Volltext Seite (XML)
272, 22. November 1212. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. b, vtschn. Buchhanbel. 14727 auch an diesem Tage durch zweistündige Vorträge wiederum l mürbe gemacht, gingen mit einem Eifer und einer Gründlich keit an die Besichtigung und Durcharbeitung, die bewunderns wert waren. Da kamen trotz allem Amerikanertum die deutschen Schulmeisternaturen zum Durchbruch, die unverhohlen, mit einem gewissen Stolze auf die alte Heimat, Zugaben, daß sie etwas Derartiges in Amerika nicht sehen könnten. Dabei sei ausdrücklich erwähnt, daß die zur Verfügung gestellten Räume immerhin nur gestatteten, die wichtigsten Lehrmittel aller Disziplinen vorzuführen, die Ausstellung also nur einen ge drängten überblick über das große Gebiet der hanüelsfähigen deutschen Lehrmittel gab. — Ziehen wir das allgemeine Fazit des Besuches, so dürfen wir ohne Überhebung behaupten, daß Leipzig das deutsche Buchgewerbe und seinen Buch- und Lehr mittelhandel würdig vertreten hat. Das bestätigen nicht die üblichen konventionellen Dankesbezeugungen der Gäste, son dern die temperamentvollen Ausbrüche wahren Gefühls und vielleicht auch ein klein wenig — das eigene Gefühl. Die Fol gen werden nicht ausbleiben. Die 3. Jahresversammlung der Gesellschaft für Hochschul pädagogik wurde am 17. Oktober mit einer bedeutungsvollen Ansprache ihres Vorsitzenden, des Geheimrats Professor in. Lamprecht, in einem der Hörsäle der Universität Leipzig eröffnet. Folgen wir diesen geistvollen Ausführungen, so er fahren wir, daß die Hochschulpädagogik eine verhältnismäßig junge Disziplin ist. Als Kunst hat man sie schon seit langem getrieben; eine reiche und beachtenswerte Literatur ist dessen Zeugnis. Allein um dieses Stadium der Entwicklung der Hochschulpädagogik, in dem jeder einzelne Hochschullehrer auf Grund persönlichen Eindrucks und spontaner Intuition für sich experimentierte, handelt es sich heute nicht mehr, so sehr man seine Ablösung durch eine weitere Entwicklung im einzelnen bedauern mag. Vielmehr hat sich hier, wie auf vielen anderen Gebieten bei regelmäßigem Gange wissenschaft licher und Pädagogischer Entwicklung, der Moment eingefun den, wo die persönliche Erfahrung und Veranlagung des ein zelnen durch die Kollektiverfolge und die gemeinsamen An strengungen aller Berussangehörigen ergänzt und vertieft wer den muß. Und mit ihm beginnt zugleich, wie ebenfalls regel mäßig in solchen Fällen, eine Intellektualisierung und Syste matisierung der Anschauungen einzutreten: was dis dahin Kunst und Geheimnis des einzelnen war, wird Lehre und Ge genstand öffentlicher Diskussion aller. Die natürliche Folge dieser Entwicklung ist die Benutzung von Lehrmitteln seitens der Hochschulen in weit größerem Maße als bisher. Wie oft muß heute der Lehrmittelhändler aus Anfragen die stereotype Antwort erteilen, daß dieses oder jenes Lehrmittel Wohl existiere und von dem Dozenten X. zu seinen eigenen Vorlesungen gebraucht werde, aber nicht im Handel zu haben sei! Wieviel ehemalige Hörer möchten nicht die Demonstrationsobjektc ihrer Meister käuflich erwerben, be sonders, um sie nach erfolgter Habilitierung selbst zu verwen den! So sind, um ein Beispiel anzuführen, einige farben physiologische Lehrmittel des Geheimrats Hering vom Physio logischen Institut der Universität Leipzig auf meine Veran lassung in den Handel gekommen, ein Unternehmen, das fürs erste in Anbetracht des verhältnismäßig kleinen Absatzgebietes gewagt erschien. Der Erfolg hat das Gegenteil bewiesen. Kein physiologisches Institut der Welt wird sie, ohne daß der Leiter Anhänger dieser Theorie zu sein braucht, entbehren wollen, denn er mutz unbedingt bei Vorlesungen über Farben- theorie auf sie eingehcn und wird sie — die reichen Etats ge statten das ja ohne weiteres — anschaffen. Angebot erweckt Nachfrage, und es ist deshalb erfreulich, festzustellen, daß der artige Lehrmittel auch viele