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Nr. 7. Pulsnitzer Wochenblatt. — Dienstag, den 17. Januar Schmied ruft jetzt seinem Söhnchen zu: „Köpperle, hol mir mal 'ne Schwitze!" (Peitschenschnur). Abraham: Michel, was willst de mit der Schmitze ? Ach, das tut w'h! Nachdem der Schmied wiederholt das Versprechen gegeben, den Zahn nicht berühren zu wollen, willigte Abraham darein, daß Köppcrle die Schnur am Zahn be festigen darf. Abraham muß nun in gebückter Stellung an den AmboS treten und diesen festhalten und Köpperle birdet auf Geheiß des Vaters die Schnur kurz am Am- boS an. Abraham soll nun ganz ruhig stehen bleiben und darf kein Wort sprechen, wahrend Michel. seine „Sympathie" macht. Er stöbert im Feuer herum, läßt den Blasebalz tüchtig schnaufen und beachtet dabei den Abraham scheinbar nicht im mindesten. Letzterer ver harrt geduldig in seiner gebückten Stellung. Als ihm dabei das Kreuz schier brechen will, ruft er endlich: „Nu, Michel, wird's bald?" Michel macht ein höchst ingrimmiges Gesicht und droht mit der Faust. Das sollte so vi l bedeuten alS: verha te dich ruhig, sonst Hilst die Sympathie nichts „Nu, mach nur deine Sach', Michel, ich werde ganz still sein," sagte Abraham und behielt, den AmboS fest haltend, seins gebückte Stellung bei. Um von den Zahn schmerzen befreit zu werden, nahm er noch gern die Kreuzschmerzsn in Kauf. Nachdem weitere fünf Minuten vergangen, während welcher Abraham oft erwartungsvoll und heißverlangend nach dem Schmied hinübergefchaut, zieht dieser plötzlich eine funkensprühende Pflugschar aus dem Feuer und eilt damit unter dem dröhnenden Rufe: „R>iß aus!" auf den erschrockenen Abraham am AmboS zu. Dieser schnellt mit mächtigem Ruck empor und zur Schmiede hinaus — wo aber war der kranke Zahn? — Er baumelte an der am AmboS befestigten Schnur!h! Wettervorhersage der Kgl. S. Landeswctterwarte zu Dresden. Mittwoch, den 18. Januar: Ruhig, heiter, teils neblig, sehr kalt, trocken. Magdeburger Wettervorhersage. Mittwoch, den 18. Januar: Teilweise heiter, früh etwas kälteres, am Tage ziemlich mildes Wetter ohne erhebliche Niederschläge. Städtische Harkaffe Pulsnitz geöffnet: l'ägUck vorm. 8—12, 2—4 nachm. dagegen öonndsnd nur vormittags 8—1 Uhr. verttner produktsnbörss. Das Geschäft an der Produktenbörse war auch am Montag wieder recht gering. Weizen war in Urberein- stimmung mit niedrigen amerikanischen und auf billigere argentinische Offerten abgcschwächt. Auch Roggen war zunächst schwächer auf russische Angebote. Später war aber für den Expo t wieder etwas Nachfrage zu befestig ten Kursen zu bemerken Hafer auf billiges russisches Angebot abgeschwücht, Mais und Gerste ebenfalls im Kurse abbröckelnd Rüböl dagegen fest. Dresdner Produkten-Börse, 16. Januar 1911. Wetter: Nebel. Stimmung: Ruhig. Um 2 Uhr wurde amtlich notiert: Westen, weißer, M, brauner, alter, 74—78 Kilo, M, do. neuer, 75—78 Kilo, 196—202 M, do. feuchter, 73—74 Kilo, 190—193 M, russischer rot 214-224 M, do. russ. weiß M, Kansas , Argentinier 218—221 M, Australischer - M, Manitoba 224-232 M. Kogqen, sächsischer alter 70-73 Kilo M., do. neuer 70-73 Kilo, 146—152 M., do. feuchter, 68—69 Kilo, 140—143 M., preußischer 153—157 M., russischer 164—166 M. Gerste, sächsische, 170—180 M, schlesische 190—205 M, Posener 180—200 M, böhmische 210—230 M, Futtergerste 125—133 M. Saser, sächsischer 159—164 M, beregnete 139-154 M, schlesischer 160—166 M, russischer loco 161—166, M. Mais Cinquantine168—175 M, alter M, Rundmais, gelb, 138—141 M, amerikan. Mixed-Mais— — —, Laplata, gelb, 138—141 M, do. neu, feucht M. Erbsen, 160—180 M, Wicken, 173—185 M. Buchwesten, inländischer 180—185 M, do. fremder 180—185 M, Gelsaaten, Winterraps, scharf trocken, — —, do. trocken , do. feucht . Leinsaat, feine 375-385 M, mittl. 