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pE 106, 8. Mai 191 Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 5705 Abgeordneter, M. Viollette, verlas einen interessanten Bericht über die »Demoralisierung der Jugend durch die Kriminal- Literatur«, in dem er als eine Hauptursache dafür den Umstand anführte, daß das Verbrechen in gewissen Zeitungen als die Hauptsache behandelt werde und alle Aufmerksamkeit in An spruch nehme. Für gewisse Gemüter und besonders für Kinder muß eine derartige tägliche Lektüre notgedrungen alle Gesühls- seinhcit und alles Mitleid ertöten. Der fortgesetzte Kampf zwischen Bandit und Polizisten und die ausführliche Schilde rung von Grausamkeiten lassen in der Einbildung des Lesers die Ideen zu gleichen Taten entstehen. M. Viollette ist der Verfasser eines Gesctzdorschlages, wonach jede Illustration, die Bezug auf ein Verbrechen hat, in den Zeitungen verboten werden soll. Die Deputierten - Kammer hat den Vorschlag bereits angenommen. Ein Advokat, M. Fourcade, erstattete einen Bericht über die Theaterverhältnisse. Er zeigte, wie die Freiheit der Kunst von manchen Autoren vielfach zu sehr ausgenützt wird und wie die Inszenierung oft derartig gewagt ist, daß ein strenges Einschreiten geboten erscheint. Ein anderer Referent war der Ansicht, daß das unmora lische Theater am nachhaltigsten durch gute Kunst bekämpft werde, und forderte die Darstellung von klassischen Stücken und guten musikalischen Darbietungen zu billigen Preisen. Er erwähnte, daß ein derartiger Versuch in Genf guten Erfolg gezeitigt hätte, und glaubt, daß darum ein Gleiches auch in Paris möglich sein würde. Zum Schluß hat der Kongreß einen Aufruf an alle anstän digen Menschen erlassen und fordert diese darin auf, die un sittlichen Theateraufführungen nicht mehr zu besuchen. Man hofft, daß dieser »Streik der Theaterbesucher« einen heilsamen Einfluß aus die Direktoren der Bühnen ausllben wird. Paris. Johannes Gretzmann. Kleine Mitteilungen. «ehilfeu-Kantatefeier 1912 in Leipzig. — Das Patriarcha lische im Buchhandel ist unwiederbringlich dahin. Ich sehe noch, wie die letzten Reste, mit dem scheidenden Jahrhundert zögernd verdämmernd, endgültig verschwanden. Länger als in anderen Berufen hatte es sich erhalten, aber schließlich räumte der ver änderte Zeitgeist rücksichtslos mit allem aus, was so vielen lieb und teuer war. Nur wehmütige Erinnerungen an ein besser ge wesenes Einst verblieben der älteren Generation. Die rauschenden Feste der Gruppen und großen Verbände sind an die Stelle kleiner, vertrauter Kreise getreten, aber bei den hohen Tönen, die angeschlagen werden, klingt nichts in uns mit. Da ist es nun eine Freude zu sehen, wie die buchhändlerischen Veranstaltungen zu und um Kantate, statt nach lauter, äußerer Wirkung zu streben, den Wert aus innere Stimmung legen. Das bekundete mehr als je die neunte Gehilfen-Kantateseier, die am Sonntag, den S. Mai, in wirklich würdiger Weise im großen Festsaale des Central theaters abgehalten wurde. Die Versammlung war etwas kleiner als sonst, Wohl weil einer der früher beteiligten Vereine fehlte, oder weil das schöne Frühlingswetter Stadtflucht im Gefolge hatte; immerhin mögen MO Personen anwesend gewesen sein. Ich habe diese Nichtübersüllung als Vorteil empfunden, ließ sie doch einen viel reineren Genuß an den Darbietungen zu, die über jeden Tadel erhaben, durchweg glänzend waren. Der Vorsitzende, Herr Ernst Münz vom Buchhandlungs-Gehilsenverein zu Leipzig, erössnete um S Uhr mit einer markigen Begrüßungsansprache das Programm, dessen vortreffliche Zusammenstellung wir ihm und dem langjährigen Impresario dieser Feste, Herrn Paul Dreßler, zu verdanken hatten. Die Vortragsfolge wies diesmal sogar ein belehrendes Moment aus: den gehaltvollen Vortrag von vr. Houben über die Blütezeit der Zensur. Von der Entstehung der Zensur ausgehend, erörterte er ausführlich die Zeit von I8IS—18<8. Nach I81S wurde infolge des ausblühenden politischen Lebens und der politischen Presse die Bevormundung der Literatur durch die Zensur von Jahr zu Jahr immer schärfer. Der Redner kennzeichnete die wichtigsten Verfügungen über Preßfreiheit von den Börsenblatt sllr den Deutschen Buchhandel. 