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.>1L 17. 22. Januar 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhaitdel. 919 gerissenen Vordergrund. Bei den drei letzten Bänden ist ent sprechend das Umgekehrte der Fall. Wie wird die Festschrift der nächsten Jahrhundert-, der nächsten Fünfjahrhundertseier aussehen? Institute für Geo-Hydro-Äro-Autologie natürlich. An der Stelle des heu tigen Augusteums, Johanneums, Albertinums steht vielleicht ein wolkenkratzender Handelshof und die Universität irgendwo draußen hinterm Völkerschlachtdenkmal, und die Abbildungen der Festschrift zeigen die weiten Sportanlagen, von denen sie umgeben ist. Der christliche Dogmatismus in Lehre und Leben wird zum Paganismus geworden sein, die medizinisch-natur wissenschaftlichen Fächer werden ungeheure Fortschritte ge macht haben, und nicht nur der Vertreter dieser und der geistes wissenschaftlichen Gebiete, sondern die Seele des dann lebenden Menschen überhaupt wird auf Arbeit und Seele unserer Zeit zurückblicken wie auf ein endendes Mittelalter. Wenn man aber dann im Geiste das Gebäude dieser letzten Jahrhunderte abtragen und unter seinem Grundstein die Festschrift zur Feier des sünfhundertjährigen Bestehens der Universität Leipzig eingemauert finden wird, wird man vielleicht ebenfalls einiges von dem in ihr vermissen, was wir in ihr vermißt haben; aber inan wird die beiden ersten Bände schätzen als wertvolle Leistungen in selbstgewollter Begrenzung vornehmlich auf die Verarbeitung des fakultütsarchivalischen Materials, die drei letzten als mit minutiöser Genauigkeit ausgeführte Zeich nungen wissenschaftlicher Zurüstung im Jahre 1909. vr. I. Gold friedl ich. Kleine Mitteilungen. Vom Reichsgericht. (Nachdruck verboten.) — Zu einer wich tigen Entscheidung kam das Reichsgericht kürzlich inbezug auf den 8 137 Absatz 2 des Gewerbe-Unfallversicherungsgesetzes. Die er wähnte Gesetzesstelle behandelt die Haftung von Betriebs inhabern oder -Mitgliedern gegenüber der Berufsgenossenfchaft. Und zwar bestimmt tz 137 in Absatz I. daß der Beschluß zur Geltendmachung des Anspruchs dem Ersatzpflichtigen schriftlich mitzuteilen ist, wenn es sich um die Absicht der Haltbarmachung aus Fahrlässigkeit mit Außerachtlassung der beruflichen Sorgfalts pflicht handelt. In Absatz 2 heißt es: »Die Klage darf nicht vor Ablauf eines Monats nach der Zustellung dieser Mitteilung angestellt werden.. . .« Das Reichsgericht hat nunmehr ausge sprochen, daß die einmonatige Frist nicht unbedingt innege halten zu werden braucht, wenn der Ersatzpflichtige vorher schon seinen Willen zu erkennen gegeben hat. Prozeßgeschichtlich ist von Interesse, daß am 30. Januar 1902 der Arbeiter Petersen in der Papierfabrik K.-W. in Flensburg verunglückte. Die Papiermacher-Berufsgenossenschaft in Mainz mußte Entschädigung leisten und Rente zahlen. Sie be schloß, gegen den Flensburger Unternehmer auf Grund des § 136 des Gewerbe-Unfallversicherungsgesetzes vorzugehen. Ende Juli 1902 teilte sie deshalb dem Beklagten mit, daß sie nach der Ent scheidung des Reichsversicherungsamts Entschädigung an P. leisten müsse und daß der Beklagte verpflichtet sei, ihr alle Aufwendungen zu ersetzen. Zum Schluß des Schreibens wird angesragt, ob der Be klagte bereit sei, alle Aufwendungen zu ersetzen. Diese Frage wurde von der Handelsgesellschaft W. in Flensburg ablehnend beant wortet. In einem Schreiben vom 27. August wiederholte der Genossenschaftsvorstand seine Anfrage und bemerkte dabei, daß die Genossenschaft klagbar werden würde, falls die Gesellschaft auf ihrem Standpunkt beharre. Die Klage wurde dann tatsächlich im September erhoben, aber zwei Tage vor Ablauf der im 8 137 Absatz 2 des Gewerbe- Unfallversicherungsgesetzes festgelegten einmonatigen Frist. Das Landgericht Mainz erkannte zunächst die Ansprüche gegen den beklagten Firmeninhaber als gerechtfertigt an, das Oberlandes gericht Darmstadt wies die Klägerin ab. Vom Reichsgericht ist das abweisende Urteil seinerzeit aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen worden. Dieses er kannte wiederum auf Abweisung