355—370 M., Laplata 370—375 Bl. Bombay — M. Rüböl, raffiniertes 64,00 M. Rapskuchen (Dresdner Marken) lange 11,50 M, runde M Leinkuchen (Dresdner Marken) I 19,50 M, II 19,00 M. Mal? 29,00—33,00 M. Weizenmehle (Dresdner Marken): Kaiserauszug 35 00—35,50 M. Grietzlerauszug 34,00—34,50 M, Semmelmehl 33,00—33.50 M, Väckermundmehl 31,50—32,00 M, Grießlermundmehl 23,50 bis 24,50 M, Pohlmehl 17,50-19,00 M. Roggenmehle (Dresdner Marken) Nr. 0 24,00—24,50 M, Nr. 0/1 23,00-23,50 M, Nr. 1 22,00 -22,50 M, Nr. 2 19,50-20,50 M, Nr. 3 15,50—16,50 M, Futtermehl 13,20-13,60 M. Westenkleie (Dresd. Mark.): grobe 9,80-10,00 feine 9,00—9,40 M. Roggenkleie (Dresdner Marken): 11,00—11,20 M. Orooo, Snsr/au oss ?oe/ssz ffk/S /orksn. 7dä§sr oes or/ttso ?oe/ssr Litt Walserwettbewerb. In nebenstehenden Porträten stellen wir unseren Lesern drei Komponisten vor, die, wie sie selbst behaupten, augenblicklich die glücklichsten Menschen von der ganzen Welt sind. Sie haben näml'ch in dem von der Woche veranstalteten Wettbe werb für Tanzwalzec den Sieg davongetragen. Ihr Glück be steht aber nicht allein in den Preisen von 3000, 2000 und 1000 Mk., die ihnen für ihre Walzer „Mein Stern", „Feld blumen" und „Rheinischer Wal zer" verliehen wurden, sondern vor allem in der großen Ehre, die darin liegt, dah bei diesem musikalischen Wettstreit, der fast s Monate dauerte, nicht weniger als 4222 Komponisten beteiligt waren. Die preisge krönten Walzer werden im Laufe des Februar in Druck erscheinen, wir sind gespannt darau,f ob sie bei unserer tanzenden Jugend ebensoviel Erfolg haben werden, wie bei den fünf gestrengen Herren Preisrichtern. Cingefandt. Lus Ler Nodrlbuhn! Strahlend bricht ein Sonntag Morgen Durch die Nebel, noch verborgen, Bald ist er zum Tag erwacht. Ringsherum ein Schneegefilde, Sisesbliten, zu dem Bilde, Jengen von des winters Macht. weg da, mit den Tagessorgen, kfin, wo Freuden noch verborgen Schlummern in des winters Schoß. An der stand den Rodelschlitten, Eilen mit bedächtgen Schritten Alt und jung, und klein und groß. Lachen, jauchzen, Freudenschreie, Dringt in wechsclvoller Reihe, Aus der Ferne an das Ghr. Spannet an zu großer Eile, vorwärts! vorwärts! Ghne weile, Bis zur stöhe noch empor! Dort, an jenem Bergabhange, Streichelt kalter stauch die Wange, Küsset sie. wie Rosen rot. Feurig die Gesichter glühen, Freudefunken Augen sprühen. Müßig steh'n hat seine Not. — Eingehüllt bis an die Ohren, Freuden werden hier geboren Und in Fülle aufgetan. — Alt und jung in buntem Wogen, Auch sportmäßig angezogen, Tummeln sich auf steiler Bahn. von des Berges glatter Schale, Sausen sie hinab zu Tale, Jeder reist auf gutes Glück. Rodler, Schlitten, lange Kette, Auf und nieder um die wette, Reißt der Kittel, reißt der Strick. Ausgexaßt! Da naht ein Schlitte«, Aus dem Wege in der Mitten, Frei die Bahn! Kein Aufenthalt. Nimmt im Spruna, gleich dec Gazelle, Dort, die hohe L.oenwelle Und im Schwünge jenen Spalt. stei, wie da die Pulse schlagen, Bei dem tollen Rennen, Jagen, Jede Muskel straff gespannt! In der reinen Luft sich wiegen sterz und Lungen mit Vergnügen, Alle Schlaffheit