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X- 9l, 16. April 1924. Redaktioneller Tell. vörtmbum f. d. Doch-. v-chhaod-I. 8285 nannte an erster Stelle Schriftsteller und Gelehrte als solche, die für die Reinheit und Schönheit der Sprache einträten. Für die Mehrzahl der Lehrer an den höheren Schulen gilt das Anerkenntnis nach allgemeiner Schätzung auch jetzt, ja mehr noch als damals. Schwer genug wird es ihnen dadurch gemacht, dah in vielen Lehr fächern für Fach« und Lehrbegriffe noch immer die fremden Bezeich nungen vorherrschen und in der Sprachlehre, selbst in der deutschen, fast das ganze Rüstzeug für Wort- und Satzlehre lateinische Namen hat, sodatz eigentlich die Schüler die Überzeugung erlangen müs- s« n, die deutsche Sprache könne das aus sich selbst nicht aufbringen. Aber nun die Hochschule und die gelehrten Schriftsteller! Von öffentlichen Zustimmungserklärungen zu maßvoller Reinhaltung der Sprache hat bisher aus geschlossenen Hochschulkreisen nichts verlau tet. Dagegen sind seit 1910 mehr als einmal absprechende, ja feind selig« Urteil« einzelner Gelehrter und ein« Kundgebung von hoher Stelle gegen den Sprachverein ergangen. Fast all« gehen von der hundertmal widerlegten Unterstellung aus, der Verein wolle blind alle Fremdwörter ausrotten. Prof. Reinhold Seeberg schrieb: Ein stolzes Nationalgefühl zeigt sich noch nicht in pedantischer Ver meidung der Fremdwörter. Als ob die der Verein je gefordert oder geübt hätte! Zeigt sich denn aber ein stolzes Nationalgefühl etwa im Vermeiden guter deutscher Wörter zugunsten der fremden? Di« erwähnte Kundgebung von hoher Stell« ist ein Schreiben der Preußischen Akademie der Wissenschaften von 1918, gerichtet gegen die Verdeutschung zahlreicher Fremdwörter im preußischen Staatshaushaltplan, die auf Ersuchen des Finanzministers kundig« Mitglieder des Sprachvereins besorgt hatten. Dies« Kundgebung ist zwar von einzelnen hervorragenden Hochschulforschern der deut schen Sprache und von anderen Erfahrenen auch in der Zeitschrift (1918, SP. 97 ff.) nachdrücklich zurückgewiesen worden, sie bleibt aber, schon weil sie überhaupt, und zwar einstimmig zustande kom men konnte, ein Beweis der feindseligen Stellung des Gelehrten tums zur Sprachreinheit. »Fremdwörterreichtum- — heißt es darin — -ist geradezu das Kennzeichen einer entwickelten Kultursprache, er bedeutet ein« unentbehrliche Bereicherung und selbst Verfeine rung ihrer Ausdrucksweise-. Ist denn aber nicht umgekehrt ein großer Bedarf an Fremdwörtern ein Beweis für den Mangel an Entwicklung des eigenen Bestandes? Kann man überhaupt im Hin blick auf Fremdwörter von Reichtum einer Sprache reden? Sie sind doch nicht ihr eigen, sondern bleiben Fremdkörper. Haben sie aber das fremde Gewand abgelegt und sich angeglichen, so sind es eben nicht mehr Fremd- sondern Lehnwörter. Bei dieser dankbaren Umkleidung mit geschickter Hand zu helfen oder für entbehrliches Fremdgut aus der eigenen Sprache gut« selbständig« Neubildungen zu schaffen, dafür ist der Hochschulgelehrte meist nicht zu haben. Goethe nannte es ein Geschäft der besten Köpfe, di« Akademie be kämpft es. Von einem neuen deutschen Worte fordert sie, daß es die Bedeutung des fremden vollständig und eindeutig Wiedergabe und vom Standpunkte der Sprache aus gut gebildet sei. In das Fremd wort dagegen, mag es noch so leer, vieldeutig und schlecht gebildet sein, trägt der Gelehrt« bereitwillig jede Bedeutung hinein, die er für sein Fach braucht. Hierfür «in Beispiel: Das Wort Entropie, das weiter nichts'bedeutet als Umkehrung, genauer: Umwendung nach innen, soll in der Wärmelehre die für Arbeitsleistungen meß bare Veränderlichkeit der Wärmeabgabe eines Körpers bezeichnen. Wilhelm Ostwald nennt Entropie das Umsetzen roher Kraft in Nutz kraft. Heinrich Scholz aber will es für den Übergang einer Kultur in Zivilisation verwenden. Von alledem enthält es keinen Schim- mer. Doch man legt ihm die gewünschte Bedeutung unter, und nun »hat« es sie. Den Mann, der sie in einem gutgebildeten deut schen Worte erschöpfend wiedergeben könnte, gibt es natürlich nicht. Aber der fremde Klang, der wissenschaftliche Schein Hot es dem Ge lehrten angetan. Ich wundere mich bloß, daß nicht ein echt deutscher Mann schon längst ein deutsch-fremdsprachiges Wörterbuch geschaffen hat. Das müßte doch geradezu eine Fundgrube werden für deutsche Ge lehrte, die sich »wissenschaftlich- ausdrücken wollen, denen aber das geeignete Fremdwort nicht bekannt oder doch nicht