der Klage. Und zwar deshalb, weil die Zuschrift der Berufsgenossenschaft vom 27. August 1902 außer Betracht bleiben müsse, denn nach ihr sei bis zur Klage erhebung nicht die Frist von einem Monat verstrichen; der Brief vom 29. Juli aber bringe nicht in zureichender Weise die Absicht zum Ausdruck, daß der Vorstand der Genossenschaft beschlossen habe, einen Entschädigungsanspruch gegen die Firma zu erheben. Vielmehr habe der Teilhaber annehmen müssen, daß es sich nur um eine vorbereitende Auskunft handle. Auf die Revision der Papiermacher-Berufsgenossenschaft ist das Urteil des Oberlandesgerichts Darmstadt abermals ausge hoben worden. Der erkennende VI. Zivilsenat des Reichsgerichts legt in seinen Entscheidungsgründen zunächst dar, daß es über den Brief vom 29. Juli 1902 keiner Entscheidung bedürfe, denn durch den Brief vom 27. August sei der Vorschrift des § 137 Absatz 1 genügt worden. Zu dem prinzipiell wichtigen Punkte wird ausgeführt: »In Frage kommt also nur noch, ob wegen des Umstands, daß die Klage zu einer Zeit, wo nach der letzten Mitteilung noch zwei Tage am Ablaus der in ß 137 Absatz 2 bestimmten Frist fehlten, erhoben worden ist, die Klage erhebung als unzulässig anzusehen ist. Das ist zu verneinen. Durch die angezogene Vorschrift soll, wie nach ihrem Inhalt nicht zweifelhaft erscheint, auch nach dem Bericht der Reichstags kommission (Session 1898/1900, S. 144 fg. des Berichts), aus deren Vorschlag die Bestimmung in das Gesetz gekommen ist, ange nommen werden muß, dem Unternehmer, an den der Genossen schaftsvorstand mit Ersatzansprüchen der in tz 136 bestimmten Art herantritt, eine angemessene Frist zur Überlegung, ob er die Ent- dafür entscheidet, zur Ausführung seines Entschlusses gewährt werden. Es liegt kein Grund für die Annahme vor, daß diese Frist von der Genossenschaft unbedingt auch dann bei Beschreitung des Rechtsweges eingehalten werden müsse, wenn der Unter- Sache möglichst bald ausgetragen und deshalb mit der Anstellung der Klage nicht bis zu dem Ablauf der Frist gewartet werde, und ein öffentliches Interesse daran, daß diese entgegen dem beider seitigen Wunsche der Beteiligten gewahrt werden müsse, ist nicht erkennbar.« — Die Sache ist wieder an das Oberlandesgericht Darmstadt zurückverwiesen worden. (Akt.-Z. VI, 637/08. — 13. De zember 1909.) U. N.-O. *Vom Reichsgericht. (Nachdruck verboten.) — Die Un- earieaturs« hatte die Staatsanwaltschaft in Augsburg beantragt; das dortige Landgericht hatte am 16. April v. I. diesen Antrag abgelehnt. Eduard Fuchs ist Verfasser des zweibändigen Werkes: »Die Karikatur der europäischen Völker vom Altertum bis zur Gegenwart«. Das Erotische fand darin keine Auf nahme, sondern wurde später vom Verfasser in einem dritten Bande behandelt. Dieser erschien 1906 in Wien in fran zösischer Übersetzung. Der Text deckt sich mit der deutschen Ausgabe; hingegen sind 22 Bilder mehr beigegeben worden. Bei den Buchhändlern S. und H. in Augsburg wurden Exemplare der französischen Ausgabe beschlagnahmt, da die Staatsanwaltschaft das Buch für ein unzüchtiges hielt. Die beiden Buchhändler sind freigesprochen worden. Später beantragte der Staatsanwalt die Unbrauchbarmachung des Buches, worauf das obige Urteil erging. veröffentlicht, um nicht das für die Sittengeschichte so wichtige Material zu verheimlichen. Allerdings geht das Buch über den Rahmen des Titels hinaus; aber das ändert nichts an seinem wesentlichen Inhalte. Die Erörterung des Themas an sich kann nicht als unerlaubt angesehen werden. Stil und Inhalt sind durchaus doktrinär und sachwissenschaftlich gehalten, und die Bilder sind nur zur Erläuterung eingestreut. Der Text ist die Haupt sache, die Bilder geben nur die Belege, um dem Leser ein eigenes Urteil zu ermöglichen. Manches Lehrbuch der Weltgeschichte enthält ausführlichere und eindringlichere Schilderungen der Sittenlosigkeit. Die Abbildungen sind meist Wiedergaben von Kunstwerken. Das Werk wird seiner Aufgabe auf die denkbar ziemlichste Weise gereckt. Daß Verfasser oder Verleger nebenbei auf die Lüsternheit des Publikums spekulieren, 120»