Volltext Seite (XML)
<864 «öcs-nilaU s. d. Dtschn. «uchh-nd-l. NichtamUicher Teil. SO, IS. April 1912. sind. Die Ableitung »Ausländischer Bücher» kann nur ein Kopfschütteln erregen, da aus den verschiedensten Ländern nur eine geringe Zahl Bücher, Zeitschriften und Zeitungen ausgelegt sind, denen noch dazu alle charakteristischen Merk male fehlen. Als Typus des deutschen Witzblattes ist einzig -Der wahre Jakob» (!) ausgestellt. Gern hätte man etwas mehr Sorgfalt in den einzelnen Abteilungen und in der An ordnung gesehen; ich kann jedenfalls nicht verstehen, was ein Katalog einer Ofenfabrik mit -Bibliographie« zu tun hat. In meinem letzten Berichte versprach ich noch auf die -Frühjahrsausstellung der Akademie der Künste« zurück zukommen; mein Besuch zeigte mir nun, daß nichts ausgestellt war, was für den deutschen Kunsthändler von Interesse ge- wesen wäre. Daraus dars indes nicht etwa der Schluß gezogen werden, daß das Kunstleben in Rußland darnieder liege, nein, es wird an allen Enden tüchtig geschafft und der Kunst von vielen Seiten ein reges Interesse entgegen gebracht. Leider fehlte bis jetzt noch immer eine rechte ge meinsame Pflegestätte für die Geschichte der Kunst; da es auf den Universitäten kein selbständiges Fach der Kunst geschichte gibt, wird diese mit Geschichte und Literatur zusammen behandelt. Da von Staats wegen für Abhilfe nicht gesorgt wird, hat Graf Valentin Subow ein privates kunfthlstorisches Institut gegründet und nach mehrjähriger mühsamer Vorarbeit am 2. März alten Stils der Öffent lichkeit übergeben. In seinem ausgedehnten Palais im Zentrum der Stadt- hat er dem Institut eine Reihe präch tiger Räume zur Verfügung überlassen und eine Fach bibliothek von ca. 6000 Bänden und 60 laufenden Zeit schriften in allen Kultursprachen zur allgemeinen Be nutzung der Jnstitutsmitglieder aufgestellt. Das Institut will nicht nur einheimischen Kunstinteresscnten kunstgeschicht liche Kenntnisse vermitteln und einen Treffpunkt für sie bilden, sondern auch ausländischen Kunstinteressenten, die nach St. Petersburg kommen, jede Hilfe und Förderung in bezug aus den Besuch von Sammlungen und Erteilung von Auskünften angedeihen lassen. Ferner soll es Beziehungen zwischen russischen und ausländischen Kollegen vermitteln. Von ganzem Herzen muß man dem jungen Unternehmen, dem Graf Subow selbst als Direktor vorsteht, Erfolge wünschen, und ich hoffe noch recht oft Gelegenheit zu haben, die Arbeit des Instituts würdigen zu können. Die Be schäftigung im Institut wird auf weitestgehende Weise er leichtert, so daß sich manche staatliche Institution ein Beispiel daran nehmen könnte. Statt sich der Berner Konvention anzuschließen, begnügt sich das russische Reich noch immer, Sonderabkommen mit den einzelnen Staaten abzuschließen. Dem zwischen Frank reich und Rußland zustandegekommenen Literarvertrag (vgl. Bbl. 1912, Nr. 29 u. 51) soll sich jetzt ein solcher mit Schweden anschließen. Tolstois Wirken und Persönlichkeit ist so unerschöpflich, daß es immer wieder Neues von ihm oder von Institutionen, dis seinen Namen tragen, zu berichten gibt. Das Moskauer Tolstoi-Museum, das jetzt bereits über 300 Nummern ver fügt, gibt seinen ersten Band -Nachrichten aus dem Tolstoi- Museum» heraus, der den sehr interessanten Briefwechsel zwischen Leo Tolstoi und dem Grafen I. A. Tolstoi 1847—1903 bringt. Der vor kurzem erschienene 3. Band der nach gelassenen Werke Tolstois enthätt u. a. den leider von der Zensur stark gekürzten Roman »Vdaäsbimnrstj», aber noch immer nicht die Erzählung »Feodor Kusmitsch», die die Legende über Alexander I. enthält. In der im Auslande erschienenen Ausgabe ist diese bereits schon im 2. Bande zum Abdruck gebracht worden; sollte auch hier die Zensur Schwie rigkeiten in den Weg legen? Tolstoi war bekanntlich ein Feind jeder Lyrik, weil er in