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^ 80, 19. April 1912. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 4865 Eine seit I. Januar in Reval erscheinende »Deutsche Monatsschrift für Rußland» dürfte vielleicht etwas zur Kenntnis Rußlands im Auslande beitragen und einiges Material für eine Geschichte des Deutschtums in Ruß land zutage fördern. Die erste Nummer beginnt mit einem Aufsatz von Gernct, »Die Deutschen in Ruß land» und enthält interessantes statistisches Material, aus dem ich einige Zahlen hier Mitteilen möchte. Nach der Reichsoolkszählung vom Jahre 1897 lebten in Rußland <vhne Finnland) 1 790 489 Deutsche, und nahmen in numerischer Hinsicht den achten Platz unter den Völkern Rußlands ein. Hinsichtlich der Bildung marschieren die Deutschen an erster Stelle (Kenntnis des Lesens und Schreibens 59,91 Prozent Männer, 58,57 Prozent Frauen). Sonst enthält die Nummer wohl noch vieles Interessante, aber nichts was für den deutschen Buchhändler von Nutzen sein könnte Dagegen wird es in Deutschland interessieren, zu hören, daß das russische Unterrichtsministerium eine An zahl Studenten auf Staatskosten nach Deutschland ge schickt hat, damit sie sich dort für den Pädagogenberuf oor- bereiten. Wieder ein Beweis, wie sehr man deutsche Bildung tm Auslande zu schätzen weiß. Ein reges Leben und reges Interesse gibt sich jetzt an läßlich der Hundertjahrfeier des Napoleonischen Feldzugs nach Rußland kund. Allenthalben sind Komitees für Ausstellungen, Publikationen usw. gebildet worden. Von den bereits erschienenen Büchern dürfte für die Leser des Börsenblatts besonders W. A. Wereschtschagin, -Der vaterländische Krieg» (Orensarnsiiintn ooilna) von Interesse sein. Das Buch ist eine Arbeit über die russischen Karikaturen auf Napoleon I. und behandelt die Künstler Terbenjew, Venezianow und Iwanow; es erhält seinen Wert in erster Linie durch das reiche, zum Teil farbige Abbildungsmaterial, dem sich ein vollständiges beschreibendes Verzeichnis der Karikaturen der oben genannte» Künstler an schließt. Kürzlich sprach ich an dieser Stelle über das russische Sortiment und den Verlag und müßte eigentlich nun auch einiges vom russischen Antiquariat erzählen. Tüchtige Antiquariate, die sich mit den westeuropäischen messen können, haben wir im russischen Reiche nur drei, die anderen find sehr oft Kramläden oder auch Handlungen, die alte und neue Bücher zusammen verkaufen. Ich sage Kramläden, vielleicht wäre der Ausdruck Makulaturwarenhandlungen richtiger. Denn wie soll man eine Handlung anders bezeichnen, die in ihren zwei großen Schaufenstern in einer der Hauptverkehrsadern schreiende Plakate hängen hat! »Jed-s Pfund Bücher 20 Kopeken»? Und die Leute machen Geschäfte! Ich war zu wiederholten Malen in diesem Laden und fand immer eine Masse kaufendes Publikum. Die Menge wird wohl niemals klug werden und Schund von Literatur unterscheiden lernen. Die kaiserliche öffentliche Bibliothek hat soeben ihren Jahresbericht für 1911 herausgegeben, dem ich folgende Zahlen entnehme. Die Bibliothek besaß im Jahre 1911 1 881 623 Bände, 21 632 Karten, 100199 Stiche und Photographien, 36 672 Handschriften, 79 500 Autographen, 6028 Urkunden und ca. 2500 Nachschlagewerke. Der »Bibliophil« russs» bringt in seiner 2. und 3. Nummer eine »Liblioqrapbis kraneo-slavs äs 1910 par Lobresitrsr«. Der Verfasser trägt nicht nur alle Büchertitel, sondern auch alle Zeitschriftenaufsätze zu einem Ganzen zusammen, so daß diese Zusammenstellung für alle, die sich mit der franko-slaoischen Frage beschäftigen, ein sehr brauch bares Hilfsmittel werden dürfte. St. Petersburg. Erich Haake. Kleine Mitteilungen. Bedenkliche Berlcgerpraxis. (Nachdruck verboten.) — Man schreibt dem »Hannoverschen Courier«: »In seinem ersten März. Heft hatte der »Kunstwart« einen schweren, aber gut begründeten Angriff gegen die Firma E. Piersons Verlag in Dresden ge richtet. Ein Gesinnungsverwandter dieses Verlages scheint der Verleger Curt Wigand in Berlin zu sein. Typisch für sein Verfahren dürste folgender, hier genau nach den Akten berichteter Fall sein. Ein Lehrer bot ihm ein Heftchen Er zählungen an. Er erhielt daraus einen mit Verrochios Condottiere Colleoni (eigentlich ein fatales Omen, diese geharnischte Ritter gestalt !