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50,000 sächsischen Turner den berühmten Meister zur Vollendung seines grossen Werkes, des Nationaldenkmals, beglückwünschten. Nach erfolgter Ansprache durch den Gauvertreter Carl überreichte derselbe dem Professor Schilling einen Lorbeerkranz mit daran befindlicher Schleife und Band, auf welchem die Widmung in kunstvoll ausge- führter Stickerei sich befindet. — Dresden, 22. Octbr. Das „Dr. Journ." schreibt: Wir find zur Aufnahme der nachfolgenden, auf amtlichen Unterlagen be ruhenden berichtigenden Mitthcilung über einen Vorgang veranlaßt, der sich vor Kurzem bei dem Amtsgericht zu Ebersbach zugetragen und infolge entstellender Gerüchte und deren Verbreitung durch Local blätter der Nachbarschaft eine ungewöhnliche Erregung im dortigen Publikum hervorgerufen hat. Am 20. September d. I. brachte bei dem Amtsgericht zu Ebersbach der Kaufmann H. zur Anzeige, daß an seiner 11jährige» Tochter von dem Reisenden einer auswärtigen Handelsfirma ein grobes, in § 176,3 des Strafgesetzbuchs mit Zucht haus bedrohtes Sittlichkeitsverbrcchen verübt worden sei. Die ver fügte gerichtsärztliche Untersuchung des Kindes ergab einen krank haften Befund, welcher nach dem gutachtlichen Ausspruch des Ge richtsarztes einen stattgefundenen unsittlichen Angriff zwar nicht als gewiß, jedoch als wahrscheinlich oder doch als möglich betrachten ließ. Der Beschuldigte, ein junger Mann von 20 Jahren, wurde verhaftet. Bei seiner gerichtlichen Vernehmung gestand er in wesent licher Uebereinstimmung mit den Angaben des gemißbrauchten Kindes unsittliche Handlungen zu, welche den Thatbestand jenes Verbrechens vollständig erschöpfen und deren Zugeständniß die Nichtigkeit der Muthmaßung des Gerichtsarztes bestätigte. Noch an demselben Tage gab sich der Beschuldigte im Gefängnisse den Tod durch Erhängen. Diesen Vorgang hat das Gerücht nach allen Seiten hin entstellt und zwar mit dem Erfolg, daß der Amtsrichter zu Ebersbach und die Mutter des gemißbrauchten Kindes, welche das Gerücht als die De- Nunciantin bezeichnete, mit unbegründeten Beschuldigungen theils in einer Reihe von Artikeln der Localpresse, theils im Wege anonymer Schmäh- und Drohbriefe überhäuft worden sind. Selbst dem Ge richtsarzt soll der Unwille darüber bemerkbar gemacht worden sein, daß er ein dem Beschuldigten ungünstiges Ergebniß seiner Unter suchung constatirt habe. Die Ursache der tiefgehenden Erregung, welche in dem vom wahren Sachverhalt nicht unterrichteten Publi kum Platz gegriffen, lag in der verbreiteten Annahme, daß dem Be schuldigten nichts weiter zur Last falle, als das Kind in unschuldiger Weise geküßt zu haben, und daß der Selbstmord des jungen Mannes, der sich einer ausgebreiteten Bekanntschaft und persönlicher Beliebt heit im Ort erfreut zu haben scheint, durch ungehörige Drohung mit Zuchthausstrafe feiten des Amtsrichters verschuldet worden sei. Wie schon erwähnt, ist in der That ein schweres Verbrechen verübt wor den. Der Amtsrichter aber hat dem Beschuldigten auf seine Anfrage die gesetzliche Strafe, welche das von ihm zugestandene Verbrechen Nach sich ziehe, und zwar mit dem ausdrücklichen Hinzusügen mitge- theilt, daß im Fall der Annahme mildernder Unistände statt auf Zuchthausstrafe auf Gefängniß erkannt werde» dürfe und daß er sich überlegen möge, welche mildernde Umstände er etwa für sich geltend machen könne. Die Mitthcilung der gesetzlichen Strafdrohung konnte schon aus dem Grunde nicht verweigert werden, weil in dieser Straf drohung die Rechtfertigung der Haftverfügung lag. Nicht von der Mutter des Kindes ferner, sondern von dessen Vater ist die gericht liche Anzeige erstattet worden, und zwar mit vollem Grunde, wie bei Kenntniß vom wahren Sachverhalt Niemand bestritten haben würde, der für die Verwerflichkeit und Gefährlichkeit solcher Atten tate gegen Kinder noch die richtige Empfindung hat. Als Beleg dafür, daß ein eigentlich