gegenwärtig wäre. Das würde im Sinne der Akademie eine Entwicklung der deutschen Sprache ohnegleichen bedeuten. Martin Luther, Leibniz, Lessing, Goethe, die ihr dem deutschen Volke für fremdes Sprachgut Tausende heimischer, wurzelechter Wörter schüfet, was wäret ihr doch für Tempelschänder! Doch im Ernste gesprochen: nicht die Humanisten, die, wie Wilhelm Grimm sagt, die welschen Wörter herdenweis« Hereingetrieben haben, sind's gewesen, denen wir eine Entwicklung unserer Sprache zu danken hätten; sie haben sie zugewickelt und eingeschnürt. Die wahren Entwickler waren jene ganz Großen unseres Volkes und unsere Dichter und viele andere, di« uns in ihren glücklichen Schöpfungen gediegenes Gold und wahre Kleinode schenkten. Unsägliche Armut bräche über uns herein, würden uns dies« Schätze wieder geraubt. Besser würde es schon, wenn di« Gelehrten wenigstens in ihren Nichtfachschriften ein sauberes und dadurch verständliches Deutsch schrieben. Müssen denn'nicht gerade sie, wenn sie doch leuchtende Gedanken bieten, dringend wünschen, richtig und leicht verstanden zu werden? Wäre das aber erreicht, dann würde ganz von selbst auch di« Fachsprache Nachfolgen, und das stolze Geiehrtendeutsch würde der studierenden Jugend nicht mehr als erstrebenswertes Ziel vorschweben. Der Erfolg wäre unschätzbar für das ganze Volk, namentlich auch für die Zeitungsschriststeller und ihre täg lichen Kostgänger. Die Gesetzgeber und die Behörden gehen mit Nachdruck und Geschick vor, die Gelehrten fallen ihnen in den Arm! Gibt es einen Weg, ihre Götzen zu stürzen, sie selbst zu ge winnen? Ich möchte einen Vorschlag machen: Der Antrieb mutz aus dem Kreise der Gelehrten selbst hervorgehen! Dazu taugen nur die Berufensten unter den Hochschulgelehrten: die Lehrer und wahren Kenner der deutschen Sprache. Sie müssen ja von dem Wunsch« beseelt sein, di« Sprach«, deren Erforschung und gesunde Weiterüberlieferung an ihre Jünger ihr Leben aussüllt, zu ihrem Rechte und zu Ehren zu bringen. Das können sie anbahnen, in den gebotenen Grenzen auch erreichen, wenn sie in geschlossener Einheit eine geeignete Kundgebung erlassen. Maßvoll, aber markig! Eine Kundgebung, in der sie di« ganze Hoheit, Tiefe und Schönheit der deutschen Sprache zeigen und aus die Fülle ihrer triebkräftigen und verzweigungsfähigen Wurzeln, den Reichtum ihrer Formen, ihr« fast unbegrenzte Zusammensetzbarkeit Hinweisen. Eine Kundgebung, in der sie Nachweisen, daß es das Gegenteil einer Entwicklung ist, wem sich di« Gelehrten bei den höchsten und wich tigsten Dingen immer nur in Fremdwörtern ergehen und für neue Begrifft und Gedanken leeren oder vieldeutigen Fremdwörtern die gewünschte Bedeutung unterschieben. Gut Ding will Weile haben! Käme es aber — es könnte ein Markstein in der Geschichte der deutschen Sprache werden; «in Denkmal, an dem die Gelehrten schon um seines Ursprungs willen nicht mit dem beliebten geringschätzigen Achselzucken vorübergehen könnten. Würde, ja könnte sich auch mr einer ausschließen? Lebte der Größte noch, Jakob Grimm, er würde sicherlich zustimmen. Auf ihn zwar beruft sich gerade die Akademie als auf einen Gegner der Sprachreinigung. Aber mit Unrecht. In der Vorrede zum Wörter buch heißt es: »Alle Sprachen, solange sie gesund sind, haben einen Naturtrieb, das Fremde von sich abzuhalten«. »Es ist Pflicht der Sprachforschung, und zumal eines deutschen Wörterbuchs, dem maß losen und unberechtigten Bordrang des Fremden Widerstand zu leisten«. »Wie der Stolz auf unsere eigene Sprache, der oft noch schlummert, einmal hell erwacht und die Bekanntschaft mit allen Mitteln wächst, welche sie selbst uns darreicht, um noch bezeich nender« und uns angemessenere Ausdrücke zu gewinnen, wird auch die Anwendung der fremden Weichen und beschränkt werden«. Er nennt -das Bestreben der Wissenschaften, ihre Kunstausdrllcke den fremden zu bequemen oder diesen den Vorrang vor jedem eigenen Wort zu lassen«, unverblümt -Ausländer«! und Sprachenmengung-. Er war selbst Mitglied der Akademie. Der Stolz auf unsere eigene Sprache — das ist es! Der fehlt. Ihn gilt es zu wecken. Ein« nachdenkliche, eine groß« Sache. Dresden-A., Berthelstr. 1. Walter Gensel. Das neue Halbjahrs-Verzeichnis. Das soeben ausgegebene Halbsohrs-Ver, c ich nls der im deutschen Buchhandel erschienenen Bücher, Zeitschriften und Land karten (Verlag des Börsenoereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig) bietet mit seinen Voranzeigen von Neuigkeiten, Verlags- und S7S