weggebannt. — Achtung! Da kommt eine Kurve, Lenker, leite richtig, schürfe, — Daß wir bleiben in der Bahn! Ach! Der Schlitten kommt zum kippen, Uber hohen Schneesklippen wird sein Inhalt abgetan. Graziös, im kühnen Bogen, Mann und Weiblein komm'« geflogen Durch die Lüft^ brav und nett. Kleider flattern) Arni und Beine Durcheinander, doch dos Seine Unversehrt noch jeder rett In des Schnees weichem Lette wälzen sie sich uni die wette, Kichern, Jauchzen immerfort, Hinter sicherer Schneetuttifse, Schnell getauscht noch ein paar Küsse, welche Lust, der Rodelsport! wo die Freuden reichlich fließen. Dürfen Leiden nicht verdrießen, wenn mißlang die glatte Fahrt; Kleine Schrammen, Beulen, Riffe, Schmecken dann wie keckerbiffe, Das ist echten Sportler Art. Nimmt es gar ein schlimmes Ende, Bricht ein Glied, verstaucht sich stände, Mrd aus Freude bitter Leid. Darum Vorsicht; all ihr Kinder, Und Erwachsene nicht minder, Daß man möglichst es vermeid. 0 8ck. Trotzdem fühlte Leoni« j'tzt zum ersten Male etwas wie Heimweh. Ihr« Stimmung war schwer und düster. Eie mußte sich lehr zusammennehmen, damit di« Kinder nicht darunter zu leiden hatten. Dann kam da» Weihnochtsfest heran. Leonie hatte den Kindern ein deutsche» Christbäumchen ge» putzt. Sie waren glücklich darüber, und besonder» Eisy blickte mit ihren strahlenden Augen immer wieder wie verzaubert in den Lichterglanz. Sie erinnerte sich jetzt unklar, daß vor drei Jahren, al» ihr, Mutter noch lebte, auch ein solche» Bäumchen gebrannt hatte. Ab" "och iu klein gewesen, um damal» den Zauber deutscher Weihnacht ganz in sich aufnehmen zu können. Leoni« halt« sich an» Klavier gesetzt und „Stille Nacht" mit ihnen g«, spielt und gesungen. Wieder hatte sich l«is« die Tür geöffnet. Mr. Bateman war hereingekommen und hatte sich lautlos an den Kamin gelehnt .... Dann, am Abend, später, kam da» eigentliche englisch« Weihnachttsest mit Putenbraien, viel brennendem Plumpudding und lustiger, fröhlicher Gesellschaft. ... Eine bekannte Familie Goodwyn war eingeladen. Sie er schien pünktlich mit ach» Kmdern und der Erzieherin. Da» gab «in Leben, Lachen und Scherzen! Unter dem Türrahmen hing ein Mistelzweig. Dir eng» Sitte gestattet, daß man der Dame einen Kuß raubt, di« sich unter d«m Mistelzweig erwischen läßt. Die beiden ältesten Govdwynschen Söhne, Charle» und Hany, suchten die sehr fröhlich« Erzieherin Miß Burton in die Enge zu treiben. Da» gab viel Jubel und Lachen. Aber in bezug auf Behendigkeit war sie ihnen doch über. Sie ließ sich nicht erwischen. Mr. Batemann sah lächelnd dem Treiben zu. Und auf einmal befiel den sonst so ernsten, ruhig«» Prediger der törichte, kindisch« Wunsch, Leoni« einmal unter dem Mistelzweig abfangen zu können. Denn st« hatte gelacht! Hell und jung hatte sie gelacht! Zum ersten Mal«, seit sie bei ihm war. Dazu sah sie reizend au». Sie hatte heute weiße Spitzen umgelegt. Er war da» erste Mal, daß sie da» tiefe Schwär, gemildert hatte. Aber er schüitelte über sich selbst den Kopf. Ein verstän diger Mann, ein Witwer von sechkunddreißig Jahren, und noch dazu ein Prediger! Da» ging nicht. Er durfte sich nicht lächerlich machen. Aber auch er fühlte sich seltsam jung heute, jung und warm« blütig. Ob e» ihr ebenso erging? Ob auch in ihrem Herzen die Schwere dr» Leben» heut« etwa» gewichen war? E» war noch ein junger Deutscher anwesend, ein Herr Roderich, und der zweite Pastor an St, John, Mr. Gurnry. Mit dem Deutschen konntr