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5508 Börsenblatt f. d. Dlschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 113, 16. Mai lS08. an Schaffenskraft so reich gesegneten Lebensabend gehabt hätte. Erschüttert von soviel Größe und Reife steht man vor seinem »Dornengekrönten Christus- in München, den er mit 95 Jahren geschaffen, und als den Neunundneunzigjährigen die Pest dahin raffte, blieb die »?istü.-, die er für sein eigenes Grab gemalt, unvollendet als ein Zeugnis seiner ungebrochenen Kraft zurück. Tintorcttos größte« Werk, seine Schilderung des »Paradieses», ist ebenfalls nach dem 70. Lebensjahre des Meisters ent standen, ebenso PeruginoS letzte Werke. Corot schuf mit 77 noch Bilder von so zauberhafter Zartheit, daß sie nicht mit Farbe, sondern mit Licht und Luft gemalt zu sein schienen. Die jenigen Werke Berdis, die man allgemein für den Höhepunkt seiner Kunst ansieht, »Othello- und »Falstaff« sowie seine religiösen Chorwerke sind nach seinem 70. Jahre entstanden, ebenso Handels Oratorium »Triumph von Zeit und Wahrheit- und MeyerbeerS Meisterwerk »Die Afrikanerin-. Unter den literarischen Haupt schöpfungen, die Philosophen, Gelehrte und Dichter nach dem 70. Jahre vollendet, werden erwähnt: KantS »Anthropologie«. »Streit der Fakultäten- und »Metaphysik der Sitten-, Hobbes' Hauptwerke, Goethes »Faust II- und »Wilhelm Meisters Wander jahre-, Chateaubriand« herrliches Memoirenwerk, Samuel Johnsons bestes Werk, seine »LebenSgcschichten der Dichter», Swedenborg« mystische Schriften, Bücher von Emerson und Nuskin, Rankes »Geschichte WallensteinS- und seine großartige Weltgeschichte, ein großer Teil von MommsenS Riesenwerk über lateinische Inschriften rc. Die Großtaten der Sechzig- bis Siebzig- jährigen sind so zahlreich, daß man sie kaum aufzählen kann. Es seien nur noch zwei Namen genannt: Bismarck und Moltke. Poftvollmachten. — Bisher mußten Postvollmachten für weiggeschäfte in Deutschland, deren Hauptniederlassungen sich in stereich-Ungarn, Bosnien, Herzegowina oder der Schweiz befinden, zwecks Gültigkeit in Deutschland von deutschen Konsularbchörden beglaubigt sein. Diese Bestimmung ist jetzt weggefallen. ES genügt, daß solche Poftvollmachten, von Hauptniederlassungen in Österreich-Ungarn, Bosnien, Herzegowina und der Schweiz, für Zweiggeschäfte in Deutschland ausgestellt, lediglich mit dem Siegel oder Stempel der Postbehörde versehen sind, die die Urkunde aus genommen und ausgestellt hat. In Deutschland entscheidet nur die betnsfende Ober-Poftdirektion Uber die Inkraftsetzung. Für die übrigen ausländischen Postvollmachten tritt keine Änderung ein. Ober-Postass. Langer. Da- erste englische Buch über Amerika. — Ein wertvoller Bücherfund wurde unlängst, wie wir der New Uorker Zeitschrift »l'bo Aktion» entnehmen, von einem amerikanischen Sammler ge macht, nämlich ein altes, holzschnittgeschmücktcS Buch, dessen Titel in deutscher Übersetzung lautet: »Von den neuen Ländern und den Völkern, die durch die Boten des König« von Portugal, ge- nannt Emanuel, entdeckt worden sind» (Ok tdo novo Ikväe8 kvä ok ^o psoplo kouoäo Ir^ tbo w68sen^ors ok tbs ok Lortugkls, ukwoä llwknuvl-). Dieses Buch, das um 1520 bei Jan van DoeS- borgh in Antwerpen erschien, ist darum besonders interessant und wertvoll, weil eS zugleich daS früheste Buch, das in englischer Sprache über die Entdeckung Amerikas berichtet, und eines der seltensten alten Bücher in englischer Sprache ist. ES ist von ihm bisher über haupt nur ein einziges weiteres Exemplar bekannt, daS sich jetzt im Besitz des Britischen Museum« befindet und das, soweit die vorhandenen Berichte erkennen lassen, zum erstenmal im Jahre 1773 bei einer Versteigerung von JameS West aufgetaucht ist. ES war damals mit noch zehn wetteren kleinen Schriften in einen Sammelband gebunden, der bei der Versteigerung 2 L 7 «b. 6 ä. brachte. Natcliffe, der Erwerber jenes Bandes, scheint den Wert dieser Schrift erkannt und sie darum auS dem Sammelband herausgenommen zu haben, denn als er im Jahre 1776 seine Bücher versteigern ließ, waren zwar mehrere andere Schriften jenes Bandes, nicht aber der Bericht »Von den neuen Ländern- darunter. Möglicheiweise hat er diese Schrift freihändig an Thomas