Volltext Seite (XML)
der bedeutendsten Fabrikstadt Polens, zahlreiche nihilistische Prokla mationen verbreitet worden. Dänemark. In Dänemark ist nach längerer Pause der alte Hader zwischen Negierung und Folkething wieder aufgelebt. In der Sitzung vom 19. October nahm das Folkething mit 60 gegen 16 Stimmen den Antrag des der Linken angehörigen Deputirten Hörups an, alle Anträge der Negierung bei der ersten Lesung zu beanstanden und an die Commission zu verweisen, bis das Cabinet zurückgetreten sei; die Rechte hatte gegen diesen Antrag protestirt. Bis jetzt ist das Ministerium Estrup durch das Vertrauen des Königs gehalten wor den, dem so unverhüllt kundgegebenen Willen der radicalen Majorität des Folkething wird aber der Monarch nicht länger widerstehen können, wenn nicht die gesammte Negierungsmaschinerie ins Stocken kommen soll und so dürften die Tage des gegenwärtige» dänischen Ministeriums gezählt sei». Portugal. Auf die jüngst gemeldete Revolte portugiesischer Bauern ist in Portugal ein neuer Aufstand gefolgt. Der Schau platz desselben ist diesmal die Stadt Villanova, welche von den Be hörden bereits verlassen worden ist, die zur Unterdrückung des Auf standes nicht stark genug waren. Nähe Details fehlen noch. Nordamerika. In Halifax (Canada) sind in voriger Woche zwei verdächtige Individuen verhaftet worden, Namens Bracker und Holmes, unter deren Gepäck sich eine Quantität Dynamitpatronen und zwei Uhrwerke befanden. Auch an ihrem Leibe fand man Dyna mitpatronen und Holmes führte außerdem 2 Revolver mit sich. Dem Untersuchungsrichter gegenüber erklärten die Gefangenen, welche sich für Amerikaner ausgeben, sie führten das bei ihnen Vorgefundene Dynamit zur gesetzlich erlaubten Verwendung in den Minen bei sich. Das weitere Verhör sollte am Montag stattfinden. Der falsche Erbe. Von Eduard Wagner. (Fortsetzung.) Aber jetzt, bei der Angst und Qual, welche er bei der Eröffnung des Arztes empfing, wußte er, daß das Wünschen und Sehnen nach dem Genuß des Neichthums und der Ehren, welche rechtmäßig dem Sohne Sir Harri .Harrington's zukamen, bereits so tiefe Wunden in seinem Herzen geschlagen hatte, daß ein Aufheben seines gefaßten Planes ihn große Ueberwindung kosten würde. Er bedeckte sein Ge sicht mit beiden Händen-und ein heftiger Kampf entstand in seinem Innern. Der Gedanke an Guido's Freundschaft und an dessen generöse Versprechungen erweckte endlich seine bessere Natur und er überlegte, wie er sein Handeln und seine Aussagen rechtfertigen könnte. Dies schien ihm nicht schwer. Er beschloß zu sage», daß die Verwechslung der Namen auf einem durch die Aufregung leicht erklärlichen Jrrthum beruhe. Er hatte sich jetzt vollständig wieder gefaßt und wandte sich ruhig an den Doctor, der Frau Vicini soeben Instructionen über die Behandlung des Patienten gegeben hatte. „Wann wird mein Freund im Stande sein, mit mir nach Eng land zu reisen? Er scheint mich nicht zu kennen?" „Er wird Sie nie wieder erkennen, er wird überhaupt Nieman den wieder erkennen!" erwiderte der Doctor ernst. „Er wird ge sund werden, wie ich sagte, und vielleicht, ja wahrscheinlich uns Alle überleben, aber sein Glück ist todt! Er ist ein hilfloser Idiot lebenslang." Die Worte klangen in Brander's Ohren wieder und wieder. „Blödsinnig lebenslang!" Er wandte sich ab und schwankte hinaus in die frische Lust in die finstere Nacht. „Die Würfel sind gefallen," murmelte er. „Ich will seine An gehörigen vor dem niederschmetternden Schlag der