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237. 10 Oktober 1908. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 11081 Paul Schnitze und Paul Meßerschmidt die Gräber seiner in Leipzig bestatteten Ehrenmitglieder durch Kränze mit Widmungsschleifen schmücken ließ. Um 11 Uhr begann der Festakt im großen Saale des Zentraltheaters, der außer mit dem Banner des Vereins und dem des Vereins der Buchhändler zu Leipzig sowie des Berliner Brudervereins »Krebs« in Berlin auch sonst sinnig geschmückt war und sich bald mit einer festlich gekleideten Schar von Herren und Damen. Mitgliedern und Gästen füllte. Von den Ehren gästen seien besonders erwähnt Herr Geheimer Regierungsrat Dr. Grünler von der Kreishauptmannschaft Leipzig als Ver treter des Ministeriums des Innern und des Kreishauptmanns, — Herr Oberbürgermeister vr. Dittrich. — Herr Ober baurat Eiseubahndirektor Weidner, — Herr Justizral vr. Junk, Vertreter der Stadt Leipzig im Deutschen Reichs tag, — Herr Polizeidirektor Bretschneidec, — Herr Ober bürgermeister a. D. Geheimrat vr. Georgi, — Herr Ober postdirektor Domizlaff, — Herr Landgerichtspräsident Schmidt, — Herr Geheimer Kommerzienrat Zweiniger, Präsident der Handelskammer, — Herr Verlagsbuchhändler vr. Ernst Vollert-Berlin, Erster Vorsteher des Börsen verein der Deutschen Buchhändler, — Herr Verlagsbuchhändler Robert Voigtländer, Vorsteher des Vereins der Buch händler zu Leipzig — Herr Verlogsbuchhändler Johannes Hirschfeld als Vertreter des Leipziger Stadtverordneten- Kollegiums. Nach dem Vortrage der Jubel-Ouverture von Carl Maria von Weber durch die treffliche Kapelle von Günther Koblenz hielt Herr A. Wörnlein, Verwaltungsdirektor des Deutschen Buchgewerbevereins, von einem vor der Bühne zu ebener Erde errichteten Rednerplatze aus die Festrede. Er sprach folgendes: Hochansehnliche Versammlung! Wenn ein Wanderer auf seinem Wege einen Höhepunkt er reicht hat und auf diesem der Ruhe pflegt, dann läßt er während der Rast gerne die von ihm zurückgelegte Strecke vor seinen geistigen Augen vorüberwandeln, um nochmals der Schönheiten, die er auf seiner Wanderung genossen, sowie der Schwierigkeiten zu gedenken, die er auf seiner Bahn mit frischem Mut und zäher Beharrlichkeit überwunden hat. Aber auch auf den noch vor ihm liegenden Weg, der ihn zum End ziel führen soll, pflegt er den Blick zu lenken mit den Fragen: Was wird der neue Weg bringen? Werde ich wohl in gleich guter Weise mein Ziel erreichen? Gleich einem solchen Wanderer müssen wir am heutigen Tage, an dem der Buchhandlungsgehilfen-Verein zu Leipzig die bedeutungsvolle Feier seines fünsundsiebzigjährigen Bestehens begehen kann, vor unfern Augen nicht nur die zurückgelegte Laufbahn des Jubelvereins aufrollen, sondern auch die vor ihm liegende Zukunft aufsteigen lasten. Wenn wir unfern Blick in die ersten Lebenslage des Buch- handlungsgehilfen-Vereins werfen, dann zeigt sich uns ein sehr dunkles und trübes Bild, denn das Jahr 1833, das Geburts jahr des Vereins, ist uns allen bekannt durch die kriminellen Verfolgungen der allgemeinen deutschen Burschenschaften, durch die maßlos scharfe Unterdrückung aller Ideen, die ein geeinigtes freies Vaterland erstrebten, auf das wir heute mit Stolz blicken können, überall witterte man nichts als politische Vergehen und politische Aufreizungen; für verdächtig, für schuldig galt schon jeder, der nicht im Tone der loyalen Blätter schrieb und sprach. In jener schlimmen Zeit fand sich eine Anzahl strebsamer Buchhandlungsgehilfen häufig in freier Gesellschaft zusammen, und aus diesem Grundstamm heraus sollte sich der Buch handlungsgehilfen-Verein entwickeln, der bis zum heutigen Tage ein so segensreiches Wirken betätigte. Eduard Avenarius, der spätere Herausgeber und Ver leger des heute noch bestehenden tonangebenden Literarischen Centralblattes, und Otto August Schulz, dem das nun im Verlage des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler er scheinende, jedem Buchhändler unentbehrliche Adreßbuch für den Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 7b. Jahrgang. Deutschen Buchhandel sein Entstehen verdankt, waren die Seele des vorerwähnten Kreises und des von ihm geplanten Unter