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8998 Bögeiiblall f. d. Dtschn. Buchhander. Redaktioneller Teil. ^ 21V, 10. September 191Z. gewiß von höchstem Werte, wenn die Ausländer, die hierhcrge- kommen sind, ihre nationale Kunst uns darzubieten, nicht nach Absolvierung ihrer Arbeit sofort den deutschen Boden verließen, sondern im Anschluß an französische, schwedische Musil noch ein Zweitage-Fest moderner deutscher Kunst genössen und mit diesen neuen Eindrücken in ihre Heimat zurückkehrten. Gerade die Fach leute sind die Bannerträger jeder lebenden Kunst, darum ist es unsere Hauptaufgabe, diese Bannerträger für unsere modernen Verlagswerkc zu interessieren. Wenn z. B. der große schwedische Studentenchor, der im Mittelpunkte des Stuttgarter Musikfestes staud, eine Auswahl bedeutsamer deutscher Werke kennen gelernt und je nach Neigung und Geschmack für diesen Autor, für jene Tonschöpfung Sympathie gewonnen, so werden seine Sänger da durch wertvolle Bindeglieder zwischen deutscher und schwedischer Kunst. Sie werden, in ihre Heimat zurückgekehrt, von ihren Ein drücken berichten, werden für und Wider Partei ergreifen; sie werden zu Hause andere für ihre Auffassung interessieren und so dafür Sorge tragen, daß der Kreis unseres musikalischen Wirkens immer weiter, immer internationaler werde. Darum: inter nationale Mufikfeste! Gemischte Musikfeste, die die Träger der feiernden Nationen einander näherbringen, die das Absatzgebiet der deutschen Musik über die Ncichsgrenzen hinaus erweitern! Ein Mann, der in dieser Richtung als Pionier für deutsche Musik unablässig gearbeitet hat, ist Hans Richter, dessen 70. Geburtstag wir kürzlich feiern konnten. Seine Bedeutung für die Verbreitung deutscher Musik ist eine ungeheure. Er, der Vorkämpfer für Richard Wagner, der glänzende Leiter der Wiener Oper und der Wiener Philharmoniker und der große, typisch deutsche Kouzertdirigent in England! Wie mancher Komponist, wie mancher Verleger dank! ihm die glänzende Einführung neuer großer und bedeutender Orchesterwerke! - Einen anderen Sieb zigjährigen konnten wir ebenfalls kürzlich beglückwünschen, einen Mann, der um die Entwicklung des Musik-Sortiments, nicht nur des deutschen, sondern auch des internationalen, sich un sterbliche Verdienste erworben hat, Ernst Challier s en. in Gießen. Ich erinnere mich nur zu genau, mit welchem Katalvgmate« Icrial man einst arbeiten mußte und welch ungeheure Erleichterung es für uns Sortimenter war, als zuerst der große »Liederkatalog« und dann nach und nach die anderen unvergleichlichen Fachkata loge Challiers erschienen. Wer ahnt Wohl, welche ungeheure Ar beit in diesen Katalogen steckt! Das Freiwerden Richard Wagners wirft weiter seine Schalten voraus. Der Parsifal ist in Zürich schon im Frühjahr in höchst weihevoller Weise zur Aufführung gelangt, und das Argu ment der Freunde des ewigen Parsifalschutzes, daß das Werk überhaupt nur an geweihter Stätte in Bayreuth wirken könne, ist damit zu Nichte gemacht worden. Die Aufführungen werden demnächst während mehrerer Wochen wiederholt werden. Das Deutsche Opernhaus in Berlin-Charlottenburg wird mit dem Parsifal pünktlich am l. Januar 1914 auf den Plan treten. In den Werkstätten der Verleger der Volksausgaben wird natürlich unermüdlich an der Herstellung von Neudrucken, Nachdrucken, Neubearbeitungen usw. der Wagnerschen Werke gearbeitet, die alle zum neuen Jahre erscheinen sollen. Dabei tritt wieder die Streitfrage aus, ob es nach dem Gesetz statthaft sei, schon vor dem 1. Januar die Auflagen der Nachdruckwerke zu drucken und sic dann pünktlich am 1. Januar herauszubringen, oder ob zwar der Stich und die Herstellung der Druckplatten vorher borgenommen werden kann, der Druck, d. h. die Vervielfältigung selbst aber erst nach dem 1. Januar erfolgen darf. Die Meinungen darüber sind sehr geteilt, und darum ist Vorsicht am Platze. Eine große Rolle in der Wagner-AuSbeutung der Zukunft werden natürlich die sogenannten »Potpourris« über seine Opernmotive spielen. Im allgemeinen wird ja in wirklich musi kalischen Kreisen über dieses Produkt geschäftlichen Geistes ver ächtlich geurteilt; mit Recht, denn die meisten Potpourris sind nichts als ein unmusikalisches Sammelsurium. Sollte es aber wirklich nicht möglich sein, eine Veredelung dieser Musikform herbeizusühren? Nicht jeder Musikfreund kann sich an der Hand