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8152 Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. Pik ISS, 8. August 1SI2. Nichtamtlicher Teil. Berliner Briefe. vm. (VII siehe Nr. 183.) Reisezeit. — Sommerliche Kunst. — Bureaulratie beim Post scheckamt. — Bildende Kunst. — Vermischtes. Reisezeit I Den wunderlichen Zwiespalt, in dem wir Groß städter uns in diesen Tagen befinden, spiegelt sogar die Tages preise wider. Während uns über dem Strich der Redakteur A. die gewöhnliche Lektion über die hohe Politik gibt, ver sichert uns unter dem Strich der Redakteur B., der gerade seine Ferien genießt, daß alle Politik Blödsinn sei und es einzig im Leben darauf ankomme, fern von den Menschen im Grase zu liegen und dem Gesänge der Vögel zu lauschen. Und in 14 Tagen ist es umgekehrt. Dann schildert uns Herr B. mit frischen Kräften die bedrohliche Lage des Welt theaters, und Herr A. gibt aus irgendeinem weltentlegenen Badeort seinen Pastoralen Anschauungen unter dem Strich Ausdruck. Ich möchte beinahe sagen, wir ziehen in diesen Tagen eine gewisse kulturelle Bilanz; wohl jeder legt sich die Frage vor, ob das nervenzerrüttende Großstadtleben, das doch für 11—11^ Monate die Regel bildet, wirklich so unverbesser- lich ist. Ehe wir die Lösung gefunden haben, ist der Sommer dahin, die Träume sind verflogen, und wir gehen wieder unserer Alltagsarbeit nach. Wohl dem, der ausspannen und jenes schöne Leben nicht nur im Traum, sondern auch einige Wochen praktisch genießen durste, er wird mit frischeren Kräften an die Arbeit gehen. Mag der Kaufmann der Kleinstadt die sommerliche Reise teilweise als Vergnügungsreise betrachten, für uns Groß städter bedeutet sie in erster Linie eine Erholungsreise. Diese Anschauung ist ja in den letzten Jahren bei uns Buch händlern nicht nur für die eigene Person, sondern auch für die Angestellten mehr und mehr zum Durchbruch gelangt. Soll der Urlaub mehr als eine bloße Arbcitsunterbrechung bedeuten, so muß natürlich auch die materielle Grundlage für eine Reise dazukommen. Dazu ist mit dem Erholungs heim für Buchhändler in Ahlbeck — dem bald ein solches im Gebirge folgen soll — im vorigen Jahr bekanntlich ein viel versprechender Anfang gemacht worden. Den Herren Kollegen ist ja aus den mehrfachen Rundschreiben die Organisation dieses Vereins genugsam bekannt. Im Anschluß daran möchte ich erwähnen, daß vor mehreren Wochen von Berlin aus ein Ausruf in die Welt gegangen ist, in denen die Akademiker zur Bildung eines Vereins ausgerufen werden, der durch Gründung von Erholungshäusern auch den weniger Be mittelten Gelegenheit geben will, ihre Sommerferien voll auszunutzen. Der Strom der Berliner, die der Reichshauptstadt in diesen Tagen den Rücken gekehrt haben, findet einen gewissen Ausgleich an den vielen Fremden, die Berlin teils auf der Durchreise, teils zu langem Aufenthalt besuchen. Von den Ausländern Pflegen die Russen und Polen die frühsten zu sein. Die schmucken Gymnaflastenuniformen sieht man überall in den Hotels, und die Einkäufe der Eltern beweisen, daß es sich auch im Zeitalter der Pogroms im Zarenreiche ganz gut leben läßt. Eine Umfrage des »Berliner Tageblatts« bei den großen Waren- und Spezialhäusern hat ergeben, daß die Ankäufe der Fremden in diesem Jahre recht zufrieden stellend sind, wovon allerdings der reine Buchhandel, ab gesehen vom Bahnhofsbuchhandel und einzelnen Geschäften an den Verkehrszentren, nicht allzu viel profitiert haben dürfte. Im übrigen kann man nicht gerade behaupten, daß die Fremden