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^ 130, 8. Juni 1911. Amtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 6861 Denn wenn er Schule machte, so würde das bedeuten die Aufkündigung der wirtschaftlichen Grundlagen, auf denen das Gemeinschaftswirken von Verlag und Sortiment beruht. Sollte man es zu einer solchen Aufkündigung treiben, dann müßte der Verlag allerdings darauf sinnen, wie er allein und aus eigener Kraft diejenigen Missionen erfüllen kann, die der deutsche Buchhandel der deutschen Wissenschaft und der deutschen Kultur gegenüber übernommen hat. Meine Herren, Herr Paetsch hat dann in einer zweiten Rede, in einer — ich kann es nicht anders sagen — so haß erfüllten Weise den Kreuzzug gegen den Verlag gepredigt, wie wir es hier meines Erinnerns nach noch nicht gehört haben. Als ihm dann ob der damit erzielten Wirkung selbst angst und bange wurde, hat er uns gesagt, es sei gar nicht so ernst gemeint gewesen, er habe jene leidenschaftlichen Instinkte nur deshalb aufgepeitscht, weil es ihm um die Durchsetzung einer milderen Formulierung bei § 5 der Satzungen zu tun gewesen sei. Da muß ich nun allerdings sagen, Herr Paetsch ist ein ausgezeichneter Schauspieler gewesen, aber ein schlechter Diplomat und ein noch viel üblerer Vertreter der Sortimenter interessen. Und weiter muß ich sagen, wäre es Herrn Paetsch Vorbehalten, die Nolle eines Rattenfängers von Hameln im Börsenverein zu spielen, dann wäre allerdings der Friede zwischen uns dahin. Aber zum Glück wurde der Bann eben durch diese letzte Erklärung des Herrn Paetsch selbst gebrochen. Man hatte erkannt, daß er Unfriede säen wollte, und zwar nicht einmal um der Sache willen. Lassen Sie mich Herrn Paetsch, ich weiß nicht, ob er in diesem Augenblick hier anwesend ist, namens des Verlages eine deutliche Antwort geben mit den Worten: »Wenn ich einmal zu fürchten angefangen. Hab ich zu fürchten aufgehört.« Als Buchhändler und Mitglied des Börsenvereins aber lebe ich der festen Zuversicht, daß Männer von der Gesinnung und den Absichten des Herrn Paetsch den Frieden zwischen uns nicht stören werden. (Lebhafter, andauernder Beifall und Händeklatschen auf der linken Seite, Zischen auf der rechten Seite des Hauses.) Herr R.L. Prager-Berlin: Meine verehrten Herren! Herr vr. de Gruyter hat zum Frieden gemahnt, seine Worte aber klangen recht kriegerisch. Ich nehme aber an aus meiner persönlichen Kenntnis gerade des Charakters des Herrn de Gruyter, daß sein Temperament daran Wohl mehr Anteil gehabt hat als der Wunsch, Unfrieden zu säen. Gerade Herr vr. de Gruyter ist ein typischer Vertreter des Verlags, insofern als er in der Tat ein warmes Herz für den ganzen deutschen Buchhandel hat und, wenn es nur an ihm läge, sicher bereit wäre, auch das Sortiment in seinen weitestgehenden Ansprüchen zufrieden zu stellen. Aber da kommt nun der Verleger heraus, der Verleger, der glaubt, daß er gewisse Rechte nicht aufgeben darf, und da ist der Krieg eben da. Herr vr. de Gruyter ist von der Erklärung der 47 Verleger ausgegangen. Ich verschränke den Verlegern nicht das Recht, auch ihre Meinung kundzugeben, wenn sie anderer Ansicht sind; aber der Angriff, der gegen die höchste Behörde unseres Berufs und gegen den Vereinsausschuß gerichtet worden ist, ist doch nicht gerade in einer Form erfolgt, die ganz richtig zu nennen war. Herr vr. de Gruyter hat das selbst zugegeben, und ich kann darüber hinweggehen. Sie wissen, daß der Verband bei der Sache ganz neutral geblieben ist. Wir konnten das Vorgehen der 47 Verleger nicht wohl gut heißen, wir wollten aber auch nicht Öl ins Feuer gießen. Die Erklärung der Berliner Sortimenter