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Nichtamtlicher Teil. ^ 17, 22. Januar 1910. Physikprofessoren, Beginn der Experimentalphysik (1710 bis 1785), Zeit staatlicher Apparatensammlungen, Anfänge eines physikalischen Kabinetts (1785—1835), erst dann znr Vor geschichte und Beschreibung speziell des Instituts übergehend. Auch ist bei weitem nicht überall, wenn auch nur in aller Kürze, die Entwicklungsgeschichte des betressenden Gebietes und In stitutes an der Leipziger Universität mit der Entwicklungs geschichte derselben an den übrigen deutschen Universitäten, wie z. B. in der Skizze von Heinrich Curschmann (Medizinische Klinik), zusammengehalten. Um so stärker ist hier überall der Eindruck des Frischen, des Neuen, des Jugendlichen, des un widerstehlich Vorwärtsdrängenden: des Vorwärtsdrängens um des Wissens und der Erkenntnis selbst willen und um der posi tiven Beförderung des Wohlbefindens der Menschheit willen. Junges Kolonialland gewissermaßen, das gleichsam keine Ver gangenheit, keine Festen und Ruinen der Vergangenheit hat, und wo es sie sieht, im Bewußtsein seiner Gegenwartskraft und Zukunftswerte wenig Zeit für sie aufzubringen hat. Kein ur alter Adel von Gottes Gnaden. Auch nicht das Umgebensein von jenem Hauche der besonderen Beziehung zum Staate, seiner Gewalt und Repräsentationskrast, der auch den letzten und kleinsten Diener der unmittelbaren Organisation des °Staates noch umgibt. Dort Würde der Kirche und des Staats, Heiligkeit der Bibel und des Gesetzbuchs. Hier demokratisches Ol und ein umwälzend-aufbauender Geist. Dieses kräftige Vorwärtsdrängen zeigt sich u. a. auffallend darin, daß hier überall der Finger auf das Unzulängliche und Verbesferungsbedürstige gelegt wird. Der Physiolog Ewald Hering verlangt die Schaffung von Lehrkanzeln für Zoophysio logie und die Konzentration des physiologischen Unterrichts an den medizinischen Fakultäten auf die Physiologie des Menschen. »Eine einzige, in den Rahmen der medizinischen Fakultät ein gefügte Lehrkanzel der Physiologie vermag den Bedürfnissen einer Universitas Uterarurn weder in rein wissenschaftlicher noch in didaktischer Beziehung zu genügen. Die jetzigen physiologi schen Lehrkanzeln kranken an dem Mißverhältnis zwischen dem weiten Umfange ihrer Aufgaben und den notwendig viel enge ren Grenzen ihrer Kräfte.« Der Patholog Felix Marchand ver langt auch für die deutschen Universitäten eine Trennung der pathologischen Anatomie und der experimentellen und allge meinen Pathologie, wie sie in den meisten außerdeutschen Staaten durchgeführt ist. »Die zur Verfügung stehende Zeit reicht bei weitem nicht aus ... Die experimentell-pathologischen Arbeiten mußten in den letzten Jahren infolge der notwendigen pathologisch-anatomischen Untersuchungen mehr zurücktreten, als der Absicht und den Wünschen des Institutsdirektors ent sprach. Eine Hauptursache dieses Ubelstandes ist außer der Überlastung durch den Unterricht und die laufenden Jnstituts- arbeiten das Fehlen von ausreichenden Hilfskräften für ex perimentelle Arbeiten... Daher ist die Einrichtung von mehr oder weniger selbständigen experimentell-pathologischen Ab teilungen — wenigstens an den größeren pathologischen In stituten und so auch in Leipzig — eine unumgängliche Folge der fortschreitenden Entwicklung.« Der Direktor des Instituts für gerichtliche Medizin, Richard Kockel, verwirft die auf Zersplitte rung der Arbeitskräfte begründete Einrichtung, nach der die Legalobduktionen je an dem betreffenden Orte vorgenommen werden, und verlangt die Angliederung des gerichtsärztlichen Lehrfachs an die pathologische Anatomie und die Vornahme der sämtlichen im Königreich Sachsen vorkommenden gericht lichen Sektionen durch zwei Staatsgerichtsärzte, von denen der eine in Leipzig, der andere in Dresden stationiert sein soll. Friedrich Trendelenburg betont den »das ganze medizinische Studium schwer schädigenden Übelstand«, der in dem immer zunehmenden Mangel an Leichen besteht. »Es ist eine