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schließung voraussetzt. Ich meine das Ausscheiden wertloser Literatur: das sog> nannte Makulieren. Würde der Antiquar jedes minderwertige Buch, das er zusammen mit andern Büchern kaufen muß, behalten, so würde sein Raum bald zu eng werden. Die Bücher, selbst wenn eine entfernte Möglichkeit, sie zu verkaufen, vorhanden ist, in die gedruckten Kataloge zu setzen, verbietet sich der Kosten wegen. Was also machen? Es bleibt nichts übrig, als sie zu makulieren. Um die Kosten für den Raum und die Aufnahme zu ersparen, empfiehlt sich die Aussonde rung sofort nach Ankauf einer Sammlung, also ohne sie erst zu verzeichnen. Freilich gehört neben eingehender Kenntnis ein gut Teil Entsagung dazu, da bei manchem Buch ja immer noch die Hoffnung besteht, wenn auch nicht einen nennenswerten Preis zu erzielen, doch der Wissenschaft Nutzen zu bereiten. Es kommen nach Jahren wieder Strömungen an die Oberfläche, die vergessene Bücher aufs neue zu Ehren bringen — Bücher, über die der Antiquar schon lange das Todesurteil gesprochen hat. So sind heute nicht nur die Schulbücher aus der ersten Zeit der Druckkunst gesucht und werden hoch bezahlt, nein, auch Schulbücher aus dem Anfänge des neunzehnten Jahrhunderts finden ihre Liebhaber. Soll darum aber nicht makuliert werden? Es geht einmal nicht anders, und alte Lehrbücher, Schulbücher, alte Schulmedizin und Schuljurisprudenz sind gerade gut genug, um den Weg in die Papiermühle zurückzunebmen, von wannen sie gekommen sind. Schonen mag man Bücher, die zur Geschichte einer Wissenschaft einen Beitrag liefern; auch Monographien, die zur Aufklärung eines Ausschnittes aus einer Wissenschaft dienen, weiden immer einmal einen Liebhaber finden; der Spezialist wenigstens scheint mir verpflichtet, derartiges für etwaige Nachfrage zu bewahren; der Antiquar, der alles führt, wird darin eine leichtere Hand haben dürfen. Freilich muß der Antiquar, der makuliert, gut Bescheid wissen, damit es ihm nicht geht, wie es einem sehr tüchtigen, aber einseitigen Antiquar ergangen ist, daß er die Deutsch-fran zösischen Jahrbücher als unvollständig in die Makulatur warf, oder wie ein anderer, der die Ausgabe der Werke der heiligen Caterina da Siena, die im Druck nicht vollendet worden und infolgedessen auch titellos ist, zu einem gleichen Schicksal verdammte. Was muß der Antiquar wissen und welche Vorbildung muß er zu seinem Beruf mitbringen? Vor allen Dingen muß der Antiquar Sprachkenntnisse besitzen, ebenso der alten wie der neuen Sprachen. Lateinisch und Griechisch kann er nicht entbehren, denn ein großer Teil der älteren Literatur ist in diesen Sprachen geschrieben, und ohne Kenntnis der neueren Sprachen wäre ihm die Literatur der Neuzeit verschlossen. Aber nicht nur die Sprachen muß er einigermaßen beherrschen, er muß auch die Literatur kennen und nicht nur dem Titel nach. Er bedarf also einer enzyklopädischen Bildung. Die Grundlage dieser Bildung ist aber, und ich sage dies trotz der heutigen starken Gegen strömung, nur auf einem humanistischen Gymnasium zu er werben, und jeder Antiquar sollte diese Schule durchgemacht haben. Ich weiß wohl, daß mancher ein tüchtiger Antiquar geworden ist auch ohne dies, ja ich kenne Antiquare, die nur die Volksschule besucht haben und die es durch eisernen Fleiß und Selbstzucht dahin gebracht haben, daß sie zu den ersten Männern ihres Berufes zählen. Doch nicht jeder hat die Fähigkeiten und die Energie, alles in der ersten Jugend Versäumte nachzuholen, und auch hier gilt der alte Spruch: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr! Aber selbst wenn der junge Anfänger diese Bildung milbringt, so ist das nur das Rüstzeug, das Lernen beginnt erst. Vor allem muß er sich gründliche Kenntnisse der Literaturen der verschiedenen Völker verschaffen, nicht nur Börsenblatt für Len Deutschen Buchhandel. 