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VVH»blLtt f. d. Dtschll. Buchhandel. «edaMrmelle, Letl. Xs 218, 6. Oktober 1919. Die Wörterbücher der deutsch-österreichischen Mundart. Eine bibliographisch-kritische Studie. Die meisten der in Deutschösterreich gesprochenen Dialekte weisen durch ihr einheitliches Gefüge auf eine gemeinsame Ab stammung hin; sie gehören in der Tat zum großen bairischen Hauptdialekt. (Weinhold, Bair. Grammat. II5.) SchmelIer war der erste, der diesen Wortschatz erschöpfend bearbeitete.*) Durch sein grundlegendes Werk angeregt, haben sich auch andere auf diesem Gebiete verdient gemacht, wie z. B. der Franziskaner pater und Sprachforscher Joh. B. Schöpf, dessen »Tirolisches Idiotikon«, Innsbruck 1866, sehr geschätzt wird. Bloß die eigent liche deutschösterreichische Mundart, wie sie in den Gebieten ober und unterhalb der Enns gebräuchlich ist, hat noch kein auf wis senschaftlicher Grundlage bearbeitetes Lexikon aufzuweisen, ob gleich gerade sie wegen der Fülle ihrer Stammwörier und ihres reichen Vokalismus längst Anspruch darauf hätte. Nun soll endlich auch dieser Mundart zu ihrem Rechte ver- holfen werden durch die Herausgabe eines bayerisch-öster reichischen Wörterbuchs, das von den Akademien der Wissenschaften in Wien und München gemeinsam bearbeitet wird. Der Titel des Wörterbuchs steht derzeit noch nicht fest; ebenso wenig verlautet, wann der Druck des jedenfalls mehrbändigen Werkes in Angriff genommen werden kann. Die vorliegende Studie beruht auf emsigen Nachforschungen in den hiesigen Bibliotheken: fast alle darin vorkommenden Ar tikel sind cks visu ausgenommen. Das Quellenmaterial ist nur spärlich vorhanden; einiges fand sich in Paul Trömels, des vielversprechenden und früh verstorbenen Buchhändlers, biblio graphischem Versuch »Die Literatur der Deutschen Mundarten«, Halle 1854 (abgedr. aus Petzholdts Anzeiger), ferner in Hoff- manns von Fallersleben »Grundriß der deutschen Philologie« (1836) und bei Mareta, dessen »Proben« weiter unten zitiert werden sollen. Die bisher erschienenen ickioücs Vis-mensi» sind unvollstän dig, zumeist veraltet und durchgehends mangelhaft in Hinsicht auf Etymologie und Definition. Auch haftet allen ein gemein samer Grundfehler an: der einer willkürlichen, gedankenlosen und den Dtalekllauten durchaus nicht entsprechenden Schreibung. Es gebricht ihnen sozusagen an »Orthographie«. Im Vergleich damit zeigen die ausländischen Geisterprodukte dieser Art, zumal die italienischen, eine bemerkenswerte Einheit und Geschlossen heit in der schriftlichen Wiedergabe der Volkssprache: diese er scheint dort wirklich so, wie sie im Munde des Volkes lautet; hier schreibt jeder, wie es ihm beliebt. Allerdings gehört zu einer graphisch richtigen Darstellung der Laute ein verfeinerter Gehörsinn, der nicht allen eigen ist. Bis zuin Ausgang des 18. Jahrhunderts ist unseres Wis sens nur e i n Versuch gemacht worden, die niederösterreichischen Dialektwörter zu sammeln: sonderbarerweise durch den bekann ten rabulistischen Vielschreiber Christoph Friedrich Nicolai aus Berlin. Im fünften Band seiner breitangelegten, selbst gefälligen »Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz«, Berlin-4785 u. ff., findet sich auf S. 70—145 ein Versuch eines österr. Idiotikons, der jedoch bei Nicolais gänz licher Unkenntnis dieses Dialekts glänzend mißlang. Die chronologische Reihenfolge der österreichischen und spe zifisch wienerischen Lexika beginnt erst 1800 mit einem beschei denen Bändchen, einem anonymen Fragment, unter dem Titel: »Mundart der Oesterreicher, oder Kern aller ächt österr. Phrasen und Redensarten. Wien 1800. Auf Kosten des Verfassers«. Auf ordinärem, ungeleimtem Papier, mit großen, derben Let tern gedruckt, behandelt das Merkchen auf seinen 107 Seiten in Klein-Oktav nur die Buchstaben L und v. Wie der Verfasser bereits in der »Vorerinnerung« andeutet, ist es bloß als «in Vorläufer zu betrachten. Als Kuriosum möge di« Vorrede des selten gewordenen Opusculums hier mitgeteilt werden. Sie *> Bayrisches Wörterbuch von I. A. Schmeller, Mutig. 