisb Lisou älmanao, der von gestochenen Platten gedruckt ist, streng genommen, nicht zu den mikroskopischen Büchern rechnen, ebensowenig wie Erzeugnisse, die durch das Hilfsmittel der Pho tographie verkleinert worden sind. So hat vor einer Anzahl von Jahren der Verleger Hugo Steinitz das Sanderssche Konversa tions-Lexikon photographisch verkleinern lassen und, mit einer Lupe versehen, zum Verkauf gebracht. Derartige Bücher können als.mikroskopische nicht angesehen werden. 4. Der Begriff ist im wesentlichen von der Sammlermode ge schaffen, und der Antiquar mutz sich .dieser Mode fügen, die einmal das kleine Format, ein anderes Mal die kleine Type bevorzugt. Daher ist die Frage weniger eine theoretisch-bibliographische, als eine praktisch-antiquarische. Verlsger und Literaturentwicklung. (Zum 60. Geburtstage Professor Alfred Bieses, 2 5. Februar 1916.) Der bedeutsame Anteil der Verleger uud der Buchhäudler au der Entwicklung der Literatur wird gemeinhin unterschätzt. Nicht nur die Verfasser, sondern auch die Leser sind den Verlegern, denen diese gewöhnlich nur die Gewinne, nicht die Verluste nachzurechnen pflegen, zu größtem Danke verpflichtet. Ich schrieb in dem großem Werke »Deutschland unter Kaiser Wil helm II.« (Berlin, Neimar Hobbiug, 1914) in dem Abschnitt »Die Literatur« S. 1562 die Sätze: »Mit bewundernswertem Opfermut und ticfdringendem Verständnis haben deutsche Verleger nicht nur neue Talente gefördert, sondern auch billige Volksausgaben in ge diegener Ausstattung zu niedrigem Preise hergcstellt und führende ' Zeitschriften gegründet uud in kritischen Lagen gehalten ... So kam es, I daß die ausländische Literatur zurttckgeörängt wurde, daß in deutschen I Landen viel mehr nicht nur gelesen, sondern auch gekauft wird als in ! früheren, freilich auch ärmeren Zeiten«. 179