7K. Jahrgang. der schönen Literatur, sondern auch der streng wissenschaft lichen. Die Geschichte der Buchdruckerkunst, die Herstellung der Typen, die einzelnen künstlerischen Reproduktionsmethoden, die Geschichte der Schreibkunst, des Papiers, der Kunst des Büchereinbandes muß er studieren und jede Gelegenheit wahrnehmen, um diese Tätigkeit in der Praxis zu sehen und die theoretischen Kenntnisse an der Anschauung des Objekts zu erproben und zu erweitern. Bei gutem Willen wird ihm das nicht allzu schwer werden, namentlich in der Großstadt. Durch die Herstellung der Kataloge erhält er Fühlung mit den Buchdruckereien, den Papierhändlern, den Anstalten für Reproduktion. Fleißiger Besuch des Kupferstichkabinetts, na mentlich auch des Kunstgewerbemuseums und der von seinen rührigen Leitern veranstalteten graphischen Ausstellungen weiden seine Augen schärfen und seine Kenntnisse erweite n. Und diese Kenntnis hat der Antiquar sehr nötig. Die bildlich geschmückten Bücher der älteren und neueren Zeit sind ein sehr gesuchtes Sammelobjekt, und der Antiquar muß imstande sein zu beurteilen, ob diese Abbildungen in Holz geschnitten, ob sie Stahlstiche sind, ob Kupferstich, Radierung, Schabkunstblätter, Lithographien, ganz abgesehen von den zahlreichen modernen Reproduktionsmethoden, die auf der Photographie beruhen. Er muß gegebenenfalls auch be urteilen können die Güte und Schärfe des Abdrucks, da ein Exemplar mit scharfen, frühen Abdrucken natürlich schöner ist, als eins, das von bereits abgequetschten Platten gedruckt ist, und infolgedessen auch erheblich wertvoller. Gewisse Fähigkeiten müssen dem Antiquar angeboren sein, er muß sie mitbringen. Erstens ein gutes Gedächtnis. Ein wirklicher Antiquar muß nicht nur eine ungeheure An zahl Titel nebst Druckorten, Druckern, Jahreszahlen in seinem Gehirnkasten aufstapeln, er muß sie auch sorgfältig darin geordnet halten, um sie, wenn er sie braucht, sofort zur Hand zu haben. Ein Exemplar, das der Antiquar ein mal m der Hand gehabt hat, muß er noch nach Jahren sofort wiedererkennen, ein Buch, das er einmal gesehen hat, darf er nicht aus dem Gedächtnis verlieren. Dieses Gedächtnis ermöglicht dem Antiquar oder erleichtert ihm die Erwerbung einer umfassenden Bücherkunde, das wesentlichste Erfordernis des Antiquars. Ohne Bücheikunde kann er keine Bibliothek abschätzen, keine kaufen, keine verkaufen. Mit dem guten Gedächtnis muß sich vereinen die Liebe zum Buch. Wer keine Liebe zum Buch hat, wird sich auch keine Bücher merken. Wem das Buch nur eine Ware ist, die er verkauft, wie der Bäcker seine Semmel und der Schuh händler seine Stiefel, wird niemals ein Antiquar werden. Der Antiquar ist Kaufmann, er hat die Bücher zum Ver kaufen, und ein guter Verdienst erfreut auch das Herz des Antiquars! Aber wehe ihm, wenn er sich nicht schwer trennt von einem schönen Buche; wehe ihm, wenn nicht die Freude an dem Erwerb einer großen Seltenheit größer ist als die Freude am Verkauf. Mein unvergeßlicher Lehrchef, Albert Cohn, dessen Beispiel ich unendlich viel verdanke, pflegte ein schönes Buch, das bestellt war, in sein Kontor zu nehmen und es sich noch einen Tag zur Augenweide zu be wahren; es bedurfte manchmal mehrfacher Mahnungen, es von ihm zur Expedition zu erhalten. Diese Bücher liebe, die Bibliophilie steigert die Büiyerkenntnis, und um gekehrt: die Bibliophilie, die Bibliographie, die Bücher beschreibung wird von ihr befruchtet. Ein schön ge drucktes, reich illustriertes, von einem Künstler gebundenes Buch, dessen Wert wohl noch dadurch erhöht wird, daß ein Exlibris oder die besondere Art des Einbandes anzeigt, daß eine bedeutende Persönlichkeit der Vorbesitzer gewesen, läßt das Herz des Antiquars höher schlagen, und nur schwer trennt er sich von diesem Schatz; aber es geht doch eben 536