haben Sie auch alle gelesen: Herr Or. de Gruyter hätte vielleicht gut daran getan, auch sie anzusühren als Beweis der Mäßigung und der sach lichen Erwiderung. Meine Herren, wie steht eigentlich die Sache? Ich will auf die Einzelheiten nicht eingehen, die Herr vr. de Gruyter sehr geschickt gruppiert hat, indem er auf der einen Seite dasjenige, was der Verlag für das Sortiment getan hat, die Verdienste des Verlags um das Sortiment hingestellt hat und auf der anderen Seite gefragt hat: was tut nun das Sorti ment dafür? Was bietet es uns als Entgelt? Und da ist die Wage sehr hoch gestiegen für den Verlag und sehr tief gesunken für das Sortiment. Meine Herren, die Fragestellung ist falsch. Herr vr. de Gruyter hat bei seinem ausgesprochenen Sinn für Logik das selbst gefühlt, denn er hat gesagt: wir haben nicht aus Sentimentalität getan, was wir getan haben. Darin ruht die ganze Frage. Die Frage ist immer die: glaubt der Verlag, das Sortiment zu seinem Vertrieb nötig zu haben, glaubt er immer noch, daß das Sortiment die billigste Vertriebsform für den buchhändlerischen Verkehr ist, oder glaubt er ohne das Sortiment anskommen zu können? Und da treten die 47 Verleger ein, die 47 Verleger erklären auf der einen Seite: wir brauchen das Sortiment; auf der anderen Seite aber sagen sie: wir schalten es aus dann, wenn es in unserem Interesse liegt. Und das ist dasjenige, wogegen ich immer gekämpft habe. (Sehr richtig!) Entweder — oder! Entweder ist das Sortiment notwendig, dann muß es gestützt werden auch auf Kosten des Verlags; denn nichts ist umsonst in der Welt, alles müssen Sie bezahlen; Sie müssen auch bezahlen, was das Sortiment leisten soll und leisten will und leisten kann. Die Verhältnisse haben sich freilich in den letzten 30 Jahren ganz erheblich geändert; die Überproduktion, an der doch wirklich das Sortiment sehr unschuldig ist —, denn das Sortiment leidet selber außerordentlich darunter, die Räume müssen immer größer werden, die Spesen werden immer größer und der Umsatz bleibt derselbe. Der Wohlstand ist ja in den letzten Jahrzehnten etwas gewachsen, wir sind reicher geworden, aber cs ist noch immer nicht Sitte, mit der Erhöhung des Gesamtbudgets auch das Budget für das Buch zu erhöhen; es werden schönere Kleider angeschafft, schönere Wohnungen bezogen, aber der Bedarf für Bücher wird gewöhnlich nicht oder nicht in entsprechendem Maße erhöht. Es ist somit die große Überproduktion, die den Verleger selbst zwingt mehr für den Absatz besorgt zu sein. Aber, meine Herren, sehen Sie sich doch einmal die Inserate in den Zeitungen an. Die großen Fabriken, Eisen werke usw. drucken in den Tageszeitungen große Inserate ab, also auch sie müssen etwas für ihren Absatz tun, obwohl sie gewöhnlich mit großen Etablissements zu tun haben, von denen man denken sollte, daß sie auch ohnedem Be scheid wüßten. Also es ist zugegeben, der Verleger muß heute mehr tun und das Sortiment kann in vieler Beziehung das nicht mehr tun, was es früher getan hat, denn wenn es sich heute verwenden wollte für sämtliche Novitäten, so würde die Arbeit eines Chefs nicht ausreichen. Meine Herren, die 47 Verleger — ich untersuche hier nicht, inwieweit sie recht haben oder nicht, das ist gleich gültig; — die 47 Verleger haben aber die Paragraphen der Verkanfsordnung in einer Weise ausgelegt, die, selbst wenn sie vollständig richtig wäre, jedenfalls den Sinn der Verkaufsordnung und den Sinn unsrer Institutionen verletzte, und das ist das Entscheidende. Die Rechtsfrage werfe ich nicht auf. Ich frage lediglich: Wozu ist die Verkaufsordnung geschaffen Börsenblatt slir den Deutsche» Buchhandel. 78. Jahrgang. ggO