in Berlin mit geistigen Genüssen überfüttert werden. Die Theater haben fast sämtlich geschlossen, und diejenigen, die geöffnet sind, dienen zum großen Teil auswärtigen Truppen zur Unterkunft, ganz abgesehen davon, daß die Rollenbesetzung der Berliner Theater während der Sommerzeit allmählich eine ständige Rubrik in den hiesigen Witzblättern gezeitigt hat. Auch von besonderen musikalischen Genüssen hört man jetzt wenig. Im übrigen ist daran in Berlin gerade kein Mangel. Im allgemeinen finden hier jährlich ca. 180V Konzert veranstaltungen statt, von denen ca. — ISO Gewinn bringen. Alle anderen sind also, wenn ich so sagen darf, »Kommissions«- lonzerte aus Kosten der Autoren. Das Ruhen der Kunst in Berlin während der Sommer saison hat auch sozial recht bedenkliche Folgen. Hunderte von Schauspielern sind in diesen Wochen ohne Verdienst. Viele erwerben sich einen kärglichen Unterhalt durch Statisten arbeit bei den großen Kinoaufnahmesabriken. Aber auch hier ist die Bezahlung herzlich schlecht, wie sich in einer Ver sammlung der Schauspieler ergab, die mit der Gründung einer »Genossenschaft deutscher Kinoschauspieler« endigte. Die Stimmung war in dieser Versammlung eine sehr erregte, und man drohte sogar mit einem Streik, eine Absicht, die man sich angesichts der großen Anzahl von Arbeitslosen Wohl noch reiflich überlegen wird. Einen gewissen Ausgleich der stillen Saison in Berlin selbst bieten die Freilichttheater, die anscheinend in Permanenz erklärt sind und sowohl von Einheimischen wie von Fremden frequentiert werden. Schließlich ist es nicht jedermanns Sache, sich in diesen tropischen Tagen stundenlang in einen ge- schlossenenRaum zu setzen, während die Festspiele inBernau und Potsdam den fremden Besuchern Gelegenheit geben, neben künstlerischen Genüssen unsere immer noch verkannte Mark in ihrer landschaftlichen Schönheit kennen zu lernen. Ein Mitzstand in der Postscheckordnung, der dringend der Korrektur bedarf, wird in einer Zuschrift an das »Berliner Tageblatt« beleuchtet. Der betreffende Passus lautet: »Der eingezahlteBetrag ist an den Absender ohne Erlaß einer Unbestellbarkeitsmeldung zurückzuzahlen, wenn für den in der Zahlkarte bezeichneten Ernpsänger bei dem Post scheckamte zwar ein Konto bestanden hat, dieses aber er loschen ist.« Man kann danach in die Lage kommen, jemand auf Zahlung zu verklagen und am Schluß die gesamten Gerichts- kosten tragen zu müssen, wenn der Schuldner nachweist, daß er rechtzeitig gezahlt, aber das Geld zurückerhalten hat, der Gläubiger sich also in Annahmeverzug befindet.*) Noch krasser aber liegt der Fall, den der betreffende Einsender zur Sprache bringt. Hier hatte ein Kunde von ihm an das Postscheckamt bezahlt, ohne seine (des Kunden) Adresse anzugeben. Die Post wandte sich nun an den Adressaten, nicht etwa, um an ihn - unter Abzug des Portos — das Geld auszuzahlen, sondern um von ihm die Adresse des Absenders zu erfahren, an den nach Schema I? das Geld zurückzusenden ist. Da nun der Adressat die Adresse des Absenders — der zurzeit auf Reisen ist — auch nicht angeben kann, die Auszahlung an den bekannten Adressaten aber der Bestimmung der Postscheckord nung widerspricht, so bleibt das Geld vorläufig auf der Post hübsch liegen. Damit ist das Prinzip gerettet. -) Die Postverwaltung bemerkt in einer Entgegnung, daß der Postabschnitt der Rücksendung den Vermerk »Konto erloschen trägt. Das ändert aber nichts cm der Tatsache, daß der Gläu biger normalerweise von der ganzen versuchten Zahlung nichts erfährt.