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oV 2KS, 18. November 1905. Nichtamtlicher Teil. 10785 modernen Kriege, so hat sich die geschichtlich entwickelte Form des Wappens doch in ihren Grundzügen erhalten. Aus wirklichen Schutz- und Trutzwaffen hat sich seit Erfindung des Pulvers und dadurch bedingter Um wälzung der Armierung eine bildliche Form entwickelt, an der eine bestimmte Gruppe durch nächste Verwandt schaft zusammengehöriger Personen festhält und um die sie sich ideell schart. Als derartige Zeichen des Zu sammenhalts sehen wir heute obenan die Staatswappen, denen die Stadt- und Ortswappen nahestehen; ferner die Familienwappen des Adels wie des Bürgertums, die Vereins-, Gesellschafts- und Gewerkschaftswappen usw. Es soll nicht geleugnet werden, daß es vor einem halben Hundert Jahre einen Wappensport gab, bei dem man nur das Äußerliche im Auge hatte, indem man z. B. Siegellacksiegel sammelte. Aber diese An fänge des Neu - Erstarkens der heraldischen Kunst sind längst vorüber. Verständige Beobachter sahen ein, daß durch das wieder erwachte Wappenwesen nicht einer Spielerei mehr gehuldigt wird, sondern einerseits einem wohlberechtigten Familiensinn mit gutem inner» Kern, anderseits einer hervorragenden Kunstbetätigung, wie sie unsre größten Meister des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts im Holzschnitt und Kupferstich, auf Stein- und Holzskulpturen, Bronzen, Münzen, Medaillen, Öl- und Glas gemälden usw ausllbten. Daß die Wappenkunst wieder erblüht und erstarkt ist, beweist am besten der Umstand, daß wir jetzt im Deutschen Reich, in Österreich und in der Schweiz wieder eine Menge Wappenzeichner ersten Ranges haben, die unter Vermeidung der im Laufe der Zeit eingeschlichenen heraldischen Böcke und Geschmacklosig keiten und unter Anlehnung an die beste, d. h mittelalterliche Wappenkomposition wieder tadellose, richtige und schöne heraldische Gebilde liefern, die sowohl tiefen Einheitssinn in sich bergen, als auch eine vorübergehend mißachtete Kunst wieder zu Ehren brachten. Man sehe sich nur neu errichtete Staatsgebäude, Stadt- und Prioathäuser an, — man betrachte festliche Aufzüge oder Volksfeste, Innen dekorationen von Sälen, Kirchen usw., und man stößt allenthalben auf die heute wieder ganz selbstverständ liche Ausschmückung mit den so bedeutungsvollen und farbenfrohen Wappen. Dies gilt aber nicht nur für Monarchien, sondern auch ebensogut für Republiken In Frankreich, in der Schweiz und namentlich im »freien« Amerika wimmelt es allerorten von Wappen! Mag auch da oder dort eine gewisse Protzerei die Wappenzier hervorgerufen haben, um vielleicht nach mehr auszusehen, als man ist (wo gibt's keine Auswüchse und Verirrungen?), so liegt doch in der Mehrzahl der Fälle ein tieferer Sinn zugrunde: der Ausdruck der Zusammen gehörigkeit mit seinen Voreltern und seinen nächsten lebenden Verwandten. Das — freilich nicht immer erreichte — Ideal ist dasjenige, daß alle Leute eines Wappenschilds zu- sammenhalten und keinen Angehörigen sinken lassen sollen, daß der Vater zum Sohne — ebenfalls ein oft mißlungenes Ideal — sagt: -Halt dein Leben lang deinen Schild — das Zeichen deiner Familie—rein und untadelhast!