Coddccott verkauft, denn sie wurde bet dessen Versteigerung im Jahre 1833 von Thomas Grcnville um 25 10 8b. erworben, was für jene Zeit einen ganz ungeheuren Preis bedeutete. Aon dem Buche sind bis jetzt nur noch zwei weitere Blätter im Besitz der »Uoäloikvk« in Oxford bekannt, aber kein weiteres Exemplar außer jenem im Besitz deS Britischen Museums und dem neu entdeckten vorhanden. Diese« selbst ist etwas beschädigt, aber unzweifelhaft echt. DaS nächste englische Buch über Amerika, »l'roat^s ok Ibo Iväik-, wurde erst viel später, nämlich im Jahre 1553 von Edward Setton in London gedruckt und war die Übersetzung eines Abschnitts auS Sebastian Münsters Weltbeschreibung. Von wem, unter welchen Umständen und zu welchem Preise daS neue Exemplar dieser Schrift, einer der gesuchtesten der ganzen englischen Literatur, entdeckt und erworben worden ist, wird von der genannten Quelle leider nicht mitgeteilt. (Nach: ll?bo Aktion.) Gin Beirat für die Münchener Theaterzensnr. — Die Münchener Polizcidirektion hat einen auS 24 Personen, Uni- versitälSprofessoren, Ästhetikern, Künstlern, Schriftstellern und Theaterleuten, bestehenden ehrenamtlichen Beirat für Theater zensur ins Leben gerufen. Unter den 24 Personen befinden sich der erste Psychiater Münchens, Professor von Kraepelin, Hofschau- spiclcr Regisseur Basil, Possart, der Hoftheaterregisscur SavitS, die Schriftsteller Max Halbe, Josef Ruederer, Wilhelm Weigand und Alexander von Gleichen-Nußwurm, Schillers Urenkel; sie sind in Kommissionen eingeteilt, deren Entscheidungen dem Urteil der Polizeibehörde unterliegen. Personalnachrichten. Gestorben r am 14. Mai in Leipzig nach kurzem Leiden in fast vollen- Im Jahre 1859 hatte der Verstorbene in Verbindung mit Bernhard Fischer die 1839 gegründete Buchhandlung von Ludwig Rudolph in Odessa, Südrußland, übernommen. Sein Kompagnon Fischer war aber nie als mttwirkender Teilhaber In daS Geschäft nahm. Der Tüchtigkeit deS Herrn Berndt gelang cS bald, auf seinem vorgeschobenen Kulturposten befriedigende GeschästSergeb- nisse zu erzielen. Neben dem Sortiment hatte er bereit« 1863 auch eine Ver lagsbuchhandlung gegründet, die in Odessa und Leipzig ihren Sitz hatte. Durch Ankauf des Verlags von Rudolph CheliuS in Stuttgart im Jahre 1875 führte er seiner Firma eine Reihe trefflicher Jugendschriften zu, denen er große Verbreitung zu verschaffen wußte. Diesen deutschen Jugendschristenverlag ver kaufte er im Jahre 1886 weiter an die Herren Gebrüder Krvncr in Stuttgart und behielt für sich nur die russische Abteilung de« Verlages (russische Lehrbücher und russische Jugendschristen), die er unter der Firma: Emil BerndtS Verlag in Odessa führte, wäh rend der verkaufte AerlagSstock noch eine Zeit lang: Emil Bcrndt'S Verlag in Leipzig firmierte. DaS SortimentSgcschäst war inzwischen immer noch unter der Firma L. Rudolph'S Buchhandlung (Emil Berndt) dem Buch handel gegenüber weitergcführt worden. Am 1. Juli 1894 wurde aber die Platzfirma: Emil Berndt's Buchhan dlung Verlag und Sortiment in Odessa auch für den auswärtigen Verkehr angenommen. Seit 1886 zeitweise von seinen Söhnen Julius und Wilhelm abwechselnd unterstützt, führte der Dahingeschiedene da« Odcssaer Geschäft noch in rüstiger Schaffenskraft bis I. Januar 1904, an welchem Tage eS von seinem Sohne Herrn Julius Berndt über nommen wurde. Seit dieser Zeit lebte der jetzt Verblichene, um sich von seiner arbeitsreichen, aber auch reich gesegneten Tätigkeit auSzuruhen, in Leipzig, wohin sein Sohn Herr Wilhelm Berndt 1898 die alte Weimarer Firma Beruh. Friedr. Voigt durch An kauf verpflanzt hatte. Mit Emil Berndt ist einer der alten ehrenwerten Pioniere dahingegangen, die deutsche Literatur und deutschen Geist im Ausland zu Ansehen gebracht und dem deutschen Verlagsbuchhandel kräftige Absatzquellen erschlossen haben. Audtlüum. — Am 16. Mai begeht der erste Markthelfer der Firma: I. M. Gebhardt'« Verlag in Leipzig, Herr Richard Peter, Bürger und Hausbesitzer in Leipzig-Anger in voller Rüstigkeit sein 30jährigeS Arbeitsjubiläum in der genannten Ver lagsbuchhandlung. Der Gedenktag ist ein Beweis seltener Treue und Anhänglichkeit, der für die Firma wie für den auf seinem Posten bewährten Mann gleich ehrenvoll ist.