1827— 1887; zweite Ausgabe, bearbeitet von vr. G. K. Kronimann, vier Teil«. München 1872-1877. «76 lautet wörtlich: »An den Leser. Jede Provinz hat ihre eigenen Provinzialismen, folglich auch unser gesegnetes Oesterreich; daß aber unsere Provinzialsprache sehr viel Komisches in sich habe, ist eine Sache, der wir als biedere Oesterreicher ja un möglich widersprechen können. Ich habe diese Redensarten in alphabetischer Ordnung mühesam gesammlet, und einer jeden derselben eine deutliche Erklärung beygefüget. Hier empfangen Sie Leser I inmittels das erste Bändchen dieses Werkes, welches Ihnen gewiß ein sehr angenehmer Zeitvertreib, den mit unfern Nationalausdrücken unbekannten Fremden aber ein sehr nütz liches Belehrungsbuch seyn soll. Von Ihrem Winke soll es ad- hangen, die Fortsetzung zu erhalten. Leben Sie wohl. Ge schrieben den 24. July 1799. Der Verfasser«. Diese Fortsetzung erschien jedoch nicht. An ihrer Stelle gab der Verfasser elf Jahre später das Ganz« heraus, mit wenig verändertem Titel und dem Beisatz: »Von ä. dis 2«. Auch in dieser Ausgabe ist weder Verfasser noch Verleger angegeben; sie ist in Klein-Oktav, mit kleineren Typen als die erste gedruckt und 134 Seiten stark. Die vielfach an jene gemahnende »Vor erinnerung« schließt mit den Worten: »Geschrieben den 1. Jän ner 1811«. Nach dreizehn Jahren erschien davon ein ebenfalls anonymer Neudruck mit abermals verändertem Titel: »ickioUcnm Lustriscum, das ist Mundart der Oesterreicher, oder Kern ächt österreichischer Phrasen und Redensarten. Von L bis 2. Zweyte vermehrte Auflage, mit besonderer Rücksicht auf Wien«. (Dieser Zusatz ist neu.) »Wien 1824. Im Verlage bey Franz Wimmer.« Das Vorwort, in welchem der Verfasser sein Werk »nach dem gänzlichen Vergriffe der Ausgabe von 1811« dem Leser neuer dings als sehr angenehmen Zeitvertreib empfiehlt, ist datiert: »Enzersdorf am Gebirge, den 31. März 1824. Dieser Neudruck ist in Klein-Oktav und auf besserem Papier hergestellt; er enthält 132 Seiten, nebst Titel und Vorwort.*) Eine genaue Vergleichung der'drei Ausgaben beweist ein wandfrei, daß sie von ein und demselben Autor stammen, als welcher der bekannt« Wiener Literat und verdienstvolle Gründer des Wiener Musikvereins Joseph Sonnleithner (1766 —1835) anzunehmen ist. Bezeichnend dafür sind die Bemerkun gen über den österreichischen Dialekt, die Sonnleithner der von ihm besorgten Ausgabe der Lustspiele Philipp Hafners, eines damals beliebten Wiener Komödiendichters, beigefügt hat. Gleichwohl nennt Ferdinand Mentz**) in seiner »Bibliographie der deutschen Mundarten«, Leipzig 1893, einen gewissen Lo- rinser als Verfasser der ersten Ausgabe vom Jahre 1800 und Sonnleithner als den der zweiten. Die von 1824 erwähnt er nicht. Ich habe mich vergeblich bemüht, herauszufinden, welche Bewandtnis es mit dem Namen Lorinser habe; mög licherweise war er ein Pseudonym Sonnleithners oder ein Ana gramm seines Namens, der tatsächlich alle Buchstaben desselben enthält. Wurzbachs biographisches Lexikon, das außer Joseph noch andere verdiente Mitglieder der Humanistenfamilie Sonn leithner ausführlicher behandelt, erwähnt das Buch überhaupt nicht. Im Jahre 1815 gab Mathias Höfer in Linz xin »Ety mologisches Wörterbuch der in Oberdeutschland, vorzüglich aber in Oesterreich üblichen Mundart« in drei Bänden heraus. Von ihm ist auch »Die Volkssprache in Oesterreich vorzügl. ob der Enns, Wien 1800«. In Hormayrs Archiv 1825 findet sich «in« anonyme Abhandlung: »Einiges über die Mundart der Wiener und das Alter derselben«. Besonders verdient um die nieder- österreichische Mundart macht« sich Franz ZiSka (auch Tschischka geschr.) durch mehrere Schriften, hauptsächlich durch die »Proben eines Wörterbuches der in Oesterreich üblichen Mundart«, abgedruckt im 26. Bande der Wiener Jahrbücher der Literatur, nebst Auszügen aus dem noch ungedruckten Idiotikon, ebd. Jahrg. 1824, Anzeigeblatt Nr. 25—26; ferner die »Bemer kungen über die Mundart des Volkes im Lande Oesterreich unter der Enns« in den Beiträgen zur Landeskunde Oesterreichs usw. *> Auch dies« Ausgabe ist sehr selten. Ein Wiener Antiquar ver langte kürzlich für ein aus der Bibliothek der bekannten Schriftstellerin Karoline Pichler stammendes Exemplar in Pappband, mit zahlreiche» handschriftlichen Anmerkungen von Wiggers, nicht weniger als 190 Kr. **> Bgl. Holzmann u. Bohatta, Anonymen-Lexikon lll, 186, 818.