eines großen, vollständigen Klavierauszuges in die klassischen und modernen Meisterwerke vertiefen; mag es ihm auch nicht an Neigung dazu fehlen, so doch häufig an Zeit und noch häufiger an der nötigen technischen Fertigkeit. Unleugbar ist ferner, daß vieles, auf dem Klavier wiedergegeben, nicht im entferntesten dem Eindrücke nahe kommt, den es auf dem Theater oder im Orchester hervor- bringt, — ja sogar ungenießbar und langweilig erscheint. Hier soll nun das »Potpourri« eine Form bieten, die es ermög licht, die wertvollsten Reminiszenzen in gedrängter Fassung und in einer pietätvoll dem Original nahekommenden Wiedergabe ohne allzu große Schwierigkeiten für den Musikliebhaber zu einem rekapitulierenden Genüsse zu Vereinen. Das Potpourri sollte also kein Mischmasch abgehackter, bis zur Dürftigkeit ver einfachter Melodien mit fragwürdigen Zutaten des Bearbeiters sein, sondern »Erinnerungen« an die Höhepunkte eines Werkes darstellen, die gänzlich im Geiste des betreffenden Meisters gehal ten und durch motivische Arbeit so stilgemätz zusammengeschlossen sein müßten, daß es als Ganzes ein wirksames Musikstück re präsentierte! Von Wievielen Potpourris wird man aber sagen, daß sie einen musikalisch gebildeten Menschen befriedigen kön nen? Wird in der Musikprodultion von Fabrikartikeln und Handwerkerei gesprochen so muß man unwillkürlich in erster Linie an das Potpourri denken und wird sich kaum Wundern kön nen, daß diese Musikform nicht nur bei den künstlerisch Berufenen in Acht und Bann getan ist, obwohl sie zur Befriedigung eines schönen Unterhaltungsbedürfnisses doch ihre Berechtigung hat. Etwas besser zu bewerten sind die für Orchester bearbeiteten Potpourris (Streich- und Militürorchcster), wenigstens gibt es da eine Anzahl, die man ohne Mißvergnügen, ja teilweise mit wirklichem Vergnügen anhören kann. Warum wird nun nicht versucht, die besten davon auch für das Klavier zu bearbeiten? Nikisch hat aus dem wässerigen »Trompeter von Säckingen« eine ausgezeichnete Orchesterphantasie geschaffen, schwungvoll und kou- trapunktisch interessant. Warum rettet man solche treffliche Ar beit nicht auch für das Klavier, warum muß mau dasür die an deren flachen Bearbeitungen spielen? Von Seidel existieren packende große Orchesterphantasien aus »Siegfried« und »Götter dämmerung«, während die Klavicrpotpourris über Wagners Opern zumeist kaum erträglich sind. Wieviele neueren Opern, die es nur zu einem Halberfolge brachten und alsbald auf Nim merwiedersehen verschwanden, enthalten doch mancherlei Schö nes, das verdiente, der Vergessenheit entrissen zu werde», indem mau daraus ein gutes Klavierstück formte! Die vorhandenen Potpourris in ihrer schablonenhaften Mache sind selten so an ziehend gesetzt, daß das Markante und Wertvolle sich von dem Minderwertigen abhebt. Neben dem rein musikalischen Inhalte spielt der sachkundig hergestcllte Klaviersatz eine wichtige Rolle. Auch hierin meist Mängel, ja völliges Versagen! Merkwürdigerweise habe ich das, was mir als erreichbar und gut erscheint, da gefunden, wo ich cs am wenigsten erwartete: Die »Edition Europa«, die 20 -;< Nummern an Warenhäuser vertreibt, hat viele Opernpolpourris neu bearbeiten lassen, darunter sind mir welche in die Hände ge kommen, deren Klabierfatz musterhaft ist: leicht spielbar, über raschend hübsch klingend und dabei ein sorgfältig gewählter Inhalt. Gerade jetzt, wo alle Welt daran arbeitet, die Wagnerschen Opern auszubeuten, wäre es für die Verleger an der Zeit, der verachteten Form des Potpourris im Sinne eines musikalisch interessanten »Reminiszenzen-Stückcs« etwas liebevollere Beach tung zu schenken, denn es handelt sich um etwas, das zahllosen Anhängern guter Musik eine möglichst einwandfreie und mühe lose Erholung im Bereiche der Tonkunst gewähren soll! Das Freiwerden Wagners bedeutet natürlich für die Ori ginalverleger des Meisters, vor allen Dingen für die Firma Schott in Mainz, eine ungeheure Einbuße, und es ist daher mehr als begreiflich, daß diese Finna bestrebt sein mußte, einen Er satz für solchen Verlust sich zu schassen bzw. das Ausbeute» ihrer freiwerdcnden Meisterwerke durch die zahllosen Kon- lurrenzverleger in irgend einer Weise zu parieren. Die Firma Schott hat daher in diesen Tagen den Musikalienhandel mit der »Gründung der Edition Schott, Einzelausgaben« überrascht und sKortsctzung aus Seite 9047.)