Leonie von Deutschland plau dern, von deutschen Wäldern im Schnregewand, von deutschen Weihnachten. Und auch Miß Burton, die «in Jahr lang in Dre»den in Pension gewesen war, gesellte sich dazu und frischte gern ihre deutschen Erinnerungen auf. Und so verging der Abend, vor dem sich Leonie ansang» so gefürchtet hatte, fröhlich und in Frieden. Sobald die Gäste «»'gebrochen waren und noch eine Weile vom Vorgarten her die lustigen Stimmen erschallten, drehte Leonie die Gatflammen au» und reichte Mr. Bateman die Hand zum Gute-Nacht-Gruß. Er hielt sie einen Augenblick fest in der seinen und sah ihr t ef in die Augen. Aber er sagte nicht». Sie hatte heute wohl »hr Leid vergessen. Nur die Glückseligkeit, von der er gesprochen hatte, die war ihr wohl noch nicht aufgegangen. Wenn er sie ihr doch bringen könnt«! Tagrlang war Leutnant von Teffow mit einem Gefühl von Angst herumgegangen. Er schrak zusammen bei jedem Geräusch. Doch endlich beruhigte er sich. Et konnte nicht» ander» sein: seine erregten Sinn« hatt«n ihm ein« Spukgestalt vorgetäuscht. Oder vielleicht auch hatte ihn nur ein« Aehnlichkeit ge narrt. Ein» jedenfalls war ihm zweifello» klar geworden: seine Liebe zu der schönen Frau war nur ein Rausch gewesen, ein Strohfeuer der Leidenschaft, und beide» verflog, je länger er in Bremen lebte. Er hatte im Lüningschen Haus« Brsuch gemacht. Der Herr Senator trat ihm entgegen al» ein würdevoller, älterer Herr, mit leuchtend frischen Farben, autrafiertem Kin» und einer sehr stattlichen Haltung. Ruhig und gemessen wie seine Bewegungen war auch seine Art zu sprechen. Neben ihm erschien Frau Senator Lüning al» eine kleine, außerordentlich frische, rundlich-rosige Blondine. Al» er sie erblickt«, schoß «» T«ssow durch den Kopf: So wird Lolo spater auch einmal autsehen! Er schien ihm nicht unsympathisch. Sicher war diese Frau Senator ein Frauen typ»», mit dem sich leben ließ. Freundlich, tätig, geschickt, nicht gerade hervotragend, im Gegenteil, ein bißchen unbedeutend eher, aber die geborene Haukfrau, ganz ausgehend in der Für sorge für Gatten und K nd und außerdem bequem in ihren Durchschnittsansprüchen, in ihrer Lenkbarkeit. Vorläufig freilich war Lolo Lüning noch ein unbeschriebene» Blatt. E» blieb jedenfalls ganz ihrem zukünftigen Gatten über lassen, in ihr die Leben»gefährtin aan, nach seinem Geschmack zu bilden. Sie war weich wie Wach», ein Kind mit ihren siebzehn Jahren. Diesen Winter sollte übrigen» ihr Debüt in der Gesellschaft siattfinden; sie freute sich kindlich auf ihren ersten wirklichen Ball. Da e» damit aber noch geraume Zeit dauerte, genoß sie ein vorerst andere», nach ihrer Meinung auch köstliche» Ver gnügen : da» Schlittschuhlaufen. Kaum ist wohl noch eine ander« deutsch« Stadt so begeisterr, ihr«r Lage nach so g«rignet für diesen Sport al» Bremen. Rund um die innere Stadt zieht sich «in Ring von breiten Gräben, den ehemaligen Fistung» grüben, umrahmt von Wall anlagen, Rasenflächen und Blumenparterre». Diese ehemaligen Festung»gräben tragen im Winter meist eine starke Ei»d«cke und bilden dann ein« stundenweit outgedehnte, herrliche Ei»- bahn, vom Stefani-Tor bi» zum Osterdeich. Da auch Teffow leidenschaftlicher Schlittschuhläufer wer, traf er hier bald mit Lolo LüNing zusammen. Er sprach sie sofort an und bat, sie begleiten zu dürfen. Sie gab mit ihrem strahlenden Lächeln di« Ein willigung, und dann sausten sie dahin über die spiegelnde Fläche. (Fortsetzung folgt.)