> als stolzem Signet geschmückten Brief, in dem ihm für die Übermittlung des «so ungemein sympathischen Werkes« gedankt und sofort ein Verlagsvertrag zur Unterschrift übersandt wurde. In diesem wurde ein »Beitrag zu den Verlagskosten« im Betrage von 400 verlangt. Wigand ließ sich dann aber herbei, den Zuschuß auf 325 > zu ermäßigen (»der Verfasser könne darauf ohne Bedenken eingehen«), und »da ihm an dem Merkchen viel liege«, gestand er dem Verfasser die Hälfte des Ladenpreises von jedem verkauften Exemplar zu, »so daß Sie von dem ersten Tausend 750 von jedem weiteren Tausend 300 erhalten würden«. (! ?) Dann bat er weiter, am 30. November »mit Rücksicht auf das Weih nachtsfest«, zu dem das Werk, wie jeder Buchhändler weiß, nun mehr zu spät kommen mußte, um postwendende Entscheidung, und richtig, das System versagte nicht. Im Vertrage hatte er sich Vorbehalten, die erste Auslage von 1000 Exemplaren in zwei Druck- zu teilen. Tatsächlich druckte er auch nur 400, wußte er doch ganz genau, daß er diese nie verkaufen würde und er nicht riskierte, das Werk noch mals aus seine Kosten setzen zu müssen. Da die Her stellungskosten des dürftig ausgestatteten Büchleins SM -4! kaum viel überschritten haben werden, ist der Beitrag zu den Verlagskosten von 325 nicht Übel. Die Abrechnung über den Verkauf erfolgte erst aus mehrmaliges Drängen und brachte dem Verfasser, da nur ein paar Exemplare verkauft waren, nur etwa so viel ein, als er über seinen »Kostenbeitrag« hinaus noch für von ihm verschuldete Korrekturen bezahlt hatte, für die auch ein ganz übertriebener Preis berechnet warl Das Ende war dann, daß Wigand dem Verfasser mitteilte: Da sich die beiderseitigen Hoffnungen nicht erfüllt hätten, schlage er vor, den Rest einer Ramschsirma zu ver kaufen und den Erlös (pro Exemplar ca. 5<z> brüderlich zu teilen. Bemerkt sei, daß sowohl der Vertrag wie dieser letztgenannte Vorschlag gedruckt, bzw. mechanisch vervielfältigt waren. Daß beide Formulare leider massenweise Verwendung finden, mag ein Artikel der »Neuen Züricher Zeitung« (lSll, Nr. 77) beweisen, dem wir folgendes entnehmen! Zu den Verlegern, die der Literatur an Quantität ersetzen, was sie ihr an Qualität vorenthalten, gehört Herr Curt Wigand in Leipzig (Berlin!), der vor einiger Zeit 32 Bücher aus einmal und bald daraus deren etwa zwei Dutzend hinauswarf und die Pausen zwischen derartigen Verlegertaten, nie zu lang be- mißt. Natürlich nicht zu seinem Schaden. Denn seine Spezialität bilden Autoren, die, statt ein Honorar zu beanspruchen, im Gegenteil die Ehre, durch ihn zum Druck befördert zu werden, mit teurem Gelbe bezahlen und sich dafür mit der Hoffnung aus einen Gewinnanteil begnügen. . . . Zum Dank für die guten Geschäfte, die er mit der Lite ratur macht, und offenbar auch als Ersatz für den Schaden, den er ihr zusügt, hat er sie vor einigen Jahren selbst auch bereichert mit einem Buche («Unkultur«), worin er dem deutschen Volke in den kräftigsten Ausdrücken seine Meinung sagt und ihm Vorlesungen hält über gute Sitten usw Indessen ist seltsamerweise in diesem Büchlein kein Kapitel über Geschäfts-, insbesondere Verlegermoral zu finden. Doch ohne Scherz: Dieses Gebaren hat seine ernste Seite, auch wenn wir gar nicht an die Autoren denken, obwohl neben einigen wenigen, die für die Eitelkeit, sich gedruckt zu sehen, überflüssiges Geld auszugeben haben und daher kein Mit leid verdienen, die Mehrzahl arme Idealisten sind, die aus eine naive Hoffnung ihren ganzen Sparpsennig oder das ganze Vermögen einer gläubigen Mutter setzen und not- wendig eine bittere Enttäuschung erleben. Nein, der Haupt schaden, den derartige Verleger der Literatur zusügen, besteht «34 Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 79. Jahrgang.