79. Jahrgang. Karlsbader Beschlüssen an über die Erlasse des preußischen Polizei ministeriums und des Bundestages gegen die Schriften des Jungen Deutschland bis zu der mühsam erkämpften 20 Bogen-Freiheit in Preußen und charakterisierte durch eine Reihe drastischer Anek doten ihre verhängnisvolle Wirkung aus die Entwicklung der deutschen Literatur und Presse. Für die Zuhörer von besonderem Interesse waren die Hinweise aus die Schwierigkeiten, die durch dis Zensur der einzelnen Bundesstaaten Verlegern und Sorti mentern erwuchsen, bis endlich die Stürme von 1818 auch diese mittelalterliche Einrichtung hinwegsegten. Zum Schluß warnte der Redner vor mehreren Erscheinungen der Gegenwart, die befürchten lassen, daß uns unter anderer Flagge die alte Last der Zensur aufs neue ausgehalst werde. Der Vortrag war eine geistige Erquickung, die reicher Beifall lohnte. In flottem Nach einander folgten nun die staunenswerten Vorführungen der Musterriege vom Allgemeinen Turnverein, die unnachahmlich weich und innig gesungenen Lieder des Ersten Leipziger Vokalquartetts, die harmlos ausschauenden, aber verteufelt pikanten Kabarettgedichte des Herrn Hellmuth-Bräm vom Stadttheater, und schließlich die parterregymnastischen, von Späßen begleiteten Arbeiten der Charles Frank-Truppe. Keine Nummer des Programms ver sagte ihr- Wirkung auf die hochbefriedigten Teilnehmer, die sich auch ihrerseits durch Absingen mehrerer Festlieder aus dem eigens sür den Abend zusammengestellten Kantate-Liederbuche lebhaft be- tätigten. Ebenso stieg der diesjährigeKantate-Schlager, die «Börsen- blattmusik« der Herren Weg und Merseburger, die später mit Herrn Hosbuchhändler Süsserott erschienen. Herr Süsserott richtete einen warmen Appell zu guusten des von ihm gegründeten und mit aller Tatkraft geförderten Erholungsheims deutscher Buchhändler an die Anwesenden, der hoffentlich die wünschenswerten Früchte getragen haben wird. Zu erwähnen bleiben noch die schönen Festgaben, die auch diesmal wieder von wdhlwollenden Firmen den Gästen gestiftet wurden: der Almanach 1912 des Jnselverlags, Bilder vom Verlage der Jugend und von E. A. Seemann, Kalender und Schreibmappe von den Buchbindereien Barthel, Fritzsche, Hager und Knaur; Papier und Druck steuerten Wölbling, Pries und Fischer S Wütig bei. Gegen 12 Uhr fand der Abend seinen Abschluß, aber man trennte sich nur ungern, und noch zu vor gerückter Nachtstunde sah man Teilnehmer, an ihrer unter den Arm geklemmten Festmappe erkenntlich, im Straßenbüde auf. tauchen. Georg Kluge. Kino oorrtva Koethebund. — Aus Berlin wird der »Franks. Ztg.« geschrieben: Die diesjährige Tagung des Goethebundes, die Anfang Mai stattfindet, soll u. a. auch eine Protestversammlung gegen die Kinematographsn-Gefahr darstellen. Es ist beabsichtigt, in dieser Versammlung zu der Frage der Kincmatographen- theater in ihrem Verhältnis zur Bühne und Literatur durch Ge- lehrte, Schriftsteller, Schauspieler, Rechtsanwälte usw. Stellung nehmen zu lassen. Auch aus der Tagesordnung des Deutschen Bühnenvereins, der in diesem Jahre Mitte Mai in Breslau Zu sammentritt, wird der Diskussion über die Kinematographen- theater ein breiter Raum gewidmet sein. Gegen diese Aktion, von der die Kinematographen-Jnteressenten eine ihre Sache schädigende Wirkung erwarten zu müssen glauben, wird nun aus diesen Kreisen mobil gemacht. Ein Komitee, bestehend aus »am hasten Filmsabrikanten, Filmverleihern und Kinotheaterbesitzern, plant zusammen mit der maßgebenden Fachpresse eine Abwehr- bewegung gegen die vermeintlichen Übergriffe der Kinogegner schaft. Sosort nachdem es klar geworden ist, welche Stellung der Goethebund gegen die Lichtspieltheater einnimmt und welche Schritte er zur «Einschränkung der Kinoseuche» beschließt, wird eine große öffentliche Protestversammlung aller Kinofreunde in Berlin veranstaltet werden. Kommen aus der Goethebund-Tagung die Kinogegner zu Wort, so werden in dieser Versammlung nam hafte Kinofreunde eine Lanze sür das Lichtbildtheaier brechen. «erbandätage der aa«sle«te Beisitzer der .Kauf mannsgerichte Tcntschlandß, der am 10. bis 12. Mai in Breslau stattfindet, sind folgende Vorträge angemeldet! »Die Arbeitgeber und die Kaufmanns- und Gewerbegerichte«. Bericht erstatter: ür. Bräcklcin, Breslau. »Kaufmännische Angestellte, gewerbliche Gehilsen oder Dienstverhältnis nach dem BGB.?» Berichterstatter: Justizrat Sonnenfeld, Berlin. »Aufrechnung 714