Humani tät am falschen Orte, wenn man aus übertriebener Scheu, inenschliche Empfindungen im allgemeinen zu verletzen, dem medizinischen Studium seine unentbehrlichsten Hilfsmittel schmälert. Denn sie führt dazu, die wissenschaftliche und prak tische Befähigung der Arzte hinabzudrücken und dadurch unsere Bevölkerung, besonders auf dem Lande, zu schädigen, sie muß dazu führen, daß in Kriegen, wo die Zahl der vorhandenen ge schulten Chirurgen niemals ausreichen kann und die jungen praktischen Ärzte überall auch bei größeren Operationen mit eintreten müssen, unsere Verwundeten zum Teil in ganz un geübte Hände fallen.« Professor Hubert Sattler weist auf schwere Unzulänglichkeiten in der Heilanstalt für Augenkranke hin, die aber mit dem im Sommer 1908 genehmigten Erweite rungsumbau ihre Erledigung finden werden. Johann Heinrich Rille bringt die üblen Folgen der beschränkten Raumverhält nisse der Klinik für Syphilis und Hautkrankheiten zur Sprache, Adolf Barth die bisherige Unmöglichkeit, die Klinik für Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten den Bedürfnissen entsprechend zu vervollkommnen, vor allem deswegen, weil sie grundsätzlich in Verbindung mit den beiden Hauptkliniken im städtischen Krankenhaus verbleiben soll, ein Bauplatz auf diesem Areal jedoch nicht verfügbar war. Ferner zeigen sich zahlreiche dieser Institute mitten in baulicher Weiterentwicklung begriffen. Der erste Teil des vierten Bandes enthält die Darstellung der Institute und Seminare der philologischen und philosophisch historischen Sektion der philosophischen Fakultät, d. h. von sieben philologischen, fünf philosophisch-psychologisch-päda gogischen, fünf historischen, zwei staatswissenschastlich-volks- wirtschaftlichen Instituten und Seminaren, dem geographischen Seminar und den landwirtschaftlichen und veterinärärztlichen Instituten. Der Band enthält Abbildungen von Jnstituts- gebäuden und Lageplänen, Hörsälen, archäologischen Gegen ständen. Auch hier gehen der Beschreibung des gegenwärtigen Standes der Institute kurze geschichtliche Orientierungen vor aus. Die klassischen Philologen Gottfried Hermann Friedrich Nitschl und Georg Curtius; Johann Friedrich Christ und Johann August Ernesti als Begründer des archäologischen Studiums und unter ihren Nachfolgern Otto Jahn; der Agyptolog Georg Ebers; der Germanist Friedrich Zarncke; der Philosophiehistoriker Max Heinze; der Historiker Karl von Noorden; dev Kunsthistoriker Anton Springer und Hubert Janitschek; die Geographen Oskar Peschel und Friedrich Ratzel; der Veterinärgelehrte Anton Zürn sind diejenigen der Dahingeschiedenen, die, wie im dritten Bande die Mediziner Ernst Heinrich Weber und Eduard Weber, die pathologischen Anatomen Ernst Leberecht Wagner und Julius Cohnheim, die Kliniker Joh. Ehr. Clarus, Johann Oppolzer, Wunderlich und Ernst Wagner, die Chirurgen Carl Thiersch und Benno Gottlob Schmidt, in diesen Orientierungen als die denkwürdigsten erscheinen. Man konnte nach dem Erscheinen der »Festschrift« hier und da den Eindruck einer gewissen Enttäuschung beobachten. Die Geschichte des geistigen Lebens wurde nicht vollständig dar gestellt, so hieß es wohl, und die erwartete große geschichtliche Darstellung der Universitätsgeschichte ist ausgeblieben. Daß eine solche Universitätsgeschichte ein feines Ding und eine schöne Sache wäre — wer will das leugnen. Ob es aber dann — es müßte denn der Beste der Besten einer Jahre der Arbeit darangesetzt haben — nicht vielleicht auch hier hätte heißen müssen: das Bessere ist der Feind des Guten? Die »Festschrift« ist, im ganzen genommen, ein Album photographischer Auf nahmen, mit ihren Vorzügen und Schattenseiten. Wärme und Farbe des Persönlichen in Gestaltung und Auffassung fehlen. Das Objektiv gestattet nur die Aufnahme gewisser Ausschnitte. Aufgestellt im Standort der Gegenwart, eingestellt auf die Ver gangenheit, zeigt der Apparat in den beiden ersten Bänden die Tiefen der Vergangenheit, dagegen die Gegenwart nur als ab-