ihr nur eine schlechte Übersetzung gedachter Prosa sah Er ließ auch den bedeutendsten modernen russischen Lyriker Konstantin Balmont, der jetzt im März sein 25jähriges Schriftstellerjubiläum feierte, nicht gelten. Balmonts Ein fluß auf die russische Literatur ist so groß, daß ohne ihn der größte Teil moderner russischer Dichter überhaupt nicht denkbar wäre. Trotz der Biegsamkeit und des Reichtums der russischen Sprache hat Balmont eine ganz neue, reiche Dichtersvrache gesunden, er ist, wie vr. Luther in einem Aufsatz über Balmont sagt, der -Begründer des Impressionis mus in der russischen Lyrik». Seine große Sprachkunst ließ ihn zum Übersetzer werden, dem wir Übertragungen von Shelley, Calderon, Goethe, Hauptmann, Walt. Whitman, E. A. Poö, E. T. A. Hoffman» und noch vielen anderen ver danken. Seiner starken Persönlichkeit ist es vielleicht versagt, sich einer anderen Individualität restlos anzupaffen, und cs mag gerecht sein, wenn man ihn manchmal einen mittelmäßigen Übersetzer nennt, aber es sind doch darunter Meisterwerke der ÜbersetzungSkunft, die man heute wie künftig nur in Balmonts Übertragungen lesen wird. Auch als Prosaiker bleibt Balmont Lyriker, seine Novellen sind lyrische Gedichte in Prosa, und seine Essays sprechen Empfindungen und Stimmungen aus, die seine Seele bewegen. Soviel mir bekannt ist, gibt es eine gute deutsche Übersetzung Balmont- scher Verse von Georg Bachmann, die recht lesbar ist. vr. Gleye beklagt sich in der »St. Petersburger Zeitung», nicht ganz mit Unrecht, über die maßlose Un kenntnis, die in Deutschland über Rußland herrsche, sowie darüber, daß viele Bücher ganz falsche Vorstellungen russischen Lebens gäben, und daß auch heute noch viele deutsche Ver leger nur solche Werke in ihren Verlag nähmen, die entweder etwas Pikantes oder Grausiges über Rußland enthalten. Ein deutscher Verleger wird sogar öffentlich an den Pranger gestellt, vr. Gleye bedauert, daß noch immer die Geschichte des Deutschtums in Rußland nicht geschrieben sei, und meint, daß solch eine Geschichte viel zum Ausgleich bestehen der Gegensätze beitragen würde. Er erinnert daran, daß seinerzeit -Die Geschichte des Deutschtums in Nordamerika» ihre Entstehung einem Preisausschreiben verdankt Habs, und schlägt vor, ein gleiches für die Geschichte des Deutschtums in Ruß land zu veranstalten.*) Man muß vr. Gleye durchaus zu stimmen, wenn er sich über die Unkenntnis russischen Lebens im Ausland beklagt, zeigte doch noch kürzlich ein recht an gesehener deutscher Verleger ein Buch über Rußland mit den Worten an; -Mittelalterliche Lust ist es, die wir atmen.» Nun, wir sind in Rußland schon recht modern. Von den großen Städten will ich ganz schweigen, aber unsere Bauern gebrauchen zu ihrer Feldarbeit auch schon Maschinen und lassen sich von einem über ihre Köpfe fliegenden Aeroplan kaum stören. Man merkt wirklich so ganz und gar nichts vom Mittelalter. Wenn man die russische Landbevölkerung um 50 Jahre gegen den euro päischen Westen zurückschraubt, so genügt das vollständig, und vom Mittelalter dürfte diese Zeit doch ein wenig ent fernt sein. *> Das ist u. W. nicht ganz richtig. Wohl ist ein solches Preisausschreiben Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahr hunderts von Herrn E. Steiger in New Uork im Anschluß an das Erscheinen des t. Bandes von Friedr. Kapps unvollendet gebliebener Geschichte der deutschen Einwanderung in Amerika, die Geschichte der Deutschen im Staate New Jork behandelnd, erlassen worden, jedoch ohne den gewünschten Ersolg geblieben. Erst zur Feier des tOvjährigen Bestehens der Deutschen Gesell schaft der Stadt New Aork <18811 erschien, unabhängig von diesem Preisausschreiben, eine Geschichte der deutschen Ein wanderung in allen Teilen der Union aus der Feder Anton Eickhoffs unter dem Titel »In der neuen Heimath». Red.