«. Gleichviel ob dies ein Hochadeliger oder ein Bürgerlicher ausspricht, — die Verpflichtung haben beide! Daß eine gewisse Wappenfreude, eine oft gar nicht genau geprüfte, aber innerlich vorhandene unbewußte Wappen liebe vorhanden ist, beweisen, von anderm abgesehen, in diesem Fall hier die unzähligen Wappenkompositioncn im oben genannten »Warenzeichenblatt«, und da ist eine Reform des Geschmacks noch dringend nötig Es liegt nahe, daß der heute lebende und schaffende Enkel, will er ein Wappen in sein Warenzeichen aufnehmen, das ererbte, meist auf Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 72. Jahrgang. massivem Siegelring befindliche Wappen des Großvaters als Muster nimmt Inhaltlich, bezüglich der Wappenbestand teile mag er das tun; die Form, die Zeichnung stammt aber in diesem Fall meistens aus einer Zeit, in der die tollsten Mißgeburten der Heraldik aufkamen, in der man vor lauter Ungeschmack aus Löwen Pudel, aus Adlern Sperlinge, aus Helmen Töpfe usw. machte. Unsre Großeltern lebten vorwiegend in der Empire zeit, in der die napoleonische Steifheit und Geschmack losigkeit um sich griff und aus den alten schönen Wappen oft die reinsten Karikaturen schuf. Also diese Zeit darf man sich nicht als Muster wählen, ebenso wenig, wie wir heute nicht mehr im riesigen, oben breiten Zylinder, im phänomenalen Tschako oder der hohen, engen, zehn mal herumgewickelten Halsbinde jener Zeit herumgehen. Bei dem reichen Vorrat an heutigen guten heraldischen Zeichnern lasse man sich sein Großvaterwappen ruhig umstilisteren und in gefällige, richtige Formen bringen (man schreibt doch auch besser schön als schlecht); der Inhalt bleibe derselbe, nur die Zeichnung werde verbessert, — und man macht sich dann nicht mit einem Ungetüm oder einer Unmöglichkeit von einem Wappen lächerlich, über das jeder halbwegs Sach- oder Stiloerständige seine berechtigten schlechten Witze macht. Ferner: man komponiere sich, wenn man, was voll kommen erlaubt, ein neues, von niemand anderm ge führtes Wappen annimmt, kein übervolles Wappen, dessen Schild alles mögliche und unmögliche enthält. Je einfacher ein Schild mit einem Bilde ausgefllllt ist, desto besser wirkt er und desto weniger prätentiös sieht das Ganze aus. Kommt man nicht selbst damit zurecht, so wende man sich an einen der vielen wappenkundigen Maler, Zeichner und Graveure (nur nicht an die sogenannten Wappenbureaus >) und äußere ihm seine Wünsche; der wird es dann schon in gefällige und richtige Form bringen. Stile vermenge man nicht durcheinander; denn ein mittel alterlicher Schild, ein Renaissaneehelm und Empirehelmdecken passen nun einmal zeitlich nicht zusammen. Wer nicht adlig ist, lasse die verschiedenen Adelskronen beiseite. Wer, wie z. B. Hoflieferanten, den Reichsadler verwendet, stelle keine lächerliche Krähe oder sonst einen imaginären Vogel dar, sondern richte sich nach dem offiziellen Muster, das er z. B. auf den neuern Reichsmünzen findet, deren Reichsadler Döpler d. I. mustergültig gezeichnet hat. Unser stolzes, altes deutsches Wappentier soll auch stolz und vornehm sein; es soll das Reich edel vertreten und niemand Anlaß zum Spott geben. Das Gleiche gilt von den in deutschen Staaten so oft vorkommenden Löwen, die jedenfalls besser »grimme Leuen« als gemütliche Pudel sein sollen. Helmdecken sollen niemals Guirlanden sein; denn sie enlstanden aus den wirk lichen Helmtnchbchäugen, die je nach der Zeit verschieden ausgeschnittene Formen annahmen. Helme ohne Helmdecken stammen hauptsächlich aus der Versallzeit der Heraldik; zum Helm gehören auch immer Decken. Kronen mit Decken daraus sind ein Nonsens; denn an Kronen allein trug man nie »Helm«-Decken. Schilde allein, ohne Helme, sind da gegen vollkommen zulässig. Moderne Zeichnung läßt sich ganz gut mit alter Heraldik vereinigen; man verändere nur nicht willkürlich die nun einmal nicht mehr abänderbaren Urformen der in Wirklichkeit nicht mehr gebräuchlichen Helme und Schilde. Jedes Schildbild lasse man nicht in der Mitte des Schildes klein schweben, sondern jede Schildfigur fülle den Schild nach Möglichkeit bis zu den Rändern aus; denn Geschmack und alter Brauch konnten nun einmal leere Flächen um ein Schildbild herum nicht leiden Alte berechtigte heraldische wie Schönheitsregel ist: Nie Farbe (Rot, Blau, 1422