nehmens, einen geschlossenen Verein zu gründen, besten Zwecke zunächst die Beförderung persönlicher näherer Bekanntschaft und Erholung nach den Geschäften des Tages sein sollten. Der zu gründende Verein sollte aber auch durch gegenseitige Mit teilungen über alles, was dem Buchhändler in literarischer, wie merkantiler Beziehung von Interesse sein dürfte, sowie durch die Beobachtungen und Erfahrungen einzelner, die in der geselligen Unterhaltung oder in besonderen Vorträgen zur Sprache gebracht werden sollten, die weitere Ausbildung des Einzelnen fördern. Am 10. September 1833 erließen Avenarius und Schulz ein Rundschreiben, in dem sie den Herren Kollegen die Stiftung eines geselligen Vereins unter den Buchhandlungsgehilfen Leipzigs vorschlugen und solche zum Beitritt aufforderten. Der Erfolg dieses Rundschreibens war ein sehr günstiger, denn nicht weniger als 62 Zustimmungen bewiesen, daß die Gründung des vorgeschlagenen Vereins allseitig willkommen war. Ein provisorisches Komitee berief nun eine vorberatende Versamm- lung ein, die sich über die Satzungen aussprach und Avenarius als Vorsteher, Schulz als Sekretär des zu gründenden Vereins in Aussicht nahm. Auf Grund dieser Vorberatung fand dann am 5. Oktober 1833 im Hotel de Pruste die Gründung des Buchhandlungsgehilfen-Vereins zu Leipzig statt, der zugleich auch die erste Vereinigung von Buchhandlungsgehilfen in unserem deutschen Vaterland war. Unter den ersten Satzungen, die von 48 Mitgliedern unterzeichnet sind, finden sich Namen, deren Träger schon damals Charaktere sein mußten und die sich in ihrer späteren Berufstätigkeit an die Spitze des deutschen Buchhandels stellten, so: Julius Klinkhardt, Georg Reimer, Bernhard Tauchnitz und Johann Jakob Weber, der Begründer der Leipziger Jllustrirten Zeitung. Unter solchen Umständen konnte der junge Verein hoffnungsvoll in die Zukunft blicken, zumal ihm auch von der Deputation deS Vereins der Buchhändler zu Leipzig Teilnahme an seinem Gedeihen und Förderung seiner Bestrebungen zu gesichert wurde. Von jeher war bei den Angehörigen des Buchhandels der Drang nach weiterer Ausbildung besonders stark vorhanden. Es kann daher nicht überraschen, daß der junge Verein bereits im Januar 1834 von einem jungen Gelehrten Vorträge über Enzy klopädie, Geschichte und Literatur der Wissenschaften abhalten ließ. Heute sind Vorträge, die von Vereinen zur Fortbildung ihrer Mitglieder veranstaltet werden, nichts Seltenes; vor fünf- undsiebzig Jahren aber lagen die Verhältnisse ganz anders. Die Vereine, soweit sie nicht gelehrten Zwecken dienten, pflegten nur Geselligkeit und Vergnügen, von wissenschaftlichen oder sonstigen Dingen, die zur weiteren Ausbildung dienen konnten, wollten ihre Mitglieder nichts misten. Der Buchhandlungsgehilfenverein darf daher mit Stolz darauf blicken, daß er in dieser Hinsicht eine Ausnahme machte und in erster Linie auf die Weiter bildung seiner Angehörigen bedacht war. Er darf dies um so mehr, weil die ersten Vorträge nicht die letzten waren, denn schon im nächsten Jahre (1835) können wir wieder von gleichartigen Veranstaltungen lesen, und im Laufe der Zeit haben sich Vorträge und Vorlesungen zu ständigen Einrichtungen herausgebildet. Gelehrte und Fachleute von Ruf haben sich regelmäßig im Winterhalbjahr hören lassen und dem Bildungs prinzip des Vereins besondere Geltung verliehen. Der Börsen verein der Deutschen Buchhändler erkannte zuerst, welche Be deutung diese Vorträge sür die Heranbildung eines tüchtigen Nachwuchses hatten, und er förderte gern die Bestrebungen deS Vereins durch finanzielle Beihilfe. Ihm schloß sich bald der Verein der Buchhändler zu Leipzig an, der heute noch in opfer williger Weise dem Buchhandlungsgehilfen-Verein alljährlich einen Betrag von 300 zur teilweisen Deckung der durch die Vorträge entstehenden Kosten gewährt. Hochansehnliche Versammlung! Alljährlich zu Kantate findet in den Mauern unserer Stadt das vielberühmte und in den fernsten Gauen unseres Vaterlandes bekannte Kantate- Essen der Buchhändler statt, bei dem sich die angesehensten Ver treter des Deutschen Buchhandels zusammenfinden, um nach des Jahres Last und Arbeit Erinnerungen aller Art auszutauschen, 1447