Wahrheit be wahren. Hinfort bin ich der Erbe von Harrington Hall — der Sohn des Baronets." Er ging vor dem Hause auf und ab, nicht achtend auf den Schlag der 'Wellen, die noch immer gegen die Felsen schlugen, als ärgerten sie sich über deren Widerstand; stürmte und tobte es in seinem Innern doch noch vielmehr! Hatte er auch soeben ausgesprochen, daß die Würfel gefallen seien, daß seine Zukunft beschlossen, so zerwühlte sein Inneres doch noch ein heftiger Kampf, in dem sein guter und böser Engel um die Oberherrschaft rangen. Sein bisheriges Leben war durch manche trübe Erfahrung ver bittert, so manche herbe Kränkung hatte er erfahren, manchmal war er erbost über die Menschheit und über die gesellschaftliche Einricht ungen; aber dennoch hatte trotz seiner Selbstsucht und seines ver geblichen Strebens nach Reichthum und einem besseren, bequemeren Leben — dennoch hatte er jedes Verbrechen verabscheut, war er von dem kleinsten Vergehen zurückgefchreckt und nun — ? „Ich geberde mich, als ob ich einen Mord zu begehen beabsich tige," sprach er leise vor sich hin mit erzwungenem Lachen, „während ich doch eigentlich eine gute That vollbringen will. Der arme Guido ist blödsinnig, ohne jede Aussicht auf Wiederherstellung. Kann ich ihn in diesem Zustande zu seinem Vater und zu der goldlockigen Ella bringen? Würde sie ihn nicht lieber todt sehen, als in diesem erbarmungswürdigen Zustande? Ja, gewiß! Es wird eine Gnade sein, wenn ihnen die Wahrheit verborgen bleibt. Und was Guido anbetrifft, fuhr er in seinem Selbstgespräche fort, „so ist er hier so glücklich wie an jedem andern Orte. Wenn ich ihn bei diesen Fischern hier ließe, würde ihn Niemand finden und die Leute würden gut gegen ihn sein. — Ja, wenn mein Vater, dieser geheimnißvolle „Noberich", seine Schuldigkeit mir gegenüber gethan und mich ver sorgt hätte, würde ich die Sache vielleicht mit anderen Augen an sehen; aber verlassen und verstoßen von seinem eigenen Vater, nicht im Stande, meiner Mutter Heirath zu beweisen'und nicht einmal meinen eigenen Namen kennend, muß ich mir eben selbst zu helfen suchen. Ich bin Guido so ähnlich, daß uns Jeder für Brüder gehalten. Er ist 5 Jahre vom Hause fortgewesen — diese 5 Jahre müssen sein Gesicht, seine Gestalt und seine Stimme verändert haben, aus dem Knaben ist ein Mann geworden. Uebrigens hatte er eine gefährliche Krankheit während seines Aufenthaltes in Deutschland, welche, wie er seinem Vater geschrieben, sein Aussehen sehr verändert habe. Ich war sein Vertrauter und kenne alle seine Erlebnisse, aus seiner Kindheit sowohl, wie aus seinem Studienleben in Deutschland. Ich kann Sir Harry getrost als seinen Sohu entgegentreten, ohne die Erregung des geringsten Zweifels befürchten zu müssen." Er ging rascher mit größeren Schritten und fuhr mit der Hand über die Stirne. „Und dann ist mir mit einem Schlage geholfen," fuhr er nach längerer Pause fort. . „Ich kann und will darum nicht zurückkehren in das alte armselige Leben mit seinen Entbehrungen, Sorgen und Mühen; ich hasse ein solches Leben — ich hasse die Arbeit! Nein, das ist Alles vorbei! Mein Weg liegt glatt und eben vor mir!" Er blieb plötzlich stehen nnd fuhr hastig zusammen als habe ihm Irland einen Schlag in den Nacken versetzt. Nach einer Weile setzte er seine Wanderung und sei» Selbstgespräch wieder fort. „Ich sagte Guido diesen Abend, daß mich keine Bande an den Continent knüpften. Ich habe auch keine Verbindungen, die ich nicht zerreißen könnte -- und doch! Armes Geschöpf! — Ach was, soll ich ihretwegen alle meine Pläne aufgeben? Soll ich ihretwegen alle meine Aussichten selbst zerstören? Ich kann sie nicht mitnehmen, es dürfen auch nicht die geringsten Vermuthungen in ihr wach werden. Sie ist die einzige Person, die mich demaskiren könnte, und wer weiß, ob sie es nicht thun würde in einem Anfalle von Eifersucht! darum ist es das Beste, sie nimmt an, daß ich in dem Sturme umgekom men bin." Wie zu einem endlichen festen Entschlusse gekommen, wandte er sich plötzlich um und ging in's Haus zurück. Dr. Spezzo war gerade im Begriff, dasselbe zu verlassen. „Ich werde morgen miederkommen, Signor," sprach der Doctor zu Brander. „Sie können sich darauf verlassen, daß ich die Wunde Ihres Freundes bald heilen werde; aber sein Verstand ist unwieder bringlich verloren." „Wäre es möglich, daß Sie sich in dieser Folgerung irren könnten?" fragte Brander. „Durchaus nicht," antwortete der Doctor. „Ich könnte Ihnen die Sache ausführlich auseinandersetzen, aber es wird Ihnen die Thatsache genügen, daß sein Gehirn eine bedeutende Verletzung er litten hat. Ich habe ihm einen Schlaftrunk eingegeben, so daß er die Nacht ruhig schlafen wird, Ihnen Signor, rathe ich ebenfalls Ruhe an, denn Sie sehen sehr bleich und angegriffen aus. Und nun erlauben Sie mir, Ihnen eine gute Nacht zu wünschen." Er verbeugte sich höflich und verließ das Haus. „Wollen Signor bei Ihrem Freund schlafen?" fragte Frau Vicini zögernd. „Wir haben nicht viel Betten und —" „Gewiß, ich schlafe bei meinem Freund!" unterbrach sie Bran der, „und ich will sogleich zu Bett gehen, denn Sie sehen auch sehr müde aus, Signora. „Sie sind sehr freundlich und gütig gegen mich gewesen, und ich werde das nicht vergessen. Gute Nacht!" Er nahm ein bereitstehendes Licht und begab sich in das Schlaf zimmer, welches er hinter sich verschloß. Er setzte das Licht auf den Tisch und wartete, bis die Vicinis und Palestro sich ebenfalls zur Ruhe begeben hatten; dann setzte er sich auf das Bett nieder und starrrte auf das Gesicht seines schlafenden Freundes. Wie war dieses in der kurzen Zeit doch verändert! Drei Stunden früher strahlte es noch vor Lebenslust, Freude und Glück; nun war es bleich, sah müde und geistlos aus!" Brander bebte; er nahm den verbundenen Kopf sanft in seinen Arm und rief leise: „Guido! Guido!" Aber der Kranke schlief ruhig weiter. Stunden vergingen: das Licht war niedergebrannt und Finster niß füllte das Zimmer; aber Brander schloß seine Augen nicht zum Schlafe. Er starrte, den Kopf seines Freundes noch immer in seinem Arme, unbeweglich vor sich hin und die seltsamen Gedanken durch fuhren sein Gehirn. Der Wind hatte sich gelegt und der Morgen begann zu grauen. Im Hause regte sich schon neues Leben, das Geräusch beginnen der Arbeit in der Küche wurde hörbar — aber Brander starrte noch immer vor sich hin. Endlich wurde er durch ein leises Geräusch am Fenster aufge schreckt. Er wandte sich rasch um und sah das Gesicht Palestro'S. „Dieser Mensch macht sich verdächtig," murmelte Brander un ruhig. „Er niag gefährlich werden; ich muß mit ihm sprechen." Er stand auf und trat an's Fenster, aber Palestro war ver schwunden. Hastig ordnete er seine Kleider, erfrischte sein Gesicht mit kaltem Wasser und kämmte sein Haar, dann trat er in die Wohnstube, er die Vicinis fand, die Frau mit der Bereitung des Frühstücks be schäftigt. Er gab die Absicht, Palestro zu suchen, auf und setzte sich auf einen Stuhl.