unsittlicher Angriff auf das Kind nicht stattgefunden habe, hat man den Umstand benutzt, daß der Amts richter in einem Briefe, mittelst dessen er die Eltern des Beschuldigten von dem Selbstmorde ihres Sohnes und von der Veranlassung dazu benachrichtigte, das Verbrechen in schonender Weise nur als „Be lästigung eines Mädchens unter 14 Jahren" bezeichnet hatte. Nur Voreingenommenheit konnte das rücksichtsvolle Motiv zu dieser Aus drucksweise verkennen lassen. Weiter ist dem Amtsrichter zum Vor wurf gemacht worden, daß er dem Beschuldigten versagt habe, an seine Eltern zu schreiben, und daß er ihn in Haft behalten, obschon angesehene Männer des Ortes für die Freilassung gegen Caution sich bemüht hätten. Ersteres ist unwahr. Das Schreiben an seine Eltern ist dem Bcschuldigten auf seine Anfrage ausdrücklich gestattet worden. Der andere Punkt ist dahin zu berichten, daß, als von einem Geschäftsfreunde des Beschuldigten das Erbieten erfolgt war, eine Sicherheitsleistung zu vermitteln, der Amtsrichter ein Gesuch um Entlastung gegen Caution als nicht aussichtslos bezeichnet hat. Eine weitergehende Erklärung konnte er nicht abgeben, da wegen der Schwere des Verbrechens der Fall zunächst zur Entschließung der Staatsanwaltschaft in Bautzen zu stellen war. Hiernach trifft das Amtsgericht Ebersbach und besten Vorstand, der durchaus pflichtge mäß verfahren ist, aus Anlaß dieses Vorganges nicht der leiseste Vorwurf, ebensowenig den Gerichtsarzt und die Eltern des gemiß- handelten Kindes. — Zahlreicher Besuch wird sich am 25. und 26. October in Moritzburg einfinden, da an diesen Tagen das Fischen des sogen. „GroßtetcheS" erfolgt, welcher sich bekanntlich von der Moritzburger Fasanerie bis nach Bernsdorf erstreckt. ' ! ' ' " .. politische Aundschau. Deutschland. Die Berliner Stadtverordneten-Wahlen bilden in der gegenwärtigen ereignißarmen Zeit in unserer inneren Politik Sin Thema, das von der Presse nach allen Richtungen behandelt wird; nicht nur weit über die Mauern der Reichshauptstadt, sondern selbst über die Grenzen Deutschlands hinaus hat diese Angelegenheit lebhaftes Interesse erweckt, wie z. B. ein den Berliner Stadtvervrd- neten-Wahlen gewidmeter Artikel des „Moniteur de Nome" beweist, welches vaticanische Organ doch sonst den communalen Angelegen heiten der deutschen Neichshauptstadt recht kern steht. Der allge meine Eindruck, den die Berliner Wahlbewegnng von Anfang bis Ende machte, ist der, daß es sich hierbei weniger um eine communale, als vielmehr um eine politische Angelegenheit handelte, was schon daraus hervorging, daß sich keiner der Candidate» als unabhängig, sondern als dieser oder jener Partei angehörig bezeichnete. Die Stadtverordneten - Wahle» in der ersten Stadl des Reiches waren daher diesmal recht eigentlich eine politische Kraftprobe der enga- girten Parteien. Dieselbe ist nun, was die dritte Classe der Com- munalwähler anbelangt, nicht so ganz nach den Wünschen und Hoff nungen der Fortschrittspartei und ihres Anhanges ausgefallen, doch setzt man auf dieser Seite noch große Hoffnungen auf die vor der Thür stehenden Stichwahlen. Indessen werden die Liberalen auch hierbei einige Sitze abgeben müssen; in den neun oder zehn engeren Wahlen, in denen sich die Candidaten der Fortschritts- und diejenigen der Bürgerpartei gegenüberstehen, wollen die Arbeiter stricte Neu tralität beobachten; in den beiden Stichwahlen zwischen den liberalen Candidaten und denjenigen der Arbeiterpartei sind die Anhänger der Vürgerpartei dem Vernehmen nach gesonnen, für die „Arbeiter-Can didaten" zu stimmen und die Fortschrittspartei will diese Liebens würdigkeit dadurch vergelten, daß sie bei der einzigen Stichwahl, welche zwischen Bürgerpartei und Arbeiterpartei stattzufindcn hat, für den Candidaten der letzteren eintritt. Wenn diese gegenseitige Entfremdung unter den Ordnungsparteien in solcher Weise weiter i um sich greift, so können mir bei den