Mittelschulen, ja sogar Volks schulen, wenn sie nicht zu teuer sind, erobern. So waren auch Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 79. Jahrgang. ' im Anschluß an die Tagung von verschiedenen Firmen Lchr- ^ mittel ausgestellt worden, von denen besonders solche über ! Naturwissenschaften und Projektionswesen dominierten. Es ; war interessant, zu bemerken, mit welch naiver Freude ^ manche der gelehrten Herren von der Existenz gewisser Lehr mittel Kenntnis nahmen und unverhohlen zum Ausdruck brachten, daß sich auch die Hochschulen gern solcher Hilfen be dienen werden. Berichte in der Tagespresse bekunde» auch fast ausnahmslos, soweit sie nicht von Pädagogen ge schrieben sind, eine völlige Unkenntnis auf dem Gebiete der Lehrmittel, sie treten aber ebenso entschieden auch für ver mehrte Anschaffungen seitens der Schule ein. Die »Denkschrift über die Begründung einer Vereinigung zum Export deutscher Lehr- und Lernmittel nach China« darf auf allgemeine Beachtung der interessierten Kreise rechnen. Das Material, das bis jetzt vorliegt und noch zusammenge tragen wird, kann in der Hand des Börsenvereins ein unge schminktes Bild der Lage vermitteln, die sich im Verhältnis zu früher bedeutend geändert zu haben scheint. Was bisher für den Export deutscher Lehrmittel nach China getan werden konnte, ist nach meinem Dafürhalten auch getan worden; wenn die Erfolge bisher bescheiden waren, so hängt das mit den früheren politischen Verhältnissen und der so gut wie nicht vorhandenen Aufnahmefähigkeit des Landes zusammen. Das hat schlagend die Wanderausstellung bewiesen, und das beweisen noch treffender die damals cingeholten Gutachten hervorragender deutsch-chinesischer Exporthäuser. Daß wir in China mit einer starken englischen, französischen und amerika nischen Konkurrenz zu rechnen haben werden, braucht nicht wunder zu nehmen, eine besondere Beachtung verdient aber der in der Denkschrift erwähnte starke japanische Wettbewerb. Das Gefühl der Rassenverwandtschaft, ein unglaublichesNach- ahmungs- und Nachempfindungslalent abendländischer Er- Zeugnisse, eine gewisse Verschlagenheit in kaufmännischen Din gen u. a. m., werden uns das Land der ausgehenden Sonne besonders gefährlich machen. Bestätigt es sich, daß Rußland im nächsten Jahre in Wladiwostok eine Industrie- und Lehr mittelausstellung veranstaltet, so wird auch mit Rußland in absehbarer Zeit zu rechnen sein. »Kein Volk hat schö nere, bessere Lehrmittel als wir Deutschen daheim«, das, meine ich, habe ich in früheren Artikeln genugsam ausgeführt. Deshalb dürfen wir trotzdem nicht stille stehen. Auf dem Ge biete des Schulmobiliars sind uns die Engländer und Ameri kaner, besonders die letzteren, noch über, genau so, wie sie es hinsichtlich der Bureaumöbel sind. Sonst brauchen wir keine Vergleiche zu scheuen, im Gegenteil können wir uns unserer Überlegenheit freuen. Eine treffliche Ergänzung der »Denkschrift« bringt Prof, vr. Görcke in einem Artikel »Um China« in den Leipziger Neuesten Nachrichten. Er zitiert einen Artikel des »Ostasia tischen Lloyd« aus der letzten Augustnummer, der mit den Worten schließt: »Im fernen Osten aber gehen jetzt Früh lingsstürme über das Land hin. Das muß erkannt werden, und daraus mutz Deutschland heute die Folgerung ziehen; morgen ist es zu spät«. Görcke beleuchtet dann die politische Konstellation und kommt zu dem Schluß, daß ein zweites »Marokko« für uns unmöglich sein muß. Er sagt weiter wörtlich: »Wir haben viel zu wenig getan, um den üblen Aus streuungen der anderen in der chinesischen Presse entgegenzu- treten, wir haben jahrzehnte lang der Überschwemmung Chinas mit Schulbüchern englischen und amerikanischen Ur sprungs tatenlos zugesehen, wir haben der englisch-amerika nischen Mifsionstätigkeit, die weniger der religiösen Propa ganda als der englisch-amerikanischer Anschauungen diente und dient, sehr wenig an die Seite zustellen gehabt, und so 1224