ReichstagSwahlen des nächsten ! Jahres recht nette Dinge erleben. Bei der am Sonnabend im Reichstagswahlkreise Greifswald- Grimmen stattgefundenen Ersatzwahl ist es den Freiconservativen gelungen, diesen Wahlkreis von der Fortschrittspartei zurückzuerobcr». Nach den neuesten Ermittelungen hat der freiconservalive Candidat, Landrath Graf Behr-Behrenhof, 7657 Stimmen, sein fortschrittlicher Gegencandidat, Senator Schwartz, 6117 Stimmen erhalten; 8 noch ausstehende Bezirke ändern nichts an der Wahl des Grafen Vehr. Die Verhandlungen in dem Cösliner Processe wegen des Neil- stettiner Synagogenbrandes nähern sich ihrem Ende und wurde bis spätestens Mittwoch der Urtheilsspruch erwartet. Im Cösliner Proceß wegen des Neustettiner Synagogenbrandes verurtheilte der Gerichtshof Heidemann sou. zu 3 Monaten, Heide mann gurr, zu 6 Monaten Gefängniß, Lesheim SM. zu 4 Jahren Zuchthaus und 4 Jahren Ehrverlust, Leo Lesheim an eine Besserungs anstalt. Löwenberg wurde freigesprochen, Heidemann ssn. sofort verhaftet. Die „Tägl. Rundschau" bringt das sensationelle Gerücht, der sächsische Ministerpräsident und Kriegsminister, General von Fabrice, trage sich mit Rücktrittsgedanken, angeblich, weil er vom Kaiser, im Gegensatz zu den preußischen Ministern und commandtrenden Gene rälen, nicht zur Niederwald-Feier eingeladen worden sei. Dies Ge rücht klingt sehr unwahrscheinlich, schon deshalb, weil der Kaiser einen fremden Minister doch nicht gut zu einer Feier, zu welcher er selbst eingeladen war, einladen konnte und überdies war bei der Feier z. B. auch der bayerische Kriegsminister, von Mallinger, an wesend, obwohl er gleichfalls keine kaiserliche Einladung erhalten hatte. Hoffentlich erfolgt in dieser Angelegenheit von kompetenter Seite baldigst eine Aufklärung. Oesterreich-Ungarn. Die österreichisch - ungarischen Dele gationen sind am Dienstag den 23. October, zu einer neuen Session in Wien jusammengetreten. Von den ihnen vorzulegenden Budgets der gemeinsamen Ministerien weist das des Kriegsministeriums eine Verminderung von einer halben Million Gulden auf, was dadurch erzielt wird, daß im Laufe des nächsten Jahres gegen 5000 Mann der Occupationstruppen aus Bosnien herausgezogen werden sollen. Es wäre letzteres zugleich ein Beweis dafür, daß man an leitender Stelle in Wien die occupirten Provinzen für vollständig beruhigt hält. — In Temesvar hat am Montag früh ein Pistolen - Duell zwischen dem Grafen Stefan Batthyany und dem Schriftsteller Dr. Julius Rosenberg stattgefunden, bei welchem Graf Batthyany, der einem der erste» ungarischen Adelsgeschlechter angehört, durch einen Schuß in die Schläfe getödtet wurde. Die polizeiliche Untersuchung ist eingeleitet. Frankreich. Die Kriegserklärung, welche der französische Ministerpräsident Ferry in seinen zu Havre und Rouen gehaltenen Programmreden an die Adresse der Nadicalen gerichtet hat, wird von diesen durch einen wahren Sturm von Interpellationen beant wortet werden. Die Abgeordneten der äußersten Linken gedenken die Regierung über folgende Punkte zu interpelliren: Ueber die all gemeine politische Lage, die Verzögerung der Einberufung der Kam mern, den Rücktritt des Kriegsministers Thibaudin und die Tonkin frage. Letztere bildet mit die Achillesferse des Cabinets Ferry und wenn die Nadicalen das Cabinet hier anpacken, so werden sie sicher lich an den Monarchisten und sonstigen Mißvergnügten Bundesge nossen finden. Gerade bezüglich der Tonkinfrage ist es für Herrn Ferry sehr schwierig, die gewünschte Aufklärung zu geben, da die französisch - chinesischen Verhandlungen, welche doch gegenwärtig den Kernpunkt der ganzen Frage bilden, sich in einem Zustande völliger Stagnation zu befinden scheinen. Auch auf dem eigentlichen Kriegs schauplatz in Tonkin scheinen die Dinge nicht allzugünstig für die französischen Waffen zu stehen. Trotz des mit den „Schwarzen Flaggen" getroffenen Uebereinkommens befürchten die Franzosen eint